Informationselite: Stadtneurotiker von morgen?

11.10.2006

Benimmregeln für die vernetzte Welt

Der Wandel im Kommunikationsverhalten zeichnet sich bereits ab - unbewusst entwickeln und verinnerlichen wir eine Vielzahl inoffizieller Normen: "So schalten Handynutzer ihr Gerät im Kino oder Theater in der Regel aus", sagt Dr. Robert Gaßner vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. "Die Menschen begegnen dem technischen Fortschritt, indem sie kulturell akzeptierte Arrangements entwickeln." In Zukunft wird der Bedarf an solchen Kommunikationsnormen noch erheblich zunehmen.

Um sich in der vernetzten Zukunft wohl zu fühlen, müssten eine Vielzahl neuer Konventionen geschaffen werden, meint Michael Jäckel, Professor für Soziologie an der Universität Trier: "In einer Welt der permanenten Erreichbarkeit wächst das Bedürfnis nach einer klaren Trennung von Arbeit und Freizeit - die ja durch die Nutzung neuer Technologien verwässert wird." Auch das Erwerbsleben könnte auf eine recht paradoxe Art unruhiger werden: "Man ist immer weniger in der Lage, Ungestörtheit wirklich genießen zu können - der Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten wird zum Programm", erklärt der Soziologe. "Denn wer heute eine Stunde lang keine e-Mail erhält, wird sich wohl fragen, ob eine technische Störung vorliegt."

Für den Einzelnen bedeuten die modernen Kommunikationsmittel einerseits mehr Chancen und Freiheit, andererseits aber auch eine Herausforderung. Besonders für Menschen, die sich der rasch voranschreitenden Entwicklung verweigern: "Wir werden in eine Welt eingebunden, in der es ohne Technik nicht mehr geht", meint Jäckel. "Der Versuch, sich außerhalb dieser Strukturen zu bewegen, kann auf Dauer anstrengender sein als die gelegentlich unfreiwillige Anpassung an die neuen Bedingungen."

Damit die Menschen in der Always-on-Gesellschaft nicht auf der Strecke bleiben, fordert Nadja Kutscher mehr Anreize und Unterstützung beim Erlernen neuer Techniken: "Studien zeigen, dass Leute mit höherem Bildungsstand neue Techniken eher nutzen als Personen mit niedrigem Bildungsstand. Die Welt rückt näher zusammen, aber meist nur auf der Ebene der Informationselite", sagt sie. "Die Bildungseinrichtungen sollten versuchen, die Lücke zu schließen." Ansonsten, so die Erziehungswissenschaftlerin, drohe eine gesellschaftliche Spaltung (siehe Pictures of the Future, Herbst 2002).

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