"Wer sich nicht fürs Projektgeschäft spezialisiert, bleibt auf der Strecke"

09.05.1997
RATINGEN: Ulrich Kramer (35) hat den deutschen CAD-Markt von Beginn seiner Karriere an begleitet, sei es als Vertriebsleiter bei der Camtech GmbH, Erkrath, als Geschäftsführer des Systemhauses B&K GmbH, Ratingen, oder als Marketingleiter beim Distributor Adiva. Im Gespräch mit ComputerPartner-Redakteur Lothar Derichs beschreibt der heute selbständige Unternehmensberater, wohin die Reise für die CAD-Händler geht.?Wie ist die momentane Stimmung im CAD-Markt?

RATINGEN: Ulrich Kramer (35) hat den deutschen CAD-Markt von Beginn seiner Karriere an begleitet, sei es als Vertriebsleiter bei der Camtech GmbH, Erkrath, als Geschäftsführer des Systemhauses B&K GmbH, Ratingen, oder als Marketingleiter beim Distributor Adiva. Im Gespräch mit ComputerPartner-Redakteur Lothar Derichs beschreibt der heute selbständige Unternehmensberater, wohin die Reise für die CAD-Händler geht.?Wie ist die momentane Stimmung im CAD-Markt?

KRAMER: Bei der Erweiterung von CAD-Arbeitsplätzen ist eine Sättigung zu verzeichnen. Das liegt am Stellenabbau bei vielen Unternehmen und an der momentanen Konjunkturschwäche. Investiert wird vor allem dort, wo durch neue und bessere Techniken die Konstruktions- und Entwicklungszeiten signifikant verkürzt werden können, und wo die Qualität der Produkte durch neue Verfahren verbessert werden kann. Dabei denke ich neben dem Umstieg von 2D auf 3D auch an Dinge wie FEM, Simulation und Analyse, an EDM- und Concurrent-Engineering-Systeme, die die simultane Konstruktion von Produkten und Prototypen ermöglichen.

?Warum ist in schlechten Zeiten dafür Geld da in den Unternehmen?

KRAMER: Weil diese Lösungen und Tools wie Makrobibliotheken und DIN-Bibliotheken Rationalisierungseffekte besitzen.

?Bei welchen Kundengruppen beziehungsweise CAD-Anwendungen gibt es noch Zuwächse?

KRAMER: Wie gesagt gibt es noch Zuwächse bei der Prozeßoptimierung und bei der Verkürzung von Entwicklungs- und Konstruktionszeiten. Durch den Stellenabbau bei vielen Unternehmen gilt die Maxime, daß weniger Leute in kürzerer Zeit bessere und schnellere Ergebnisse bringen müssen. Das läßt sich nur durch optimal geplante und eingesetzte Technik erzielen. Diese Situation trifft auf nahezu jedes Unternehmen zu. Die Einsparungen durch Personalabbau müssen reinvestiert werden in bessere technische Systeme. Der Trend zieht sich durch die gesamte Wirtschaft, ohne daß man spezielle Kundengruppen herausgreifen könnte.

?DOS kann man als CAD-Betriebssystem - zumindest bei den Neuinstallationen - getrost als tot bezeichnen. Wie sieht es um das Schicksal von UNIX aus?

KRAMER: Die Microsoft 32-Bit-Betriebssysteme, vor allem Windows NT, haben sich auf Kosten der klassischen UNIX CAD-Workstations von HP, SGI, Sun, IBM und DEC große Marktanteile sichern können. Vor allem bei Neuinstallationen im CAD-Umfeld geht der Trend in Richtung Windows NT. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Führt ein Unternehmen eine CAD-Lösung im 2D-Bereich ein oder es erweitert die Zahl seiner installierten Arbeitsplätze, dann entscheidet es sich heute vielfach für einen PC mit Windows NT und entsprechend leistungsfähiger Grafik. Durch diese Migration werden zum Beispiel völlig neue Möglichkeiten für Konstrukteure eröffnet, was den Zugriff auf unternehmensweite Daten angeht. Benötigte er früher zum Beispiel eine Excel-Tabelle auf seiner UNIX-Workstation, dann war das nicht nur eine Frage der Anbindung des UNIX-Systems an das Unternehmensnetzwerk unter Novell oder Windows NT, sondern es war stets auch problematisch, ein Windows-Programm unter UNIX laufen zu lassen. Emulationslösungen wie WABI oder SoftWindows liefen nicht performant genug ab und wurden beim Anwender kaum akzeptiert. Durch den Einsatz von NT entfällt dieses Manko. Zusätzlich erbringt dieser Einsatz Vorteile bei der Erstellung der Dokumentation, da durch Drag&Drop die Zeichnung oder andere Inhalte einfach in das Dokumentationsprogramm übernommen werden können.

Und noch etwas darf man nicht unterschätzen: Die Anwender sind viel sicherer beim Umgang mit Windows NT, weil sie das Betriebssystem meist schon von ihrem Home-PC kennen und von daher wissen, wie man eine Datei speichert, druckt oder öffnet. Und die Zahl privater PC-Nutzer nimmt bekanntlich weiter zu.

?Aber wie steht es mit der viel zitierten Instabilität von Windows im Vergleich zu UNIX?

KRAMER: Die vergleichsweise größere Systemsicherheit der UNIX-Systeme wird vielfach ausgeglichen durch den geringeren Administrationsaufwand bei Windows. In kleinen und mittelständischen Unternehmen kann der dann häufig durch den Anwender wahrgenommen werden. Ein weiteres Argument für PCs sind die geringeren Anschaffungskosten für die CAD-Software unter Windows. Die ist oft nur halb so teuer wie bei vergleichbaren UNIX-Lösungen.

?Wie sieht es denn im 3D-Bereich aus?

KRAMER: Auch im 3D-Bereich geht der Trend in Richtung Windows NT. Das geht allerdings langsamer als im 2D-Bereich. Natürlich sind die Grafikeigenschaften der UNIX-Workstations vor allem bei sehr anspruchsvollen Anwendungen wie Solid Modelling und CAE nach wie vor überragend. Aber auch hier haben die PCs mächtig aufgeholt. Die Grafikkarten der obersten Klasse - etwa AccelPro oder Elsa GloriaL - reichen für einfache Anwendungen und den mittleren Leistungsbereich aus.

Neulich hat mir der Vertriebsleiter eines führenden Anbieters von MCAD-Systemen erzählt, daß nahezu die Hälfte aller verkauften Lösungen inzwischen unter Windows NT laufen. Vor einem Jahr betrug der Anteil gerade einmal acht Prozent. Diesem Trend tragen fast alle CAD-Hersteller Rechnung und bieten nahezu unisono ihre Lösungen auf beiden Systemen an.

?Machen die Vertriebspartner den Trend zu Windows problemlos mit, oder klammern sie sich an die vermeintlich profitableren UNIX-Lösungen?

KRAMER: Das ist schon richtig. Viele Unternehmen haben sich lange Zeit gesträubt, PC-basierende Lösungen zu verkaufen, weil diese vor allem im Dienstleistungsgeschäft weniger profitabel waren oder erschienen. Mehr oder weniger freiwillig hat sich hier eine Trendwende vollzogen. Viele bieten heute beide Lösungen an. Das Lager teilt sich ein wenig: Einige haben im Vertrieb von Windows-Lösungen früher erfolgreich Nischen besetzt und auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet. Diese Leute klagen nun über den Verlust ihres Alleinstellungsmerkmals. Sie haben vor allem kleinere Unternehmen wie Konstruktionsbüros beliefert. Jetzt sehen sie sich plötzlich mit neuen Mitbewerbern konfrontiert, von denen sie früher nur belächelt wurden.

Die zweite Gruppe klagt über den Umsatzrückgang im lukrativen UNIX-Umfeld und die Einschnitte auf dem Dienstleistungssektor. Sie finden sich nun als Teilnehmer im teilweise ruinös geführten PC-Markt wieder, wenn es um Standardlösungen, Lösungen ohne Bibliotheken oder kundenspezifische Makros geht. Da existieren dann oft noch keine klaren Strategien, wie der damit verbundene Margenverfall abgefangen werden kann.

Gemein ist beiden Parteien der Wunsch, das Rad der Zeit am liebsten zurückzudrehen, und zwar bis zu den Punkt, als UNIX-Workstations noch mit hohem Gewinn verkauft und PC-Lösungen von Nischenanbietern erfolgreich vermarktet werden konnten.

Letztendlich bleibt den Vertriebspartnern der CAD-Hersteller aber keine Wahl: Sie müssen auf den bereits in hohem Tempo fahrenden NT-Zug aufspringen. Nur ganz wenige halten an ihrer alten Linie fest und suchen sich neue Zielmärkte mit ergänzenden Lösungen in Bereichen, wo die Präsenz von Windows noch nicht so stark ist - beispielsweise Workflow, EDM oder Concurrent Engineering.

?Wie hoch ist der Anteil des Direktvertriebs am CAD-Umsatz in Deutschland?

KRAMER: Von großen Herstellern wie PTC oder SDRC wird ein beträchtlicher Teil des Umsatzes direkt mit großen Firmen und Konzernen abgewickelt. Die Marktdurchdringung mit CAD-Systemen ist inzwischen sehr weit fortgeschritten. Signifikantes Wachstum gibt es nur noch bei speziellen Lösungen. Deshalb werden nur die Partner mit an Bord genommen, die Projekte entwickeln und realisieren können. Das ist sehr einfach zu erklären: Um einem Unternehmen den 62. CAD-Arbeitsplatz zu verkaufen, bedarf es keines größeren Aufwands mehr. Diesen Platz kann der Kunde, der nicht mehr geschult werden muß und meistens keine Installation mehr benötigt, selbst in Betrieb nehmen, und kauft natürlich dort ein, wo Hardware und Software am billigsten sind. Also müssen sich die Händler spezialisieren, auf bestimmte Lösungen konzentrieren, um sich damit attraktiv zu machen für das Projektgeschäft.

?Wie hoch ist denn noch der Dienstleistungsanteil am Umsatz?

KRAMER: Aus den genannten Gründen sinkt der Dienstleistungsanteil zunächst. Werden jedoch neue Lösungen implementiert, steigt der Anteil wieder beträchtlich, weil die Kunden mit diesen neuen Lösungen noch nicht vertraut sind und die Hilfe des Systemhauses brauchen. Beispiele wären EDM-Systeme, Datenbanken, Workflow, Internet-Anbindung, digitale Archive und so weiter.

?Das ist eine sehr breite Palette an Anforderungen. Wie soll das ein Systemhaus oder Händler allein schaffen? Durch Kooperationen?

KRAMER: Selbstverständlich. Die meisten Systemhäuser können ein solches Projekt mit aller Hardware und Software nicht alleine optimal implementieren. Da bietet sich eine Zusammenarbeit förmlich an. Die Partner kommen dann natürlich nicht direkt aus dem Wettbewerbsumfeld. Sie bringen ergänzende Lösungen ein, wie Grafik, Dokumentationssysteme, Netzwerke, Kommunikationslösungen, oder sie haben ihren Fokus im Bereich Internet/Intranet und Dokumentenmanagement.

?Der CAD-Markt stagniert. Sie haben es bereits gesagt. Stimmt es, daß viele CAD-Händler versuchen, zusätzlich alternative Märkte zu bedienen, wie etwa Grafik, Bildbearbeitung und Großformatdruck?

KRAMER: Eindeutig ja. Viele Unternehmen sind zur Zeit dabei, ihren Altzeichnungsbestand zu digitalisieren, das heißt, in ein digitales Archiv mit unternehmensweitem Zugriff zu überführen. Außerdem werden zunehmend CAD-Vektordaten in ein Tiff-Format umgewandelt. So kann man sie als Rasterdatei in einer beliebigen Windows-Anwendung verfügbar machen oder den Austausch von Daten vereinfachen, solange sie nicht weiter verarbeitet werden müssen. Die bisher eingesetzten Translatoren weisen viele Schwächen auf und sind zudem nicht bei allen Kunden und Abnehmern installiert. Aus der Digitalisierung erwächst häufig auch ein zusätzlicher Bedarf an optischen Speichermedien, Middleware und Netzwerktechnologie. Und das bringt dann eben auch wieder zusätzlichen Ertrag durch Dienstleistungen.Es gibt noch einen weiteren interessanten Markt: die Integration von CAD-Datenbanken in PPS-Systeme. Auch hier gibt es einigen Nachholbedarf, weil durch die unterschiedlichen Systeme in der Vergangenheit eine solche Anbindung nicht ohne weiteres möglich war. Daten wurden oft doppelt erfaßt - zuerst in der Konstruktion und dann noch einmal im PPS-System. Durch das Zusammenwachsen der Rechnerwelten via NT ist dieses Problem kleiner geworden. Das bringt den Industrieunternehmen erhebliche Rationalisierungs- und Kostenvorteile - insbesondere dann, wenn Daten häufig geändert werden müssen.

?Gibt es auch Schnittmengen zwischen Internet und CAD?

KRAMER: Das Internet bietet ein sehr interessantes Umfeld für CAD-Anbieter. Viele Unternehmen wollen auf ihren WWW-Seiten neben den Produkten auch Zeichnungen der Produkte darstellen. Die CAD-typischen Formate wie DXF, IGES, HP GL oder DWG können aber über Strandard-Browser nicht angezeigt werden. Deshalb gibt es einen großen Bedarf an intelligenten Konvertierungsprogrammen.

?Was muß ein CAD-Händler nun zusammengefaßt beachten, wenn er in den heutigen Krisenzeiten noch Geld verdienen will?

KRAMER: Wie gesagt: als erstes Ausstieg aus dem reinen Systemverkauf. Wer in dieser Situation ausschließlich auf CAD-Lösungen von der Stange setzt, wird mit Sicherheit langfristig auf der Strecke bleiben, weil die Zahl der Systeme sich nicht beliebig erhöhen wird. Die Markt ist nahezu gesättigt. Die Folgen sind bekanntermaßen Preiskrieg und Margenverfall. Statt dessen heißt das Gebot der Stunde Spezialisierung, um sich so für das Projektgeschäft attraktiv zu machen. Kundenspezifische Lösungen, die die Prozesse bei den Kunden optimieren, sind gefragter denn je, und die werden mit Sicherheit auch vernünftige Erträge bringen. Wichtig ist dabei, daß man den Kunden die Einsparpotentiale durch neue Technologien klar und eindeutig darlegen kann. Und last but not least kommen solche Lösungsanbieter nicht darum herum, bei wichtigen Projekten mit anderen Firmen zusammenzuarbeiten.

Zur Startseite