E-Commerce verändert den Retailvertrieb

14.10.1999

HAMBURG: Die Entwicklungen im E-Commerce-Bereich verstören nicht nur IT-Einzelhändler. Auch - und besonders - den Retailmärkten stehen einschneidende Veränderungen bevor. Und wer hier den Anschluß verpaßt, "ist schneller tot, als er gucken kann", wie ein großer Retailer zusammenfaßt."Mir schaudert, wenn ich an die bevorstehenden Investitionen denke", schüttelt sich der Geschäftsstellenleiter eines Elektronikmarktes in Norddeutschland. "Aber wir müssen nachziehen, sonst bleiben unsere Kunden zu Hause und bestellen sich ihre PCs, den Videorekorder und den Toaster gleichzeitig im Internet." Das bestätigt auch Christian Nivoix, Generalmanager des IBM Global Distribution Sector anläßlich des eintägigen Kongresses "Shopping in the Future" vergangene Woche in Hamburg. Big Blue hatte dorthin mehrere Retailer aus verschiedenen Branchen sowie Journalisten aus aller Welt zusammengetrommelt.

"Das E-Business krempelt die komplette Organisation des Retailunternehmens um", formuliert Nivoix in seiner Rede. Vom Aussterben sei der Retailkanal zwar nicht bedroht, er müsse sich aber auf ein Nebeneinander verschiedenster Vertriebsmodelle einstellen. Deshalb, so der Tenor der ganzen Veranstaltung, täte jeder Retailer gut daran, sich zum einen selber mit professionell eingerichteten Webshops zu profilieren, den Kunden, die lieber noch ins Geschäft gehen aber gleichzeitig das Leben möglichst leichtzumachen. "Eine solche Multichannel-Landschaft bedeutet keine Kannibalisierung der Kanäle", gibt Nivoix am Ende seiner Rede Entwarnung. "Denn: Je mehr Kanäle es gibt, desto mehr kaufen die Leute auch!" lautet seine nicht von allen Anwesenden geteilte Meinung.

Die Investitionen, die eingangs erwähnten Retailer schaudern machten, fallen vor allem im Bereich Lagerhaltung, Service und, wie fast alle Sprecher auf der IBM-Veranstaltungen betonten, bei der Kundenbeobachtung an. Interessant sei: Wer kauft was?, In welchen Abständen?, Wie wird am liebsten bezahlt? Kunden werden nach Altersgruppen, Geschlecht und Berufszweigen seziert. "Solche Studien bekommt man nicht umsonst - und Selbermachen ist auch zeit- und kostenintensiv", weiß der Geschäftsstellenleiter aus schmerzlicher Erfahrung. "Scanning" nennt Michael Gerling, Managing Director des Euro Handelsinstitutes in Köln diesen Vorgang. Und die gesammelten Daten dürften nicht irgendwo im Nirvana verschwinden, sondern müßten in einer entsprechenden Kundendatenbank sorgfältig gespeichert und ständig aktualisiert werden. "Das Scanning ist der Schlüssel, um ein kundenorientiertes Unternehmen zu werden", unterstützt er die Ansicht von Nivoix, der Retail müsse sich von der reinen Produktorientierung schnellstens verabschieden. Er empfiehlt die Kundenbeobachtung und Fragebogenauswertungen. Er weiß von solchen Aktionen, die eine Rücklaufquote von 60 Prozent haben. Der Anreiz, die Formulare auszufüllen, müsse nur groß genug sein, ermutigt er anwesende Skeptiker.

"Das Management der Retailer ist immer noch viel zu weit weg vom Kunden", bemängelt Gerling. Wer letztendlich auch noch Kunden in seinem Geschäft sehen will, muß es schaffen, trotz Internet-Verkauf die Kundenbindung zu verstärken. "In Deutschland ist das von rechtlicher Seite zugegebenermaßen oft so verreguliert, daß es nicht so leicht ist wie in anderen Ländern", kann er sich einen Seitenhieb auf die starren Ladenöffnungszeiten in unserem Lande nicht verkneifen. "Aber was ist beispielsweise mit Kundenkarten, mit Loyalitäts-Bonus, wie das in den USA gang und gäbe ist?" Hier, so seine Meinung, muß noch massiv Überzeugungsarbeit geleistet werden (siehe auch Grafik).

Sein Institut plant übrigens die Vergabe eines Zertifikats für Onlineshops jedweder Couleur, an denen Kunden sehen, ob spezielle Sicherheitsstandards gewährleistet sind und ob die Preise und Versandformen transparent dargelegt werden und dergleichen. Über einen genauen Zeitpunkt hat er allerdings noch nichts verlauten lassen. (du)

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