Wie US-Unternehmen durch Entlassungen ihre Bilanzen schönen

22.02.2001
In Deutschland sind IT-Fachkräfte weiterhin Mangelware. Aus den USA häufen sich in jüngster Zeit indes Meldungen über Massenentlassungen. Nur wenige Unternehmen geben unumwunden zu, dass sie nicht zuletzt aus bilanztechnischen Gründen Personal abbauen müssen.

Vor zwei Jahren war für viele IT-Firmen in der wieder erstarkenden Wirtschaftsmacht USA die Welt noch in Ordnung. Da wurde gekauft oder fusioniert, was das Zeug hielt, und eine Dotcom-Firma nach der anderen aus dem Boden gestampft. Nicht erst als Forrester-Chefaugur George Colony die mahnenden Worte gesprochen hatte, dass die meisten Jungunternehmer der New Economy "dumm, faul und gefräßig" seien, zerplatzten viele Dotcom-Träume wie Seifenblasen. Unzählige Arbeitnehmer standen plötzlich wieder auf der Straße. Allein im Januar verloren laut Arbeitsvermittler Challenger, Gray & Chrismas 12.828 Mitarbeiter von US-Internet-Firmen ihren Job.

Doch mit der einsetzenden Rezession in den USA kam es noch dicker. Denn schließlich traf es auch die wachstumshungrigen großen IT-Unternehmen der Old Economy. Seit September überschlagen sie sich mit Gewinnwarnungen. Die Aktionäre sind erbost und drängen die Unternehmen nun auf Sparkurs.

Großer Kehraus bei den Branchenriesen

Nach dem Motto "neue Besen kehren gut" hat Bruce Claflin, seit Januar im Chefsessel von Netzwerkriese 3Com angekündigt, das Unternehmen durch Entlassung von rund einem Fünftel der 11.500 Mitarbeiter weltweit wieder in die Gewinnzone zu bringen. TK-Ausstatter Lucent greift, nachdem er ins Visier der amerikanischen Börsenaufsicht geriet, sogar noch mehr in die Vollen und will sich von 16.000 Leuten trennen. Deutschland-PR-Mann Norbert Hahn sieht die angekündigten Entlassungen in den USA als Versuch der "Bereinigung", nachdem Lucent in den letzten zwei Jahren viele Firmen gekauft hat und viele Stellen doppelt besetzt sind.

Die deutschen IT-Fachkräfte sind noch auf sicherem Posten, so behaupten die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) und die Online-Stellenbörse Stepstone. "Es gibt nach wie vor einen großen Mangel an IT-Fachkräften. Eine größere Bewegung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist, trotz der Massenentlassungen in den USA, zumindest noch nicht feststellbar", so Nicole Göttlicher von der Pressestelle bei Stepstone.

Stark ins Straucheln geraten ist ebenfalls der Mobilfunk- und Halbleiterriese Motorola, der ursprünglich 13.000 Kandidaten oder zehn Prozent der weltweiten Belegschaft auf die Abschussliste setzen wollte, sich dann aber doch mit 4.000 Entlassungen zufrieden gab. Auch Toshiba hat jüngst angekündigt, 500 Mitarbeiter in Kalifornien zu entlassen, und der taiwanische Chipgigant TSMC schraubt für das laufende Jahr die Investitionspläne um 29 Prozent zurück. Sogar Direktanbieter Dell plant, bis zu 4.000 Mitarbeiter oder rund acht bis zehn Prozent der Beschäftigten weltweit zu feuern. Beim zweitgrößten Direktanbieter Gateway sollen 3.000 Stellen gestrichen werden.

Aber nicht nur auf der Hardware-Front rappelt es im Karton. So hat der deutsche Linux-Distributor Suse erst unlängst verkündet, in Kalifornien solle nur noch eine Rumpfmannschaft aus 15 Leuten das US-Schiff schaukeln. Der schwer angeschlagene Online-Spielzeughändler Etoys trennt sich weltweit von 700 Mitarbeitern; auch in Europa müssen 74 ihren Hut nehmen. Selbst der umsatzstarke Buchversender Amazon zieht die Konsequenz aus den dauernden roten Zahlen und schickt 15 Prozent der US-amerikanischen Belegschaft einen blauen Brief. AOL Time Warner entlässt 2.000 Mitarbeiter oder 2,4 Prozent der US-Belegschaft in den Frühling mit ungewissem Ausgang.

Schon die Ankündigung lässt die Kurse steigen

Bisher geben nur wenige Unternehmen offen zu, dass sie unter anderem auch zu Massenentlassungen greifen oder diese zumindest ankündigen, um die Bilanzen aufzufrischen und den Aktionären zu gefallen.

Arbeitsmarktexperte Gary Burtless von der Denkfabrik Brookings meint, dass der Stellenabbau meist geringer ausfällt als publikumswirksam angekündigt: "Aktiengesellschaften geht es vor allem darum, die Finanzmärkte zu beeindrucken." Schließlich lasse schon die Ankündigung von Massenentlassungen - so zynisch dies auch klingen mag - die Herzen der Börsianer höher schlagen, was auch prompt die Aktienkurse nach oben treibe.

www.challengergray.com

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www.motorola.com

www.dell.com

www.brook.edu

Computer-Partner-Meinung:

Wenn Unternehmen sich von Mitarbeitern trennen müssen, um Schlimmeres zu verhindern, dann ist das wohl ein notwendiges Übel. Stehen aber Massenentlassungen an, um den Finanz-Jongleuren zu gefallen, dann fragt man sich, wie weit die Macht der Aktionäre noch gehen soll. (kh)

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