Die Touchpoint-Analyse, Teil 4

Kundenemotionen – zwischen Enttäuschung und Begeisterung



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Bei einer Betrachtung der Berührungspunkte mit Kunden werden in gängigen Verfahren gern die folgenden Bewertungsstufen verwendet: negativ, neutral, positiv. Die ganze Emotionalität, die einen Kunden befallen kann und meist auch befällt, wenn er ein Produkt ersteht oder eine Dienstleistung nutzt, kommt dabei allerdings reichlich zu kurz, sagt Anne M. Schüller.

Ob Kundenerwartungen also verfehlt, erfüllt oder übertroffen wurden, zeigt eine entsprechende Touchpoint-Analyse. Denn jede Erfahrung, die Menschen machen, wird emotional markiert und so im zerebralen Erfahrungsspeicher notiert. Als ‚Like‘ oder ‚Dislike‘ wird sie dem Umfeld dann schließlich bekanntgegeben.

Um diese Emotionalität sichtbar zu machen, favorisierte ich eine Vorgehensweise, bei der jeder Interaktionspunkt auf seine Enttäuschungs-, OK- und Begeisterungsfaktoren hin analysiert wird. Diese Methode habe ich in Anlehnung an das Kano-Modell des japanische Universitätsprofessor Noriaki Kano weiterentwickelt.

Erwartungen verfehlt, erfüllt oder übertroffen?

Enttäuschungs-, OK- und Begeisterungsfaktoren können durch die eigenen Mitarbeiter identifiziert oder mithilfe von Kunden für jeden Touchpoint ermittelt werden. Man stellt (sich) die Frage, was der Kunde im Einzelnen erwartet und im Vergleich dazu erhält. Das Ergebnis vibriert zwischen herber Enttäuschung und hemmungsloser Begeisterung, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Ist ein Kunde enttäuscht, wird er Sie herbe bestrafen: mit Unbequemlichkeit, Nörgelei, verschärfte Reklamationen, anspruchsvolle Forderungen, verminderte Kaufpreise, Rechnungskürzungen, Fahnenflucht, üble Nachrede und Sabotageakten. All das tut er mit hohem Zerstörungsdrang. Sein Motiv? Rache! Vergeltung für empfundenes Unrecht! Solches Empfinden ist immer subjektiv - und es kann eine Menge Energie entfalten. Dabei wird zunehmend der "Anwalt" gewählt, der am meisten Druck machen kann: die digitale Öffentlichkeit.

Ist der Kunde hingegen begeistert, dann kauft er mit (Vor-)Freude ein - und immer wieder gern. Dann ist er blind und taub für den Wettbewerb. Dann wird er zum Fan, zum Fürsprecher und Meinungsmacher. Dann empfiehlt er Sie weiter, wo er nur kann. Ich nenne das den ‚Rosarote-Brille-Effekt‘. "Wo Begeisterung zum Vorschein kommt, verschwindet die Gleichgültigkeit", sagt der österreichische Aphoristiker Ernst Ferstl in seinem Buch Lebensspuren.

Enttäuschungsfaktoren sondieren

Mit dieser Kategorie von Merkmalen können Sie Ihre Kunden weder begeistern noch zufriedenstellen, aber Sie können es sich gründlich mit ihnen verderben. Wenn Sie beispielsweise in einem Elektroladen eine Designerlampe erstehen und den dortigen Elektriker beauftragen, diese bei Ihnen zu montieren, werden Sie eine schlussendliche Funktionsprüfung erwarten. Wird diese nicht durchgeführt und stellen Sie fest (kaum dass der Elektriker das Haus verlassen hat), dass die Lampe nicht brennt, werden Sie frustriert und unzufrieden sein. Macht er die Prüfung, ist das für Sie ganz normal. Mängel oder Fehler bei Enttäuschungsfaktoren tolerieren wir nicht, da es sich dabei ganz einfach um Selbstverständlichkeiten handelt.

Unsere negative Reaktion ist vor allem dann vehement, wenn man obendrein noch patzige Antworten bekommt, wie etwa die, man möge sich wegen der Kleinigkeit nicht so aufregen, das könne schon mal passieren. Explosiv wird es dann, wenn das, was uns ganz besonders am Herzen liegt, uns bitter enttäuscht. In einer funktionierenden Kundenbeziehung dürfen keinerlei Enttäuschungsfaktoren vorkommen, denn das bringt ganz schnell heftigen Ärger.

Und Ärger ist eine verschärfte Form von Enttäuschung. Gerade Fehler bei Nichtigkeiten geben dem Kunden das Gefühl der offensichtlichen Missachtung. So gilt es zu identifizieren: Welche Aspekte sind für Ihre Kunden ein absolutes Muss? Und stellen Sie sicher, dass zumindest diese dann bei jedem Kunden immer hundertprozentig erfüllt werden. Über alle Branchen hinweg sind das Themen wie Sicherheit, Sauberkeit, Höflichkeit und Ehrlichkeit. Zusatzleistungen bleiben völlig wirkungslos, solange es noch herbe Enttäuschungsfaktoren gibt.

Ziel bei den Enttäuschungsfaktoren: 0 Prozent Unzufriedenheit = 0 Prozent Bestrafung = Vermeidung von Illoyalität und negativer Mundpropaganda

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