ATM und Gigabit Ethernet - eine Positionierung

10.10.1997
MÜNCHEN: Seit 1996 arbeiten Netzwerkanbieter an der Hochgeschwindigkeitslösung Gigabit Ethernet. Es soll, so das Versprechen der Netzwerker, eine einfache und kostengünstige Migration der den Markt dominierenden Ethernet-Netze erlauben. Dieteuere ATM-Alternative scheint damit erneut nur zweite Wahl zu sein. Diesem simplen Gegensatz widerspricht Autor Wolfgang Trautner*: Er hält Gigabit Ethernet nur in reinen Ethernet-Umgebungen für sinnvoll, während ATM die bessere Lösung für heteroge Netze darstellt.

MÜNCHEN: Seit 1996 arbeiten Netzwerkanbieter an der Hochgeschwindigkeitslösung Gigabit Ethernet. Es soll, so das Versprechen der Netzwerker, eine einfache und kostengünstige Migration der den Markt dominierenden Ethernet-Netze erlauben. Dieteuere ATM-Alternative scheint damit erneut nur zweite Wahl zu sein. Diesem simplen Gegensatz widerspricht Autor Wolfgang Trautner*: Er hält Gigabit Ethernet nur in reinen Ethernet-Umgebungen für sinnvoll, während ATM die bessere Lösung für heteroge Netze darstellt.

Im Mai 1996 wurde im kalifornischen San Jose von Netzwerk-Anbietern wie zum Beispiel Compaq, 3Com, Bay Networks, Sun, UB die Gigabit-Ethernet-Allianz gegründet mit dem Ziel, Standardisierung und Akzeptanz des Gigabit Ethernet zu etablieren. Dieser neue Standard soll die zehnfache Durchsatzleistung des bekannten Fast Ethernet (100 MB/s) anbieten und insbesondere als Backbone-Lösung in großen Ethternet-Installationen zum Einsatz kommen. Die Arbeitsgruppe 802.3z des IEEE, die diesen Standard vorantreibt, muß in jedem Fall eine Abwärtsverträglichkeit mit heutigen 802.3-Geräten sicherstellen und das CSMA/CD-Schema beibehalten.

Was ist zu erwarten?

Für bestehende Ethernets soll im Backbone-Bereich eine deutlich höhere Bandbreite zur Verfügung gestellt werden, um zum Beispiel möglichst auch Multimedia-Anwendungen unterstützen zu können.

Ende 1997 werden wohl die ersten Implementierungen in Chipsets realisiert, danach die ersten Switch-Anbindungen und Server-Adapter auf den Markt kommen, um eine Migration von Fast Ethemet zu Gigabit Ethernet realisieren zu können. Weiterhin ist zu erwarten, daß bestehende Fast Ethernet- und FDDI-Backbones in eine Gigabit-Ethernet-Gesamtlösung integriert werden sollen, zunächst durch eine Aufrüstung von Fast Ethernet Switches oder über den Austausch von FDDI-Konzentratoren.

Zur Positionierung

Auch wenn ATM und Gigabit Ethernet viel Bandbreite anbieten, so stellt sich die Ausrichtung beider Technologien jedoch ziemlich unterschiedlich dar; Gigabit Ethernet sorgt lediglich für eine höhere Bandbreite im Ethernet-Umfeld als Ergänzung der bestehenden 10- beziehungsweise 100-MB/s-Lösungen im Campus beziehungsweise auch schon im Backbone-Umfeld. Stehen jedoch neue Anforderungen an, bei denen bestimmte Dienste garantiert werden müssen, so heißt die Lösung eindeutig ATM.

Der angestrebte Gigabit-Ethernet-Standard wird nach jetziger Erkenntnis keine neuen Funktionen für weitergehende Einsatz-Szenarien erhalten.

Reicht mehr Bandbreite aus?

Nachdem LAN Switches (mit 10 beziehungsweise 100 MB/s Durchsatzleistung je Port) heute schon eine Basis für virtuelle LANs bilden, soll nach den Vorstellungen der Gigabit-Ethernet-Verfechter mit der Implementierung der hohen Bandbreite zusätzlich die Voraussetzung für die kommenden Echtzeit-Anwendungen wie Multimedia geschaffen werden. Bei genauerer Betrachtung der Anforderungen an eine Netz-Technologie mit diesem Anspruch werden jedoch die Unterschiede deutlich sichtbar, die in der Konsequenz auf verschiedene Einsatz-Umgebungen der beiden Technologien hinweisen, die allerdings auch nebeneinander implementiert sein können. Aus der Sicht der strikten Bandbreitenerweiterung erscheint Gigabit Ethernet absolut logisch.

Gigabit Ethernet ist keine Desktop-Lösung

Der Medienzugang über das CSMA/CD-Protokoll, das heißt die Erkennung von Kollisionen während der Übertragung von Ethernet Frames, verliert bei Ethernet Switching und FDX-Anbindung der Geräte jedoch zunehmend an Bedeutung. Die Collision Domains können durch Zuordnung von Geräten, namentlich Servern und hochbeanspruchten Workstations, zu dedizierten Switch Ports auf wirksame Art verkleinert werden.

Reicht die Bandbreite allein für multimediale Anwendungen aus? Der Lösungsansatz als paketvermittelndes, verbindungsloses Netz mit variablen Paketlängen stellt keine gültige Voraussetzung für diese Art der Anwendungen dar, in der besonders isochrone Services garantiert sein müssen.

Hierfür wären im Ethernet komplexe Mechanismen erforderlich. Die Endgeräte, die mit 10/100 MB/s angebunden sind, bieten für diese Service-Anforderungen natürlich auch keine Antwort. Damit ist Gigabit Ethernet als Desktop-Lösung für multimediale Anwendungen nicht geeignet.

Reichen die Kabellängen?

Entscheidend ist offenbar auch, daß bei Gigabit Ethernet eine Kabellänge von lediglich zirka 25 Metern eine unerwünschte Limitierung darstellt, und daß im Backbone als dem angestrebten Primär-Einsatz von Gigabit Ethernet das CSMA1-CD-Protokoll keine große Bedeutung mehr haben dürfte.

Die Kabeldistanzen im Campus sind also kritisch für den Erfolg von Gigabit Ethernet, das heißt, es müssen besonders die bereits verlegten Glasfaserstrecken nutzbar sein. Während sie beispielsweise im FDDI-Umfeld (mind. 500 MHz x km Lange) noch problemlos einsetzbar sind, muß bei Gigabit Ethernet möglicherweise eine ganz andere Kodierung implementiert werden, um Distanzen von üblicherweise zwei Kilometern zu überbrücken (siehe Kasten Kabellängen).

Die Verträglichkeit muß stimmen!

Datenpakete, die aus dem Benutzerbereich über Switches zu einem im Backbone angesiedelten zentralen Server übermittelt werden, müssen infolge der verschiedenen Ethernet-Bandbreiten im Netz auf Layer 2 des OSI-Referenzmodells auch die Bandbreitensprünge ohne jede Einschränkung verkraften.

Das Bandbreitenverhältnis von 10:1 (Server zu Benutzer) setzt bekanntlich die Entwicklung entsprechender Adapter voraus.

Bei einer reinen Ethernet-Umgebung ist dieses Konzept der mehrstufigen Steigerung des Durchsatzes akzeptabel und auch effizient. Wenn jedoch Topologien integriert werden müssen, die mit anderen Protokollen (FDDI, Token-Ring) arbeiten, ist diese Konzeption mit reiner Bandbreiten-Erhöhung am Ende. Hier ist eine umfangreiche Konvertierung zwischen unterschiedlichen Paketformaten erforderlich, so daß die wesentlichen Vorteile des Layer-2-Switching (kostengünstig, hoher Durchsatz) entfallen. Damit wird auch eine wichtige Forderung der Bildung von virtuellen LANs unrealistisch.

ATM: Verbindungen zu allen Netzen?

Natürlich ist ATM mit einer anderen Ausrichtung entwickelt worden. Mit dem Anspruch, alle Topologien mit ihren Protokollen, den unterschiedlichen Leistungsmerkmalen und mit variablen Datenpaketen universell zu integrieren, ist noch nicht einmal der primäre Schwerpunkt von ATM definiert.

Die Architektur, die Zellen fester Länge übermittelt, orientiert sich primär an der verbindungsorientierten Ende-zu-Ende-Kommunikation, und dies ohne Unterscheidung zwischen Campus und Weitverkehrs-Bedingungen. Probleme bestehen derzeit bei der Integration verbindungsloser LAN-Protokolle, die broadcast-intensiv sind.

Mit der LAN-Emulation (LANE) mußten daher zwingend Definitionen zur Nachbildung der LAN-Protokoll-Eigenschaften getroffen werden. Dieses "Bridging" bringt somit derzeit noch nicht den vollen Nutzen, da zum Beispiel unter anderem noch die FDDI-Definition fehlt.

Aufwendige Standards bei ATM

ATM kennt in seinen Spezifikationen keine explizite Datenrate und kann auch auf den verschiedenen Übermittlungstechnologien aufsetzen.

Eine wesentliche Stärke sind seine Skalierbarkeit und Transparenz, die bisher von keiner anderen Technologie angeboten werden.

Die ATM-Übertragungsraten von 25, 100, 155, 622 MB/s (und spätestens in 1998 voraussichtlich 2,4 GB/s) werden auch die etablierten LAN-Spezifikationen des physical Layers im OS1-Modell von FDDI und Fiber Channel (also 100 beziehungsweise 155 MB/s) oder Weitverkehrs-Standards E3 (34,4 MB/s) und den heute schon erschwinglichen E1 (2 MB/s) unterstützt er. Die völlige Einbindung von LAN- und WAN-basierenden Spezifikationen ist die Basis für das komplexe Lösungsangebot von ATM, steht aber auch zugleich für die aufwendige Standardisierung, die letztlich auch heute noch proprietäre Lösungen für eine Reihe von Anbindungen mit sich bringt.

Welche Technologie wird also wo eingesetzt?

Gigabit Ethernet und ATM sprechen primär mittelständische und große Kunden an während Kleinunternehmen mit den bisherigen LAN-Technologien in aller Regel weiterarbeiten können.

Aufgrund seiner spezifischen Ausrichtung auf reine Bandbreiten-erhöhung unter Beibehaltung bestehender Standards (802.3) wird Gigabit Ethernet vorzugsweise als Backbone - Technik in reiner (Ethernet) LAN - Umgebung zum Tragen kommen, auch wenn derzeit die Kosten dieser Lösung noch längst nicht bekannt sind. Allerdings muß derzeit noch angenommen werden, daß (gegenüber Fast Ethernet) die Kosten anfangs etwa dreifach höher sein werden - bei zehnfachem Durchsatz.

Wenn also ATM ausschließlich wegen des Bandbreiten-Angebots zum Einsatz kommen sollte, dürfte Gigabit Ethernet den Vorzug bekommen. Dies wird sicher auch dann der Fall sein, wenn ATM mittelfristig aus anderen Gründen nicht eingesetzt werden wird. Hier ist es für den Benutzer beruhigend zu wissen, daß aller Voraussicht nach diese Lösung als Zubringer für ein späteres ATM-Backbone-Konzept aktuell bleiben wird.

Und ATM?

ATM verfügt über ausgesprochene Stärken im heterogenen Umfeld (Technologien und Services). Diese Architektur ist derzeit allein in der Lage, eine vollständige Integration - also auch unter Einbeziehung des Weitverkehrsbereichs - zu realisieren.

ATM stellt somit eine transparente Infrastruktur mit Ende-zu-Ende-Verbindungen zur Verfügung, ohne die physikalischen Medien mit ihren besonderen Merkmalen und die LAN-spezifischen Gegebenheiten besonders berücksichtigen zu müssen.

Die ATM-Vorteile in der Übersicht (auszugsweise):

- Universelle Integrationslösung für WAN und LAN

- Multiplexen verschiedener Datentypen auf einer Verbindung

- Bandbreitenzuordnung nach Bedarf (Skalierbarkeit)

- Garantierte Bandbreiten für Übertragungen von Ende zu Ende

- Quality of Services

- Schrittweise Implementierung bis zur vollständigen Integration

- Unterstützung aller bestehenden Kabeltypen

- Integration aller LAN-Geschwindigkeiten.

- Keine Einschränkungen in der Größe des Netzes

- Interoperabilität mit Fremdprodukten

- Bildung virtueller LANs

- Distributed Routing

- Broadcast Management

- Fehlertolerante Implementierung

- Redundanz

- Vollständige Flußkontrolle

- Modularität

- Vorhersagbares Durchsatzverhalten

- Umfassendes Management von ATM-Komponenten

- Parallelübertragung infolge Cell-Relay-Architektur

- Keine Shared Media-Einschränkungen

- Unterschiedliche Datendienste im gleichen Netz

- Multimediasupport

Fazit

Der Gigabit-Ethernet-Standard wird in absehbarer Zeit erwartet. Bis die entsprechenden Produkte verfügbar sind, werden nach Ansicht von Experten noch mindestens zwei Jahre vergehen.

Im ATM-Umfeld ist das Produktangebot nahezu vollständig verfügbar und es gibt bereits eine große Zahl von Installationen, die die Vorteile von ATM darlegen. Gigabit Ethernet und ATM werden nebeneinander bestehen, zumal Gigabit Ethernet eine geeignete Zugangs-Technologie mit hoher Leistung sein wird - auch unter der Maßgabe, daß heutige Geräte auszutauschen sind.

Netze wie das Internet brauchen ATM: Weil Internet sehr schnell wächst, weil Skalierbarkeit dringend nötig ist und weil bestimmte Services garantiert sein müssen.

* Autor Wolfgang Trautner ist leitender Berater Networking Produkte, Abteilung Marketing und Kommunikation Zentraleuropa, bei IBM Deutschland.

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