Versicherungsschutz

16.09.1999

FRANKFURT: Selbständige oder Freiberufler sehen sich nach einem schweren Verkehrsunfall oftmals großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgesetzt.Der Vater führt das Fachgeschäft für Herrenbekleidung schon in der zweiten Generation. Der einzige Sohn soll die Nachfolge antreten. Den interessiert freilich mit 15 Jahren sein erstes Moped mehr als die ferne Zukunft. Er hat es gegen den Widerstand der Eltern durchgesetzt, die Schlimmes befürchteten. Aber es ging alles gut. Bis auf ein paar schmerzhafte Blessuren wurde die Zeit bis zum Autoführerschein ohne größere Unfälle überstanden. Natürlich legte der Zweiradfreund die Fahrprüfung nicht nur für das Auto, sondern auch für das Motorrad ab.

Nachfolge

Nach Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und einigen Praktika übernahm der Sohn mit 24 Jahren das Geschäft. Der Vater setzte sich zur Ruhe und starb unerwartet früh. Die Herrenboutique an einem hervorragenden Standort lief ausgezeichnet. Erstmals verdiente der junge Mann gutes Geld. Er kaufte sich nicht nur ein größeres Auto, sondern - nicht ohne den Widerspruch seiner Ehefrau - auch ein schweres und schnelles Motorrad für die Freizeit und das Wochenende. Diesmal ging es überhaupt nicht gut. Schon bei der dritten Ausfahrt kam es zu einem schweren Unfall. Der junge Kaufmann stieß in einer Kurve frontal mit einem entgegenkommenden Auto zusammen. Die dramatische Folge: Wirbelsäulenverletzung, Koma, Querschnittlähmung.

Jährlich gibt es in Deutschland 20.000 solcher Kollisionen zwischen Autos und Motorrädern. Dabei ist in aller Regel der Zweiradfahrer der schwächere Teil. Unter den 50.000 Schwerverletzten pro Jahr im Straßenverkehr sind nach Meinung von Rechtsanwalt Jürgen Jahnke einige tausend Fälle von verunglückten Selbständigen und Freiberuflern. Die aber tun sich nach einem solchen Unfall schwerer als andere, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Haftpflicht

Wenn es sich um einen unverschuldeten Unfall handelt, übernimmt die Haftpflichtversicherung des Gegners die Kosten für Arzt und Heilbehandlung. Auch beim Schmerzensgeld - immerhin werden heute für eine Querschnittslähmung schon mehr als 400.000 DM gezahlt - und dem Aufwand für besondere Bedürfnisse des Unfallopfers - etwa Rollstuhl, Handgas im Auto oder ein Lift im Haus - gibt es bei den Selbständigen keine besonderen Probleme. Die fangen aber massiv an, wenn es gilt, Verdienst- und Gewinnausfall des Unfallopfers festzustellen.

Verdienstausfall

Bei einem Arbeiter oder Angestellten genügt dem Sachbearbeiter der Versicherung ein Blick auf die letzte Gehaltsabrechnung. Wer sein eigener Chef ist, hat aber selten einen konstanten Verdienst. Es gibt zahlreiche Unwägbarkeiten wie Konjunkturlage, saisonale Einflüsse, eine gewollte oder ungewollte Einschränkung der Geschäftstätigkeit, Fehldisposition und vieles mehr. Relativ einfach ist noch die Situation, wenn eine Ersatzkraft - auch die eigene Ehefrau - den Chefposten des Unfallopfers übernimmt. Deren Gehalt ist vom Autohaftpflicht-Versicherer des schuldigen Fahrers zu übernehmen.

Beim Verdienstausfall des Selbständigen ist der Schaden an der konkreten Vermögenseinbuße und dem eingetretenen Gewinnrückgang zu bemessen. Wie es ohne Chef läuft, ob Kunden abwandern, Lieferanten sich abkehren und im Laden ein gewisser Schlendrian eintritt, läßt sich im Grunde nur schätzen. Besonders schwer wird es für die Sachverständigen der Versicherung, wenn es sich um einen Existenzgründer handelt. Nach den Erfahrungen des Rechtsanwalts Jürgen Jahnke gibt es zwei extreme Szenarien. Während sich der eine Existenzgründer schwertut, noch von der Substanz lebt und auch noch eine längere Durststrecke vor sich hat, ist dem anderen der Start bestens gelungen. Er hat eine aussichtsreiche Marktnische gefunden, hat vielleicht sogar vom alten Arbeitgeber einige Kunden und Aufträge mitgenommen und schreibt schon nach dem ersten Jahr schwarze Zahlen.

Der eine wie der andere muß seine Situation gegenüber dem Versicherer nachweisen, wenn er seinen Verdienstausfall bezahlt bekommen will. Das gilt für alle Selbständigen und Freiberufler: Die Versicherung zahlt nur, wenn der Schaden durch Unterlagen bewiesen werden kann. Sie will vom Unfallopfer beispielsweise die Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Einkommensteuer-Erklärungen und -bescheide sowie Umsatzsteuer-Voranmeldungen und -bescheide der letzten Jahre einsehen.

Nun liegt aber der Chef im Koma. Jahnke schildert eine Situation, die er häufig antrifft: "Der Unternehmer war die Seele vom Geschäft. Die Ehefrau hat keine Ahnung von Gewinnsituation, Geschäftsumfang und dem Aufbewahrungsort wichtiger Unterlagen. Niemand weiß, wie das Paßwort für den Computer lautet oder wo die neben der Steuerbilanz geführte Handelsbilanz versteckt ist. Die finden wir nicht immer im Computer, sondern gelegentlich in der Tiefkühltruhe."

Anwalt

Weil die Materie nach dem schuldlosen Unfall eines Selbständigen so kompliziert ist, empfiehlt der zuständige Versicherungsmanager, unbedingt einen Anwalt zu nehmen. Bei schweren Personenschäden sei das auch die Regel. Einzelkämpfer sind die Ausnahme, zumal das Unfallopfer wegen seiner spezifischen Situation meist gar nicht in der Lage ist, seine Interessen selbst zu vertreten. Auch die Anwaltskosten erstattet die Haftpflichtversicherung des Schädigers. Ein Anwalt kann seine Kunden auch bremsen und vor überzogenen Forderungen bewahren. Er wird auch dafür sorgen, daß die Feststellung des Vermögensschadens nicht übermäßig lang dauert oder der Haftpflichtversicherer durch Vorschußzahlungen die schlimmste Notlage wenigstens einigermaßen überbrücken hilft.

Wenn unseren jungen Kaufmann eine Mitschuld an dem Verkehrsunfall trifft, wird die Situation noch prekärer. War er zu schnell unterwegs, hatte keine Schutzkleidung angelegt oder eine andere grobe Fahrlässigkeit begangen, wird Mitverschulden geltend gemacht. Nun kosten sechs Wochen Heilbehandlung nach einem schweren Motorradunfall leicht um die 80.000 bis 100.000 DM. Nur 20 Prozent Selbstbehalt davon wegen Mitschuld sind ein ganz schöner Brocken. "Bei schweren Kopf-, Hirn- und Wirbelsäulenverletzungen gehen schon zehn Prozent Mitverschulden über die Kräfte der meisten Selbständigen", bestätigt Rechtsanwalt Jürgen Jahnke.

Existenzgefährdung

Die Auswirkungen von selbstverschuldeten Unfällen können ganz schnell existenzbedrohend werden. Der selbständige Unternehmer ist oft nicht sozialversichert. Er hat aber auch häufig keine private Krankenversicherung. Vor allem Existenzgründer arbeiten häufig ohne jeden Krankenversicherungsschutz. Sie stecken alles Geld ins Geschäft und haben keine Mark übrig. Insgesamt, erklärt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), sind ein bis zwei Prozent der Bevölkerung ohne jegliche Krankenversicherung. In erster Linie seien das Selbständige, darunter viele "Scheinselbständige". Bei Unfällen ohne Fremdverschulden werden solche Opfer "zu Fällen für die Sozialhilfe", weiß Jahnke aus seiner Arbeit als Anwalt. Und dann ist auch das Betriebsvermögen vor dem Zugriff des Sozialamtes nicht mehr sicher.

Ein Verkehrsunfall trifft gerade Selbständige und Freiberufler besonders hart. Mit dem Ausfall ihrer Arbeitskraft versiegt oft die einzige Einkommensquelle. Sind dann keine Rücklagen vorhanden, geraten die Betroffenen nicht selten in finanzielle Not. Als vorsorgende Maßnahmen empfiehlt deshalb Jahnke, daß der Selbständige ein bestimmtes Einkommen absichert. Hier bieten sich die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der Beitritt zu berufsständischen Versorgungswerken, die private Krankenversicherung sowie die Unfall- und Lebensversicherung an. Werner Staudte

Aus der August-Ausgabe des im Deutschen Fachverlag, Frankfurt am Main, erschienenen Wirtschaftsmagazins "Der Handel".

In diesem Dreß vielleicht chic, aber unzulässig und vor allem gefährlich: Rund 20.000 Mal pro Jahr kollidieren in Deutschland Motorradfahrer allein mit Autos.

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