In der Epoche der Handymaniacs

09.05.1997
MÜNCHEN: Gibt es wirklich noch Menschen, die kein Handy besitzen? Welches Grauen wir in uns hervorgerufen, wenn wir uns an die Zeit zurückerinnern, in der es noch keine kabellosen Miniaturtelefone gab. Ein Boom ist ausgelößt, der nahezu jedermann in seinen Bann gezogen hat. Keine Flughafenhalle, keine Lobby, keine Kneipe und keine Lounge, in der nicht der Elektrosmog vorherrscht. Gibt es noch Auswege? Eine satirische Betrachtung von Stefan Rohr*.Nahezu jeder hat es, die wenigsten brauchen es und die meisten tun so, als ob ihr Leben davon abhängen würde: Das Handy. Seinen Namen erhielt es - zumindest einer Überlieferung - im deutschen Schwabenlande. Als dort, in der Nähe von Reutlingen, die ersten Feldversuche in puncto Marktfähigkeit des Handys durchgeführt wurden, soll eine der schwäbischen Testpersonen spontan gefragt haben : "Henn die koi Kabel?" - hiernach sodann der Name des Handys geboren war. Soweit die geschichtlichen Hintergründe des allseits bertretenen Kommunikations-Knochens. Noch vor wenigen Jahren befand sich die Gesellschaft in einem prähistorischen Zustand, zumindest qas die Telekommunikationsmöglichkeiten des Normalbürgers anbetraf. Autotelefonanlagen wogen 20 Kilogramm, allein der Hörer brachte es auf das stolze Gewicht einer Damenhantel und hatte die Größe einer Kochgurke. Allerdings war das alles Nebensache. Allein das Vorhandensein eines derartigen Kommunikationsmittels im Dienstwagen zeugte von hohem Stand, brillianter Karriere und ungeheurer Wichtigkeit. Der Umstand, im Stau stehend oder im Feierabendverkehr mit einer beliebigen Person telefonieren zu können, grenzte enorm von der "niedrigen Masse" ab und ließ sich gleichfalls elegant als offener Beweis für die eigene persönliche Bedeutung nutzen. Dabei war es völlig egal, ob am anderen Ende der Strippe die Schwiegermutter war, die lediglich die Nachricht erhielt, nunmehr die Kartoffeln aufsetzen zu können, da man in zwanzig Minuten da sei. Draußen konnte es ja niemand hören. Solange die Gesichtsmimik beim Telefonat möglichst ernst und faltenreich erschien, mußte jeder glauben, daß man gerade seine Mitarbeiter zusammenschei.. oder daß durch geschickte Verhandlung der drohende Börsen-Crash gerade noch einmal verhindert werden konnte.

MÜNCHEN: Gibt es wirklich noch Menschen, die kein Handy besitzen? Welches Grauen wir in uns hervorgerufen, wenn wir uns an die Zeit zurückerinnern, in der es noch keine kabellosen Miniaturtelefone gab. Ein Boom ist ausgelößt, der nahezu jedermann in seinen Bann gezogen hat. Keine Flughafenhalle, keine Lobby, keine Kneipe und keine Lounge, in der nicht der Elektrosmog vorherrscht. Gibt es noch Auswege? Eine satirische Betrachtung von Stefan Rohr*.Nahezu jeder hat es, die wenigsten brauchen es und die meisten tun so, als ob ihr Leben davon abhängen würde: Das Handy. Seinen Namen erhielt es - zumindest einer Überlieferung - im deutschen Schwabenlande. Als dort, in der Nähe von Reutlingen, die ersten Feldversuche in puncto Marktfähigkeit des Handys durchgeführt wurden, soll eine der schwäbischen Testpersonen spontan gefragt haben : "Henn die koi Kabel?" - hiernach sodann der Name des Handys geboren war. Soweit die geschichtlichen Hintergründe des allseits bertretenen Kommunikations-Knochens. Noch vor wenigen Jahren befand sich die Gesellschaft in einem prähistorischen Zustand, zumindest qas die Telekommunikationsmöglichkeiten des Normalbürgers anbetraf. Autotelefonanlagen wogen 20 Kilogramm, allein der Hörer brachte es auf das stolze Gewicht einer Damenhantel und hatte die Größe einer Kochgurke. Allerdings war das alles Nebensache. Allein das Vorhandensein eines derartigen Kommunikationsmittels im Dienstwagen zeugte von hohem Stand, brillianter Karriere und ungeheurer Wichtigkeit. Der Umstand, im Stau stehend oder im Feierabendverkehr mit einer beliebigen Person telefonieren zu können, grenzte enorm von der "niedrigen Masse" ab und ließ sich gleichfalls elegant als offener Beweis für die eigene persönliche Bedeutung nutzen. Dabei war es völlig egal, ob am anderen Ende der Strippe die Schwiegermutter war, die lediglich die Nachricht erhielt, nunmehr die Kartoffeln aufsetzen zu können, da man in zwanzig Minuten da sei. Draußen konnte es ja niemand hören. Solange die Gesichtsmimik beim Telefonat möglichst ernst und faltenreich erschien, mußte jeder glauben, daß man gerade seine Mitarbeiter zusammenschei.. oder daß durch geschickte Verhandlung der drohende Börsen-Crash gerade noch einmal verhindert werden konnte.

Diese Attraktivität kostete den Besitzer einige tausend Markscheine und Pfunde an Grundgebühren und Gesprächseinheiten. Diesen Umstandnutzen einige clevere Anbieter von Spielzeugwaren und Scherzartikel, die schnell Autotelefonattrappen (damals noch mit Schnur) angeboten, was allerdings nur dann einen Sinn machte, wenn wenigstens die Autotelefonantenne am Fahrzeug "echt" war.

Die Erfindung des Handys brachte Erleichterung auf breiter Ebene. Wesentlich geringere Kosten und bei weitem leichtere Installationsbedingungen sorgten für den kometenhaften Aufstieg dieser Geräte und seinen heuschreckenähnlichen Verbreitungsgrad. Myriaden von Handys sind bisweilen produziert und in die Hände und Brusttaschen ihrer glücklichen Besitzer gelangt. Längst ist das Handy nicht mehr einer elitären Schicht von Managern und Pseudo-Karrieristen vorbestimmt. Jeder, der ein Bankkonto und eine Personalausweis vorlegen kann, erhält meist in wenigen Stunden den Zugang zur Welt der modernen Sprechblasenkommunikation. Kleine Taschen und Schutzhpllen sorgen dafür, daß weder Wetter (Regen, Schnee und Hagel)noch Geländebedingungen (Strandsand, Pollenflug und Gebirgsgeröll) dem kleinen Liebling etwas Böses anhaben können. Das Handy gehört heute auf jeden Gabentisch, ob bei Konfirmation, beim sechzehnten Geburtstag oder anläßlich des bestandenen Abiturs. Die Vielfältigkeit der Gesprächsinhalte kennt jeder reiseerfahren Bürger. Auf Flufhäfen, Bahnhöfen, Busstationen bimmelt es an jeder Ecke, zu jeder Zeit, ungeachtet der Menschenmassen, die den Handy-Besitzer umgeben. Nur selten haben die Gespräche einen Charakter der Notwendigkeit und Dringlichkeit. Dialoge. wie zum Beispiel "...ich stehe gerade an der Kofferausgabe ...ja das Wetter in Hamburg war nciht so schön ... aber hier ist es ja auch nciht viel besser..." blden bereits die obere Kante des Gesprächniveaus in der Menge der Handymaniacs.

Die massive Durchdringung der Handys in unserer Gesellschaft hat die Hersteller dazu gezwungen, diverse Klingeltöne in der Gerätesoftware zu hinterlegen, die es dem stolzen Inhaber ermöglichen sollen, "sein" Handy im Dschungel der jeweils umliegenden Geräte sofort und prägnant zu erkennen. Das einfache Klingeling ist dabei so out wie weiße Socken zum dunklen Anzug. Der Handymaniac von Welt läßt die Nationalhymne erklingen. Beethovens Neunte ist derzeit ebenso in wie die Erkennungsmelodie des Drei-Tage-Rennens oder der Lindenstraße.

Wer noch mehr auf sich hält, läßt vor allem zunächst klingeln. Einerseits soll der Anrufer doch nicht glauben, daß man nur auf seinen Anruf gewartet hätte, andererseits ist eine gewisse Sturheit auch mit dem Umstand verbunden, daß die im näheren Umfeld anwesenden Mitmenschen - ob sie nun wollen oder nicht - auf die persönliche Dedeutung des Handy-Besitzers aufmerksam gemacht werden. Insbesondere die weibliche Umwelt hat dieses zu kapieren, schließlich hat man das Ding ja nicht nur zum Spaß.

Das mündet nciht selten in einen besonderen Aktivismus des Handy-Inhabers, der es kaum aushlaten kann, wenn er Gesprächspausen verzeichnen muß, die länger als Drei Minuten währen. So ergreift er selbst die Initiative und ruft einen seiner (vielfältig vorhandenen) KOmmunikations-Strohmänner an: "Ich bin jetzt unter meiner Handy-Nummer zu erreichen ...ruf doch mal zurück." Kurz darauf klingelt es beflissentlich. Der Strohmann wird seiner Aufgabe gerecht und ruft zurück. Endlich kann ein weiteres Gespräch erfolgen und der Umwelt wird es noch klarer, daß es sich beim Angerufenen unweigerlich um eine äußerst gefragte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handelt. Ähnlich wie mit den Krawatten verhält es sich auch mit den Handys. Diejenigen, die tagsüber eigentlich ohne Die Last der jeweiligen Bürde auskommen dürfen, sich eigentlich darüber freuen sollten, legen nach Feierabend Anzug und Krawatte an oder wählen ihr Handy in das netz ein. Damit sind sie endlich ein Teil der Kategorie Business-Man, die ihnen im Tagwerk eigentlich (und auch deutlich) abgesprochen wird. Natürlich kann das niemand sofort erkennen. Erst recht nicht, dann, wenn im Cafe oder in der Feierabendkneipe das Handy nergisch dokumentiert, daß sein Besitzer Workoholic, wohlhabend und äußerst erfolgreich ist (der eigene Wagen wurde vorsorglich drei Straßen entfernt geparkt).

Gern genommen dabei die Börsen-Markler-Tour. Eind Berufsgruppe, die meist sehr junge Menschen bindet, zudem mit der Anheimelung von Wohstand und einem Hauch vom Mystik umgeben ist. Somit bestens geeignet, um von der eigenen mißlichen Berufsituation abzulenken.

Werden dann auch noch in den Telefonaten laut und deutlich die Worte "Kaufen" und "Verkaufen" oder Halbsätze wie "Steht der Dollar noch bei..." verwendet, so ist die kleine Blonde am Nebentisch schnell akquiriert. Ein Handy (und natürlich die strukturierte Organisation von fleißigen Strohmännern) wird somit ad hoc zum Wettbewerbsvorteil bei Jägern, Sammerln und verpickelten Möchtegerncasanovas.

Kneipiers müssen umdenken. Bier und Stehtische reichen kaum noch in ihrer, auf den Getränkekonsum dimensionierten Größe aus, da bei acht Gästen auch mindestens acht Handys einen Platz finden müssen. Zudem wird nahezu in jeder Kneipe ein zusätzlicher Arbeitsplatz zu schaffen sein, nämlich der eines LPR's (was nichts anderes bedeutet als: Lautstärkepegelregler). Die so wichtigen feierabendlichen Handy-Kommunikationen werden empfindlich durch das Gerede der sonstigen Gäste und vor allem durch die Hintergrundmusik empfindlich gestört, so daß der Angerufene entweder mit sener eigenen Stimme die unangenehme Geräuschkulisse übertönen muß oder eben per Handzeichen einem LPR die Anweisung erteilt, die Musik zu dämpfen und mit einem Schild oder einem kleinen Glöckchen die vorhandenen Gäste um Ruhe zu bitten.

Es ist zu bemerken, daß das Verständnis der Gäste hierfür immer größer wird, da sie selbst, meist nach wenigen Minuten, in dem Genuß dieser modernen Regelung gesellschaftlicher Umgangsregelung kommen, dann nämlich, wenn ihr eigenes Handy klingelt.

Gehört man der Gruppe von Aussätzigen an, die noch kein Handy besitzen oder das eigene Gerät ausschließlich zu beruflichen Zwecken in der jeweils geregelten Arbeitszeit nutzen, wird man schnell zum Außenseiter und Reaktionär. Wie man denn "ohne"heutzutage noch auskommen kann? Hat man denn keine freunde? Ist man geschäflich so unbedeutend, daß niemand etwas von einem will? Nun ja, mag sein, daß die Zeichen der Zeit sich in diese Richtung verändern mögen. In der Zeit, in der andere telefonieren, machen sich derlei Minderhieten vielleicht daran, innovative Ideen für die Handymaniacs zu entwickeln. Zum Beispiel ein Softwarezusatz, der es ermöglicht, sich selbst anzurufen, was die Einschaltung von Strohmännern unnötig machen würde. Vielleicht aber auch den Handy-Doppel-Pack. Zwei Handys, jeweils geformt für die linke sowie für die rechte Hand. Dann könnte jedes Ohr genutzt werden und Selbstgespräche werden müheloser machbar.

Meine Kinder haben eine Handy-Attrappe. Die klingelt wie seine großen, richtigen Brüder, hat eine Antenne und ein Sprachmodul. Drückt man auf die 1, so ertönt eine Stimme, die sagt: "Guten Tag, hier ist der automatische Anrufbeantworter von Helmut Kohl. Ich bin gerade im Parlament und sorge dafür, daß die Handy-Steuer eingeführt wird." Drückt man auf die 9, so sagt die Stimme: "Hier ist die städtische Irrenanstalt. Helmut ist schon da, wann kommst Du?"

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer.

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