Warum Marktforscher viel zu vernünftig sind

11.04.2002

Frohe Botschaften machen dieser Tage die Runde: Der deutsche Vorzeigesoftwerker SAP pustet die IT-Flaute einfach weg und verspricht seinen Anlegern ein Umsatzplus von satten 15 Prozent. Um die Ernsthaftigkeit dieser Ansage zu unterstreichen, schieben die Walldorfer noch hinterher, dass sich Zögling Commerce One ebenfalls ganz gut entwickle. So gut sogar, dass die Zahl der Mitarbeiter bei der Berliner E-Commerce-Company (man nimmt dieses Wort wieder in den Mund) von derzeit 240 mindestens verdoppelt werde - wenn nicht gar mehr. Auch das Hause Dell versprüht Optimismus: Nur um zwei statt fünf Prozent geringer werde der Umsatz im nächsten Jahresviertel ausfallen. "Wandel liegt in der Luft", lautet die frohe Botschaft - Compaq und IBM stimmen frohgemut in den Kanon mit ein. Aber: Machen vier bis fünf Schwalben bereits einen Sommer? Der Volksmund verneint dieses bekanntlich.

Doch Marktforscher IDC kümmert das nicht: Wir kommen um den in Kürze stattfindenden Aufschwung einfach nicht herum! Denn es gibt zehn gute Gründe, warum die IT-Branche bald wieder Wind unter den Flügeln hat (siehe Beitrag auf Seite 22). Die Marktauguren sprechen da - weil ja doch die Ausgaben für Consulting, Outsourcing und IT-Schulungen gestiegen sind - vom "doing more with less"-Effekt. Oder davon, dass "schwach konjunkturabhängige Wirtschaftsfaktoren wie Staatsausgaben oder Business-Services sich zunehmend positiv auf das IT-Wachstum auswirken". (Der Business Climate Indicator sprang im Februar um 0,2 Punkte auf -0,86!)

Und wer sich immer noch uneinsichtig zeigt oder gar das Lachen angefangen hat, dem sei noch folgendes IDC-Argument genannt: "Die Forderung nach einer höheren Integrationsdichte der Unternehmensabteilungen wird für mehr Flexibilität und Transparenz sorgen" (meint: CRM kaufen - zahlt sich echt super aus!).

Das kommt einem irgendwie vor wie das Studium der Tagespresse, Abschnitt "Wirtschaft und Börse". Dort sprechen meine konkurrenzlosen Lieblinge, die so genannten professionellen Aktienanalysten, über die "Aufwärtsgerade" (bei 4.358 Zählern), einer "200-Tage-Unterstützungslinie" (bei 5.270 Zählern), die aber schon wieder um einiges hinter der "psychologisch wichtigen Verteidigungsmarke" von 5.300 Zählern zurückliegt. Das alles ist kein Trick, sondern hängt eng mit dem Metier zusammen: dem Analys-tendasein an sich. Der Markt reagiert zumeist unvernünftig, irrational gar. Doch sie versuchen so zu tun, als ob Vernunft darin wäre. Sie wären verloren, wenn sie das nicht täten. Denn das ist das tatsächlich Professionelle dabei: Analysten verkaufen gute Prog-nosen für gutes Geld.

Wer eine sinnvolle Einschätzung zur Marktentwicklung abgeben möchte, sollte aber einen der wichtigsten Einflussfaktoren mehr in den Fokus zu rücken: die Psychologie des Marktes. Dieser Parameter beeinflusst die wirtschaftliche Stimmungslage weitaus mehr als bloßes Zahlenwerk. Oder andersherum gesagt: Wer die Gemütsverfassung der Unternehmer unter den Tisch fallen lässt, macht sich unglaubwürdig, verkennt die Realität. Denn dass ganz Euroland nach Einführung der neuen Währung noch immer voll in Kauf-Deckung ist, weil bar jeden Lippenbekenntnisses vieles eben doch teurer wurde, scheint in Analystenkreisen gerne übersehen zu werden. Die schwache Marktentwicklung wird derzeit vorwiegend durch Ängste geprägt. Um wieder Vertrauen und Zuversicht zu schaffen, greift die Rezeptur der Analysten, "Alles-wird-gut-Technologien" wie CRM einzusetzen, viel zu kurz.

Christian Meyer

cmeyer@computerpartner.de

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