"Hilfe, mein Chef ist unfähig"

18.06.2007
Von Michael Schweizer

Personalverantwortliche, Coachs und Wissenschaftler sind sich einig, dass Chef zu sein eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe ist. Viele Fehler, die Vorgesetzte machen, resultieren aus dem Druck, unter dem sie ihrerseits von höherer Stelle stehen. Das gilt zum Beispiel für die oft beklagte Unfähigkeit zu delegieren. Bei der Recherche für diesen Beitrag hörte der Autor immer wieder dieselbe Geschichte vom Nadelöhr Chefschreibtisch, durch das viele Arbeiten müssten, die sich auch ohne diesen zeit- und nervenraubenden Umweg bestens erledigen ließen. Das Warten wird als Misstrauensbeweis und Machtspiel empfunden, es drückt auf die Stimmung, also auf die Qualität und letztlich auf die Aussichten des Unternehmens. Indessen muss ein Chef damit rechnen, dass ihm ein Vorgesetzter auch die Fehler anlastet, die er nicht selbst begangen hat. So erklärt sich der Kontrolldrang.

Kontrollierte Kontrolleure

Viele Vorgesetzte arbeiten ernsthaft an sich. Das hat auch komische Seiten. Bank-Manager starrten sich in der Pause eines Führungskräfteseminars gegenseitig an wie Klaus Kinski oder Hans Albers: Der Dozent hatte ihnen gerade die Vorzüge des Blickkontakts erläutert. Und als Bärs Vorgesetzter während einer lebhaften Diskussion zu einem Problemlösungskärtchen griff (vorne: wie verhält sich der Mitarbeiter, hinten: wie geht man jetzt mit ihm um), brachen beide in Gelächter aus.

Mobbing wird professionell

Nicht lustig ist es dagegen, wenn jemand gemobbt wird. Idealtypisch gibt es zwei Arten von Mobbing. Die eine beruht darauf, dass ein Chef ein unmöglicher Mensch, wissenschaftlich gesprochen: eine dissoziale Persönlichkeit ist (siehe Interview "Am besten wehrt man sich früh"). Beispielsweise wirkt in München ein Chefredakteur, der das fertige Heft im letzten Moment immer noch einmal neu machen lässt. Dabei dreht es sich nicht um Qualität, sondern um Macht. Wenn im Unternehmen Vorgesetzte und Mitarbeiter sonst gut miteinander umgehen, wird so ein Inseltyrann sich nicht allzu lange halten können.

"Am besten wehrt man sich früh"

Die Diplompsychologin Madeleine Leitner arbeitet als Karriereberaterin in München. Im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ist sie Vorsitzende der Sektion Wirtschaftspsychologie.

CW: Woran leiden Mitarbeiter am häufigsten?

LEITNER: Für die Menschen, die zu mir kommen, ist oft der Chef eines der Hauptprobleme. Viele sagen: Oben landen die, die die dicksten Ellenbogen haben, und nicht die Kompetenten. In der Psychologie gibt es Studien zu so genannten dissozialen Persönlichkeiten. Das sind Psychopathen, die selber skrupellos sind, während um sie herum alle krank werden. Das wird bei Führungspersönlichkeiten weit überdurchschnittlich beobachtet.

CW: Wie hat sich das Klima in Unternehmen in den letzten Jahren verändert?

LEITNER: Die Probleme haben auf jeden Fall zugenommen. Die Chefs sind, weil sie von oben gedrückt werden, immer rücksichtsloser geworden. Viele Führungskräfte haben ein Coaching gemacht, in dem sie als Erstes lernen, unrealistische Vorgaben zu setzen. Wenn die Leute diese Ziele nicht erreichen, dann mahnen sie sie ab. Es gibt leider Menschen, die Führungskräften so etwas professionell beibringen.

CW: Wer läuft am ehesten Gefahr, schlecht behandelt zu werden?

LEITNER: Menschen, die ausstrahlen, dass sie kein Selbstwertgefühl haben. Gefährdet ist, wer unberechtigte Kritik übernimmt, wer sich sein Selbstbild durch die schlechte Behandlung bestätigen lässt, statt zu sagen: Bist du heute aber schlecht gelaunt.

CW: Wie können Mitarbeiter sich wehren?

LEITNER: Am besten wehrt man sich früh. Die größten Chancen hat man, wenn man das Problem gleich thematisiert: Ich mach das jetzt, aber ich verstehe es nicht.

CW: Was zeichnet einen guten Chef aus?

LEITNER: Er sollte berechenbar und klar sein und gut delegieren können. Ein Softie, der den Mitarbeitern nach dem Mund redet, muss er nicht sein manche schätzen einen, der auch fordert. Wichtig sind Transparenz und Authentizität.

CW: Kann jeder ein guter Chef sein? Wem hilft Coaching?

LEITNER: Chef sein ist eine extrem anspruchsvolle, schwierige Aufgabe, die nicht jeder kann und nicht jeder mag. Es gibt Menschen, die das von Natur aus gerne machen und gut können. Vielen, die keine solchen Naturtalente sind, ist geholfen, wenn sie ein paar Kommunikationstechniken lernen. Wenn jemand zwei Mitarbeiter hat, die beide nett sind, muss er ja kein Superchef sein. Falls jemand menschenscheu ist oder nur Techniker, ist es hoffnungslos. Ein Chef sollte Menschen mögen.

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