Wenn ein Fachhändler die Systems besucht

11.05.1998

MÜNCHEN: An Messeberichten zur Systems 98 haben Sie sich bestimmt schon satt gelesen, sind es doch meist Aneinanderreihungen von Pseudo-Highlights und Produktvorstellungen. Durch die Fachhändlerbrille, oder besser -füße, sieht der Messebesuch ganz anders aus. Ein Erlebnisbericht von Karl-Erich Weber*.Um kurz vor Mittag auf dem Gelände "Neue Messe" einzutreffen, muß der gemeine Vorderpfälzer spätestens um fünf Uhr die Nachtruhe unterbrechen, um in die ungewisse Zukunft eines Messetags zu blicken. Obwohl von einigen Kollegen als Micky-Maus-Messe bezeichnet, scheint die Systems in der Version 98 so beliebt, daß es für Kurzentschlossene unmöglich ist, noch ein Hotelzimmer zu buchen. Aber vielleicht geht ja doch noch was. Zumindest komme ich hin, und optimistisch wie ich bin, habe ich die Rückfahrt für den nächsten Tag reservieren lassen. Angeblich soll es Infostände geben, die bei der Zimmervermittlung helfen. Einen Messekatalog mit mehr Infos, wie bei der Cebit, konnte mir die zuständige IHK nicht besorgen. Jetzt habe ich zwar die Einladung für die Spider Murphy Gang, aber kein Zimmer. Doch der Reihe nach.

Überraschenderweise hält das "Unternehmen Zukunft" Wort, und ich erreiche den Münchner Hauptbahnhof kurz nach zehn. Vollgepackt mit bayrischen Sprachkenntnissen besteige ich ein Sammeltaxi Richtung

"Neue Messe". 15 Mark sind für mich okay und mal sechs auch für den Fahrer ein guter Schnitt. Bayrisch wird noch nicht gesprochen, unser Chauffeur ist Sachse.

Das Zugfahrt hatte auch heute informative Gespräche mit den Systemstouristen gebracht, da wurden Visitenkarten getauscht, die Trends abgeklopft, über "uns Billy" philosophiert sowie Produkt- und Werbestrategien ausgetauscht. Standgespräche auf diesem Niveau bleiben oft Wunschdenken. Haupteingang - alles aussteigen.

Das Messegelände ist schon imposant. Springbrunnen, Grünzone, viel Glas fiel mir auf - und im Innern die Schlange an der Kasse. Anstellen, Karte, und jetzt soll ich einen Messekatalog kaufen. Ein wenig spät, oder? Ich ertappe mich dabei, wie ich der Hektik nachgebe, und mit einem metallischen Klaps der automatischen Barriere auf den Po empfängt mich der Messebereich.

Weit und breit kein Hinweisschild auf Gepäckaufbewahrung, Garderobe oder Zimmervermittlung. Wird schon werden, denke ich, und in der ersten Halle hängt gleich am Eingang ein Plan. Die Gepäckaufbewahrung ist außerhalb, super. Auf der Eintrittskarte lese ich dann, daß mit der Tageskarte kein Wiedereintritt möglich ist, hervorragend! In der Nähe von "Dealers only", meinem ersten Ziel, soll es auch eine Garderobe geben. Vom Mittelgang, dem Atrium, ist jede Halle ausgeschildert. Ist zwar ein bißchen weit zur Halle C3 "Systems for Channel", aber ein wenig Bewegung nach der langen Zugfahrt ist ja auch nicht schlecht. Im Dealers-only-Bereich gibt es dann doch noch eine Gardeorbe, wo ich Mantel und Koffer deponieren kann.

Hardware: Die Sachen für den Weihnachtsbaum fehlen!

Für den Händlerbereich reicht eine Visitenkarte, dennoch ist jedem klar, die hier herumlaufen sind Händler, Distis, Hersteller und Presseleute. Mein erster Eindruck: Schön, daß wir unter uns sind. Wo sind sie nun, die Weihnachtsrenner? Meine Favoriten für das Jahresendgeschäft sind Notebooks, Displays und Farbdrucker, doch zuerst kommt Gateway dran, die suchen Fachhändler.

Ja, Gateway, eine extra Schiene für den Fachhandel hätten sie, erklärt mir der geschulte Mitarbeiter. Vom Notebook bis zum Multiprozessorserver, alles für den Fachhandel, aber natürlich teurer als im Kuh-Direkthandel. Na dann, ich dachte schon, wir könnten jetzt Gateway mit annehmbarer Marge verkaufen.

Ansonsten ist "Dealers only" für mich eher enttäuschend, die Schlagerangebote und Messeaktionen werden wohl nur gefaxt. Wenigstens Macrotron hat ein paar aktuelle Macom-Produkte dabei. Überhaupt ist die Idee, Macrotron im Wild-West-Look zu präsentieren, genial - bei der Personalpolitik!

Am Infostand nach der Zimmervermittlung gefragt, schickt man mich an den Haupteingang, natürlich außerhalb des Messebereichs. Dann sind jetzt die Stände auf dem Weg dorthin an der Reihe. Insgesamt wirken die Standbesatzungen nicht so genervt wie auf der Cebit.

QMS und Tektronix zeigen bereitwillig, wozu Farblaser derzeit fähig sind, Canon und Epson halten mit Tinte dagegen. Hewlett-Packard demonstriert mit dem Designjet Hochglanz-Fotodruck in DIN A1.

Die TFT-Displays sind inzwischen soweit, um mit 17-Zoll-Monitoren zu konkurrieren. Wo sich Qume, Viewsonic und Macom, äußerlich nicht unterscheidbar, präsentieren, fällt der Unterschied zugunsten der Eleganz und des geringeren Stromverbrauchs gegen die Röhrenstrahler aus. Bei Plasmaschirmen fehlt es noch an Auflösung, Schärfe und Preiswürdigkeit, als TV-Ersatz sind sie noch zu teuer.

E-Commerce: nichts wirklich Neues

Was gibt es Neues in Sachen E-commerce? Weder günstige Zugänge noch wirklich günstigen Webspace. Neue Programme zwar mit noch mehr Features zur Webseitengestaltung, der "Shop-in-the-box" ist für kleine und mittlere Unternehmen noch immer nicht bezahlbar, und für uns weiterhin kein, dem Buchhandel vergleichbares, Kunden-Bestell- und Präsenzsystem. Eigene Homepage mit Warenkorb beim Distributor zum EK plus X ist eine Formel, die den Fachhandel glücklich machen könnte. Wo bleiben die virtuellen Unternehmen, die BWL-Gurus so gerne verbreiten?

Schnell noch bei Microsoft vorbeigeschaut, aber leider gibt es heute keine Torte, bei Acer den Mini-PC bewundert und en passant bei Sage KHK die neuen Programme beäugt, und - wie einfallsreich - sie heißen alle "2000". Überhaupt, Euro und Millenium sind laut Software-hersteller nun kein Thema mehr, die nächste Update-Runde ist programmiert.

Ach ja, da sind noch die Stände der Fachpresse. Während es bei der Computerwoche richtig bequeme Stühle sind, geht es bei ComputerPartner aus gleichem Hause schon härter zur Sache. Die Standbesatzung gibt jedoch alles, um dies wieder wettzumachen. Beim "heißen Stuhl", mit der Mutter aller Billigcomputer, oder der Preisverleihung zum ComputerPartner-Award bleibt nicht nur den Fachhändlern ab und zu die Stimme weg, die Stimmung jedoch nicht. Mit "Wichtig-Button" ausgerüstet beginnt am Mittowoch abend im Dealers-only-Bereich die Systems-Party, doch wenn es am schönsten ist, sollte man gehen.

Übrigens - ein Hotel will ich nicht mehr. Kurze Wege, alles erledigt.

Systems 98 - ich habe fertig!

Gut gelungen und optisch ein Genuß: die neue Eingangshalle der Messe München.

Manche Systems-Aussteller hatten für die Besucher einen roten Teppich ausgerollt.

*Karl-Erich Weber ist Fachhändler in Böhl-Iggelheim.

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