Urteile im Arbeitsrecht

Kommentierte Rechtsprechung, Teil 3

10.10.2012

Schwerbehinderter Bewerber

Urteil 3: Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Bewerbers
Gericht: BAG, Urteil vom 16.02.2012, 8 AZR 697/10

Leitsätze:

1. Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber entgegen § 82 S. 2 SGB 9, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, so ist dies ein Indiz für eine Benachteiligung.

2. Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

Bedeutung für die Praxis:

Der schwerbehinderte Kläger macht einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Seine Bewerbung als "Pförtner/Wächter" wurde trotz eines Hinweises auf seine Schwerbehinderung ohne Einladung zu einem Vorstellungsgespräch abgelehnt. Die öffentliche Arbeitgeberin erklärte, der Kläger sei deshalb nicht eingeladen worden, weil den Unterlagen kein Hinweis auf eine Sachkundeprüfung nach § 34a (Bewachungsgewerbe) GewO zu entnehmen gewesen sei. Vor allem habe eine Einladung zum Vorstellungsgespräch deshalb unterbleiben können, weil nach der Rahmenintegrationsvereinbarung Einvernehmen bestanden habe, dass der Kläger für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht komme.

Das BAG sprach dem Kläger den Entschädigungsanspruch zu. Dadurch, dass die Einladung zum Vorstellungsgespräch unterblieben sei, habe die Arbeitgeberin gegen § 82 S. 2 SGB 9 verstoßen. Hierin liege schon ein Indiz für eine Benachteiligung. Dass der Kläger die Sachkundeprüfung nicht vorweisen konnte sei ohne Belang, da dies in der Stellenausschreibung nicht gefordert wurde und er ansonsten den Anforderungen der Stellenausschreibung entsprach. Auch die geltende Integrationsvereinbarung hätte in der Stellenausschreibung erwähnt werden müssen.

Die Pflicht, schwerbehinderte Menschen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich für die Stelle ungeeignet sind, besteht nur für öffentliche Arbeitgeber. Doch auch für private Arbeitgeber gelten bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen Pflichten, nämlich nach § 81 SGB 9. Dazu gehört die Meldung bei der Arbeitsagentur oder die Beteiligung des Betriebsrats bzw. der Schwerbehindertenvertretung. Werden diese Pflichten verletzt, kann dies ein Indiz für eine Benachteiligung darstellen. Unter Umständen macht sich dann der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig. (oe)

Christoph J. Burgmer ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator.
Internet: www.burgmer.com

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