Abrechnung mit New Economy: "Sippenhaft im E-Commerce"

19.04.2001
Elektronikversand-Chef Werner Conrad pfeift auf die Cebit, verzichtet auf den Börsengang und appelliert an alte Werte. Bei seiner Abrechnung mit der New Economy geriet die Vorstellung einer neuen Partnerschaft zur Nebensache.

Startup-Manager fahren Porsche, residieren in einem Penthouse und haben Aktienpakete, die nichts mehr wert sind. Werner Conrad mag es eher konservativ: Er fährt Jaguar, bittet zum Meeting auf die hauseigene Burg Wernberg und kann greifbare Erfolge seines Versandhandels im Internet vorweisen. Auch sonst ist er kein Freund der New Economy, so scheint es: "All die Jungunternehmer und Business-Plan-Schreiber, deren Geschäftsmodelle jeglicher ökonomischer Vernunft entbehrten, haben geglaubt, dass die New Economy über alle wirtschaftlichen Regeln und Erfahrungen erhaben sei", poltert das Oberhaupt des Familienunternehmens bei der Vorstellung einer neuen Partnerschaft mit SAP, Compaq und dem IT-Dienstleister Evivax.

Denn die technologische Entwicklung ist auch an Conrad Electronic nicht spurlos vorübergegangen, man will in den nächsten Jahren den Ausbau zum "Internet-basierten Multi-Channel-Unternehmen" in Angriff nehmen.

Nur "wirtschaftlich gesunde Unternehmen, die mit seriösen und fundierten Geschäftsmodellen arbeiten", könnten den derzeitigen Marktbereinigungsprozess überleben, glaubt der Enkel des Firmengründers. Zu den Erfolgreichen zählt er natürlich das eigene Haus: Im vergangenen Jahr sei der Internet-Umsatz der Gruppe im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent auf 105 Millionen Mark gestiegen, täglich würden über die Homepage 4.400 Bestellungen eingehen, 14,4 Millionen Mal pro Monat werde die Site inzwischen aufgerufen, berichtet der Manager. "Wir haben schlicht und ergreifend den Umsatz im Internet jedes Jahr nahezu verdoppelt." Man habe konsequent, aber - im Vergleich zur Konkurrenz - eben moderat in das Internetgeschäft investiert. "Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen."

Seitenhieb auf Internet-Gurus

Kräftig klopft er den Internet-Gurus, die schon das Ende des etablierten Versandhandels kommen sahen, auf die Finger: "Hart erarbeitetes Versandhaus-Know-how, das man sich über Jahre hinweg angeeignet hat, steht neuen Marktteilnehmern eben doch nicht innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung." Kleine neue Dotcom-Unternehmen haben erkennen müssen, dass die Idee allein nicht alles ist: "Erfolg kann nur der haben, der die gesamte Leistungskette beherrscht", sagt der Firmenchef.

Während viele Internet-Firmen nun also ums Überleben kämpfen, wagt sich die Conrad-Gruppe tiefer in das Zukunftsmedium hinein. Das starke Wachstum des dritten Vertriebsweges habe das erforderlich gemacht, erklärt Conrad. In Zusammenarbeit mit SAP, Compaq und Evivax sollen nun eine neue E-Commerce-Plattform auf Basis von "My SAP.Com" aufgebaut und die technologischen Voraussetzungen geschaffen werden, um interne Prozesse verstärkt auf das Internet zu verlagern.

Ein Meilenstein der neuen Multi-Channel-Strategie, so Conrad: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit unserer Partnerschaft und unserem Organisationsmodell schon sehr bald zahlreiche Nachahmer finden werden."

Dem Internet komme bei Conrad mittelfristig eine zentrale Bedeutung als Vertriebskanal, Plattform für den Ausbau der Kundenbeziehungen und als Werkzeug zur Optimierung bestehender Geschäftsprozesse zu. Deswegen werde man im Rahmen der neuen Partnerschaft noch "erhebliche Investitionen tätigen", die sich auch auszahlen werden, meint Conrad: "In einigen Jahren werden wir mindes-tens ein Viertel unserer Umsätze über das Internet erzielen und durch die Verbesserung der Prozesse deutliche Einsparungen realisieren."

Münchener Büro wird geschlossen

Verabschiedet hat man sich indessen von den eigenen Börsenambitionen. Im April des vergangenen Jahres wurden die Internet-Aktivitäten in der Conrad.com AG gebündelt, mit der man auch an den Neuen Markt gehen wollte. Nun wird die Firma wieder in die Gruppe eingegliedert, das Münchener Büro geschlossen. Inzwischen habe sich der Markt verändert, die Euphorie ist einer großen Verunsicherung der Anleger gewichen. Bedauerlicherweise hätten dabei "viele schwarze Schafe" noch mehr grundsolide Unternehmen mitgerissen, ärgert sich Werner Conrad. "Wir gehen davon aus, dass es noch einige Zeit brauchen wird, bis die Sippenhaft im E-Commerce wieder aufgehoben ist." Auf unberechenbaren Kapitalmärkten lasse sich halt keine unternehmerische Strategie realisieren. Und weil in den Augen des Unternehmens alles einen Sinn ergeben muss, hat er für die Cebit auch nicht viel übrig: "Was kann man in einer Viertelstunde schon strategisch groß besprechen? Ehrlich, Kaffeetrinken kann ich auch zu Hause."

www.conrad.com

ComputerPartner-Meinung:

Werner Conrad ist mit seiner "konservativen" Auffassung tatsächlich der lachende Dritte: In den letzten Jahren zählten Mausklicks und Marketing-Konzepte, jetzt kommt es wieder darauf an, was unter dem Strich übrig bleibt. Und bei Conrad bleibt offenbar genug übrig, damit man in eine moderne Zukunft investieren kann. (mf) Conrad Electronic ist mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Mark, 2.500 Mitarbeitern und einem über 50.000 Artikel umfassenden Sortiment das größte Elektronik-Spezialversandhaus in Europa. Das in Hirschau in der Oberpfalz ansässige Familienunternehmen hat 24 Verkaufsfillialen, sowie Tochter- und Partnerunternehmen in den wichtigsten europäischen Ländern. (mf)

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