Anwender können umfassend Vorsorge treffen

22.10.1998

BERLIN: Der Jahr-2000-Countdown läuft. Noch haben Anwender Zeit, Vorsorge gegen die weltweite drohende Milleniumgefahr zu treffen. Wie sich Betroffene vor dem vielbeschworenen Kollaps schützen können und wer im Einzelfall haftet, darüber berichtet im folgenden Beitrag Niko Härting*.Gut 400 Tage trennen uns noch von der Jahrtausendwende. Spätestens am Neujahrstag 2000 wird sich herausstellen, ob sich die vielfach düsteren Prognosen der letzten Jahre bewahrheiten und ob es tatsächlich zu dem befürchteten weltweiten Computercrash kommt.

"Y2K" - in den USA ist dieser Begriff seit Jahren geläufig zur Bezeichnung der Schwierigkeiten, die der Datumswechsel vieler computergesteuerter Systeme zur Jahrtausendwende bereiten wird. Die Eingabe des Begriffs "Y2K" in einer Internet-Suchmaschine ergibt zigtausend Treffer. Bereits seit Mitte der 90er Jahre ist der Milleniumwechsel in den USA in aller Munde.

Anders als in Deutschland war in den Staaten das Jahr-2000-Problem frühzeitig auch außerhalb von Computerfachkreisen bekannt. Amerikanische Wirtschaftsunternehmen, Regierungsstellen und Verwaltungsbehörden richteten bereits vor mehreren Jahren Gremien ein, die sich um die notwendige Vorsorge für die Jahrtausendwende kümmern. Die meisten Behörden und Unternehmen haben intern Richtlinien mit Arbeitsanweisungen für die Problembewältigung herausgeben.

Jahr-2000-Bestätigung von Geschäftspartnern schriftlich einfordern

Bei einem USA-Aufenthalt vergangenen Monat mußte ich überrascht feststellen, daß unter amerikanischen Anwaltskollegen nicht nur praktische, sondern auch rechtliche Fragen zu "Y2K" intensiv erörtert werden. Zahlreiche Anwaltskanzleien bieten ihren Mandanten Spezialberatung zur Vorsorge gegen Haftungsfälle. Gerade bei mittleren und großen Unternehmen ist es gang und gäbe, alle Geschäftspartner zur schriftlichen Bestätigung aufzufordern, daß Umstellungsvorbereitungen getroffen wurden.

Der Sinn einer solchen Bestätigung ist zum einen eine Art vornehmer Fingerzeig, daß sich Geschäftspartner, auf die ein Unternehmen angewiesen ist, auch tatsächlich des Jahr-2000-Problems annehmen. Zum anderen kann sie Haftungsgrundlage sein, wenn Unternehmen nach der Jahrtausendwende Schäden dadurch entstehen, daß beispielsweise die eigene Telefongesellschaft das Problem nicht in den Griff bekommen kann.

Das genaue Ausmaß von Computerstörungen, die auf die Jahrtausendwende zurückzuführen sind, läßt sich heute noch nicht abschätzen. Ist jedoch im Jahr 2000 ein Kaufhaus nicht mehr in der Lage, seine Kassen zu benutzen, rücken sofort Haftungsfragen in den Mittelpunkt. Mit Sicherheit werden sich ab dem 01.01.2000 landauf, landab Gerichte mit Jahr-2000-Haftungsfällen zu befassen haben.

Fehlerhaft nach Paragraph 459 BGB

Wer heute Software kauft, darf erwarten, daß sie Jahr-2000-kompatibel ist. Software, die dieses Feature nicht aufweist, ist fehlerhaft im Sinne des Paragraphen 459, Absatz 1, BGB. Der Käufer hat daher das Recht, die Software gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben (Wandelung). Gegen Schäden aus einer Benutzung der Software ist der Käufer hierdurch allerdings nicht umfassend gesichert.

Gewährleistungsansprüche verjähren gemäß Paragraph 477 BGB innerhalb von sechs Monaten nach der Lieferung und somit deutlich vor dem 31.12.1999. Kaufrechtliche Schadensersatzansprüche, das heißt, Ansprüche, die beispielsweise auf den Ersatz von Umsatzverlusten aufgrund von Softwarefehlern gerichtet sind, bestehen zudem nur, wenn der Verkäufer entweder den Käufer über die 2000-Fähigkeit arglistig ge-täuscht oder die Kompatibilität bindend zugesichert hat (Paragraph 463 BGB).

Jahr-2000-Garantie in Kaufverträge aufnehmen

Um sich als Kunde bei Softwarelieferungen ausreichend gegen das Jahr-2000-Problem abzusichern, empfiehlt es sich, in Kaufverträge ausdrücklich eine Zusicherung über die Jahr-2000-Fähigkeit der Software aufzunehmen. Außerdem sollte man sich zusätzlich eine Jahr-2000-Garantie geben lassen, deren Laufzeit über den 31.12.1999 hinausreicht, um gegen die ansonsten drohende Verjährung Vorsorge zu treffen.

Aus Verkäufersicht besteht an ausdrücklichen Zusicherungen und Garantien in Hinblick auf das Jahr 2000 naturgemäß kein Interesse. Denn derartige Zusagen erhöhen das Haftungsrisiko ganz erheblich. Wer Software verkauft, muß zudem darauf achten, daß Aussagen über die Jahr-2000-Kompatibilität nicht ins Blaue hinein abgeben werden, da ansonsten eine Schadensersatzhaftung wegen arglistiger Täuschung droht.

Zu guter Letzt ist der Verkäufer von Software gut beraten, seine Kunden auf das Jahr-2000-Problem hinzuweisen, wenn ihm diese Probleme im nachhinein bekannt werden. Haftungsrechtliche Informationspflichten können nämlich auch noch nach der Abwicklung eines Kaufvertrags entstehen, und zwar immer dann, wenn der Verkäufer erst später von gravierenden Mängeln der verkauften Produkte erfährt.

Hersteller haften bei "Y2K"-Problem für ihre Produkte

Noch größere Vorsicht als bei Standardsoftware ist beim Verkauf von selbst hergestellter Software zu empfehlen. Dem Hersteller drohen nämlich nach dem Produkthaftungsrecht im Falle von "Y2K"-Problemen vielfach Haftungspflichten. Wer als Hersteller zum jetzigen Zeitpunkt inkompatible Software in Umlauf bringt, muß befürchten, daß Anwender im Falle von späteren Sachschäden Haftungsansprüche geltend machen können.

In punkto Produkthaftung sind auch die Informations- und Produktbe-obachtungspflichten des Herstellers wichtig. Der Hersteller von Jahr-2000-untauglicher Software muß den Benutzer darauf hinweisen. Stellen sich Jahr-2000-Probleme bei einer Software heraus, die vor längerer Zeit hergestellt und verkauft wrude, ist der Hersteller verpflichtet, beispielsweise durch öffentliche Hinweise, die Anwender vor den möglichen Folgen nach dem 31.12.1999 zu warnen.

Jahr-2000-Probleme betreffen auch das allgemeine Haftungrecht

Das Jahr-2000-Problem ist keineswegs auf die Computerbranche beschränkt. Hier einige Beispiele: Kann ein Steuerberater nicht mehr arbeiten, weil seine Buchhaltungsprogramme fehlerhaft funktionieren, stellt sich die Frage der Haftung gegenüber den eigenen Klienten. Hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht rechtzeitig innerbetriebliche Vorsorge gegen das 2000-Problem getroffen, ist zu klären, ob er gegenüber den Aktionären persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

Generell stellt sich bei jeder Form einer vernetzten Geschäftsbeziehung die Haftungsfrage, sobald einem der Beteiligten durch einen Jahr-2000-bedingten Netzcrash wirtschaftliche Nachteile entstehen.

Wurde beispielsweise zwischen einem Unternehmen und einem Wirtschaftsprüfer, der aufgrund des Jahr-2000-Problems den überfälligen Jahresabschluß nicht rechtzeitig fertigstellen kann, keine konkrete Vereinbarung über die Haftungsrisiken getroffen, entscheidet der Einzelfall. Geklärt werden muß, ob dem Wirtschaftsprüfer Fahrlässigkeit im Sinne von Paragraph 276, Absatz 1, Satz 2, BGB angelastet werden kann.

Juristisch ist zu prüfen, ob der Geschäftspartner "die im Verkehr erforderliche Sorgfalt" beachtet hat. Diese Frage wird in manchen Fällen leicht zu beantworten sein, beispielsweise dann, wenn der Geschäftspartner veraltete Software nicht auf die Jahr-2000-Tauglichkeit getestet hat.

Schwieriger wird es, wenn der Geschäftspartner nachweisen kann, daß er zwar intensive Vorsorge unter Heranziehung ausgewiesener Fachleute getroffen hat, sämtliche Bemühungen aber vergeblich waren. In diesem Fall wird man mit Fug und Recht bezweifeln dürfen, ob dem Geschäftspartner Nachlässigkeit und Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden können.

Risiken steuern und begrenzen

Haftungsrisiken lassen sich dadurch steuern und begrenzen, daß bereits vorher klare Absprachen getroffen werden. Läßt man sich von seinen wichtigsten Geschäftspartnern zusichern, daß sie die Verantwortung für sämtliche Jahr-2000-Probleme tragen, so hat man die Gewähr, daß Haftungsansprüche im Falle eines Netz- oder Computercrashs geltend gemacht werden können. Um umgekehrt die eigene Haftung in Sachen Jahr 2000 zu begrenzen oder im Rahmen des gesetzlich Zulässigen auszuschließen, lassen sich ebenfalls entsprechende Vereinbarungen treffen.

Da sich Haftungsrisiken durch klare Absprachen steuern lassen, empfiehlt es sich - wie in den USA üblich -, eine Liste der wichtigsten Geschäftspartner zu erstellen. Auf dieser sollten auch Telefongesellschaften und Internet-Provider nicht fehlen. Von Fall zu Fall ist dann zu überlegen, ob nicht rechtzeitig vor dem 31.12.1999 Gespräche mit dem Partner in Sachen Jahr 2000 zu führen sind.

Soweit möglich sollten die getroffenen Zusagen und Absprachen schriftlich dokumentiert werden. Wenn es um den Abschluß neuer Verträge geht, darf das Thema Jahrtausendwechsel auf keiner Checkliste fehlen. Bei längerfristigen und wirtschaftlich wichtigen Verträgen sollte eine Jahr-2000-Haftungsklausel immer fester Bestandteil sein.

Auch wenn die Zeitbombe 2000 bereits tickt - für ausreichende rechtliche Maßnahmen gegen Schäden und für die Begrenzung der eigenen Haftungsrisiken verbleiben noch mehr als 400 Tage.

*Rechtsanwalt Niko Härting leitet die Berliner Kanzlei Härting und ist auf die Themen Multimedia und Immobilien spezialisiert.

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