IT-Handel mit doppelter Strategie gut beraten

10.01.1998

MÜNCHEN: Von Milliarden Dollar ist die Rede, wenn Marktforscher über zukünftige Online-Umsätze sprechen. Verliert der traditionelle IT-Handel langfristig seine Daseinsberechtigung, weil Hard- und Software zu den Produkten gehören, die am liebsten übers Internet gekauft werden?"Bei E-Commerce werden sich die Prognosen nicht so schnell bewahrheiten wie von den Gurus beschrien", glaubt ein Branchenkenner. Zwar vergeht kaum eine Woche, ohne daß ein Marktforschungsinstitut oder eine Unternehmensberatung optimistische Umsatzzahlen zu E-Commerce auf den Markt werfen (siehe Kasten), in Wirklichkeit ist es aber um diese neue Vertriebsform nicht unbedingt zum Besten bestellt. Aktuelle Studien belegen, daß lediglich drei von 100 Besuchern in amerikanischen Online-Shops etwas kaufen. Erfolg- und ertragreich ist ein Laden im Netz aber nur dann, wenn mindestens 15 Prozent der Seitenbesucher tatsächlich bestellen. Gründe für die Zurückhaltung der Verbraucher gibt es viele (siehe Kasten).

Ein Trost für alle Kleinunternehmen: Große Anbieter sind von der virtuellen Kaufunlust genauso betroffen wie die kleinen. Nach Angaben des Hauptverbands des deutschen Einzelhandels (HDE) zählt zum Beispiel der Otto-Versand nur fünf Prozent seiner Online-Gäste zu den zahlenden Kunden. Wirklich erfolgreiche Internet-Händler gibt es bisher kaum, und wenn Erfolgsstorys bemüht werden, sind es immer die gleichen: Dell, der Direkt-PC-Anbieter, Cisco, der Netzwerkspezialist und Amazon.com, der Bücherhändler, der zwar viel Online-Umsatz schreibt, aber nach Ansicht von Branchenbeobachtern noch keinen Gewinn ausweisen konnte.

Einer Studie des amerikanischen Marktforschungsinstituts Zona Research in Redwood City, Kalifornien, zufolge machen 43 Prozent aller im Internet anbietenden Firmen keinen Umsatz über diesen Kanal. Weitere 43 Prozent erwirtschaften weniger als ein Zehntel ihres Gesamtumsatzes online. Bleiben also nur 14 Prozent übrig, die mehr als ein Zehntel ihres Umsatzes über das WWW erzielen.

Der HDE kommt zu dem Ergebnis, daß der stationäre Einzelhandel in Zukunft zwar Marktanteile an die virtuelle Konkurrenz verlieren werde, aber: "Horrorszenarien, in denen der Einzelhandel und mit ihm die lebendigen Innenstädte sterben, weil die Verbraucher Waren nur noch online ordern, gehören ins Reich der Phantasie."

E-Commerce: Chance oder Gefahr für den IT-Handel?

Obwohl der traditionelle Einzelhandel nicht verdrängt werden wird, schadet es dem IT-Fachhandel nicht, das Thema "E-Commerce" ernst zu nehmen. Denn PC-Produkte und Software zählen neben CD-Roms, Büchern und Flugtickets zu den meistverkauften Produkten im Netz. Der IT-Handel wird folglich die Online-Konkurrenz in einigen Jahren

sicher spüren. Der Wettbewerbsdruck unter den IT-Händlern wird genauso wachsen wie die Bedrohung durch neue Formen des PC-Direktvertriebs.

Nach Ansicht von Wolfgang Fritz, Professor für Marketing an der TU Braunschweig, sind Unternehmen, die eine doppelte Strategie verfolgen, gut beraten. Getreu dem amerikanischen Motto "If you can't beat them, join them" (Wenn du sie nicht schlagen kannst, mach mit): Zum einen sollten sie ihre traditionellen Kompetenzen wie Erzeugung von lokaler Kundennähe, professionelle Beratung und sozialem Kontakt ausbauen; zum anderen sollten sie sich um den Ausbau ihrer elektronischen Kompetenz bemühen.

Immer mehr IT-Händler sind Online

Viele PC-Händler steigen derzeit ins Online-Geschäft ein - teilweise auch mit Unterstützung der Distributoren. Fragt man aber nach, wie denn der Online-Umsatz läuft, steht die Antwort von Thomas Geiger, Geschäftsführer der Comedia Computer GbR ins Sinsheim beispielhaft für viele: "Man wird nicht reich dabei." Trotzdem möchte der Online-Pionier, dessen "PC-Markt" seit einem Jahr auch über das Internet zugänglich ist, den Online-Auftritt nicht missen. "Es schadet auf keinen Fall, im Netz zu sein. Wenn man die Site einmal gebaut hat, ist sie ein Selbstläufer." Geiger betreibt nicht groß Werbung für den elektronischen PC-Markt, hat ihn aber in Suchmaschinen eingetragen. Seine Anfangsmotivation war die Idee, PC-Benutzern eine Informationsquelle zur Verfügung zu stellen. Jetzt kommen pro Monat rund zehn Bestellungen bei ihm an. Der Aufwand für den Laden hält sich in Grenzen. "Der ganze Auftritt kostet mich zehn Mark im Monat", meint Geiger.

Die Bechtle Direkt GmbH in Heilbronn ist seit 1995 im WWW aktiv und hat mit dem Internet-Auftritt große Pläne. "Wir wollen im E-Commerce das IT-Handelsunternehmen mit dem höchsten Umsatzanteil sein", erklärt Jürgen Schäfer, Becht-le-Direkt-Chef. Seiner Zielgruppe, den Unternehmenskunden, bietet er als Mehrwert eine tagesaktuelle Produktliste, Preise und Lagerverfügbarkeit. Daß immer mehr Kunden auch übers Netz einkaufen, spürt Schäfer daran, daß sich der Anteil des E-Commerce-Umsatzes am Gesamtumsatz in den letzten fünf Monaten von acht auf 16 Prozent verdoppelt hat.

Was noch viel mehr zählt als der tatsächlich realisierte Umsatz, ist die Erfahrung, die das Unternehmen sozusagen im virtuellen Selbstversuch gewinnt. Denn das dabei Gelernte läßt sich später wiederum als Dienstleistung an internet-interessierte Kunden verkaufen.

Daß der Markt für Internet-Dienstleistungen explodieren wird, steht außer Frage. In einigen Jahren wird die Benutzung des WWW zu den

selbstverständlichen Kulturtechniken gehören.

All die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die noch keinen Internet-Anschluß haben - von einem Online-Shop ganz zu schweigen - bieten für Internet-fitte Dienstleister ein riesiges unbeackertes Feld. (is)

Jürgen Schäfer, Geschäftsführer der Bechtle Direkt GmbH: "Der E-Commerce-Umsatz hat sich bei uns in den letzten fünf Monaten von acht auf 16 Prozent verdoppelt."

Thomas Geiger, Geschäftsführer von Comedia Computer GbR: "Reich wird man durch E-Commerce nicht, aber es schadet auf keinen Fall, im Netz zu sein."

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