Jobcenter verliert gegen Kanzlei

Wann Niedrigstlöhne erlaubt sind



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Stundenlöhne von nur 1,54 Euro oder 1,65 Euro sind normalerweise sittenwidrig. Aber in bestimmten Fallkonstellationen darf der Arbeitgeber sie zahlen.

Das Arbeitsgericht Cottbus hat eine Klage des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz gegen einen Rechtsanwalt zurückgewiesen, weil dieser in seiner Kanzlei zwei Bürokräfte für Stundenlöhne von nur 1,54 Euro beziehungsweise 1,65 Euro beschäftigt hat. Darauf verweist der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Henn, Präsident des VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf die Urteile des Arbeitsgerichts (ArbG) Cottbus vom 9.04.2014 - Az. 13 Ca 10477/13 und 13 Ca 10478/13.

Wer eine Zwangslage des Arbeitnehmers ausnutzt und zu wenig Lohn zahlt, kriegt unter Umständen Ärger mit der Agentur für Arbeit.
Wer eine Zwangslage des Arbeitnehmers ausnutzt und zu wenig Lohn zahlt, kriegt unter Umständen Ärger mit der Agentur für Arbeit.
Foto: Tatjana Balzer - Fotolia.com

In dem Fall hatten die beiden Bürokräfte bei 14 bzw. 15 Stunden pro Woche jeweils ein Monatsentgelt von 100 Euro erhalten. Der Stundenlohn lag damit rechnerisch bei nur 1,54 Euro bzw. 1,65 Euro pro Stunde. Die beiden Mitarbeiter konnten ihren Lebensunterhalt nur bestreiten, weil sie zusätzlich Hartz-IV-Leistungen erhielten. Das Jobcenter war der Auffassung, dass der hier jeweils gezahlte Lohn so niedrig sei, dass er als sittenwidrig einzustufen sei und die beiden Arbeitnehmer noch zusätzliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber hätten, die nun wegen der gezahlten Unterstützungen auf das Jobcenter übergegangen seien.

Dem folgte das Arbeitsgericht Cottbus jedoch nicht, so Henn.

Keine "verwerfliche Absicht zur Ausnutzung einer Zwangslage"

Zwar liege auch nach Ansicht der Kammer hier ein Missverhältnis zwischen den erbrachten Arbeitsleistungen der beiden Mitarbeiter und dem jeweils gezahlten Lohn vor. Allerdings sei hier wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls keine "verwerfliche Absicht zur Ausnutzung einer Zwangslage" der Mitarbeiter erkennen. Die beiden Beschäftigten hätten auf eigenen Wunsch zu diesen Löhnen gearbeitet, um damit eine Chance zu erhalten auf dem Arbeitsmarkt erst einmal wieder Fuß zu fassen.

Der Rechtsanwalt habe mit sechs ausgelasteten Vollzeitbeschäftigten eigentlich gar kein Bedürfnis gehabt zusätzlich noch zwei weitere Beschäftigte einzustellen. Er habe also hier nicht "ausbeuterisch" gehandelt, sondern den Beschäftigten eher noch einen Gefallen getan, der ihm letztlich sogar unnötige Mehrkosten eingebracht habe. Die Kammer wies daher die Klagen des Jobcenters ab, das nun dagegen in Berufung gehen will.

Henn empfiehlt, die Entscheidung zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. - www.vdaa.de - verweist.

Weitere Informationen und Kontakt: Michael Henn, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Präsident des VdAA, c/o Rechtsanwälte Dr. Gaupp & Coll, Theodor-Heuss-Str. 11, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711 305893-0, E-Mail: stuttgart@drgaupp.de, Internet: www.drgaupp.de

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