Aus der Praxis: was bei Fusionen allesschief gehen kann

16.01.2003
Sybille Ehlers, ehemalige Geschäftsführerin bei Interact, wurde imZuge der Fusion mit Sage KHK geschasst. Sie leitet heute die Geschäfte des Interact-Partners Solutum. ComputerPartner bat sie, ihreFusionserfahrungen zu kommentieren.

Bei einer Fusion oder Übernahme einer Firma sollte maßgeblich darauf geachtet werden, dass die Mitarbeiter in ein gemeinsames Team zusammengefasst werden können, wenn beabsichtigt ist, die Produkte durch den gleichen Vertriebskanal zu vertreiben. Synergie-Effekte sollten möglichst genutzt werden. Wenn man Einsparungen durch Personalabbau beabsichtigt, sollte man möglichst die erfahrenen Vertriebs- und technisch orientierten Mitarbeiter der beiden Fusionspartner in der neuen Firma belassen. Insbesondere die Mitarbeiter sollten bleiben, die den direkten Kontakt zu den Vertriebspartnern/Kunden gehalten haben, um eine gewisse Stabilität zu erhalten und zukünftige Vertriebserfolge nicht zusätzlich durch neue Mitarbeiter zu belasten. In Hinblick auf eine realistische Kostenplanung erreiche ich mittelfristig kein positives Ergebnis, wenn ich den Mitarbeiterstamm des Partners durch eigene, wenn auch kostengünstigere, Mitarbeiter ersetze, da die Einarbeitungszeit sowie der Vertrauensverlust bei den Partnern/Kunden diesen Kostenvorteil häufig wieder negieren.

In unserem Fall, bei der Übernahme von Interact durch Sage KHK, gab es nur eine Aussage: dass Interact eigenständig bleiben sollte. Die Entwicklungen für neue Produkte, insbesondere der Schnittstellen zur ERP-Familie von Sage, wurden aber bereits von Sage betrieben. Wir wurden in Deutschland in keiner Weise in Diskussionen über zukünftige Planungen einbezogen, nicht einmal in der Frage, wie die bestehenden Partner in ein gemeinsames Netz integriert werden könnten.

Über einen Zeitraum von einigen Monaten erhielten wir nur die Informationen über eingefrorene Budgets und über Entlassungen. Dadurch ist eine sehr starke Nervosität in der Interact-Belegschaft entstanden, die zu einer Situation geführt hat, dass nicht mehr mit der für den Vertrieb notwendigen Euphorie gearbeitet wurde. Notwendige strategische Entscheidungen wurden für eine lange Zeit ausgesetzt. Damit konnten auch bereits initiierte Verkaufsaktivitäten nicht durchgeführt werden, was zu einer sehr starken Frustration der Vertriebspartner geführt hat, die in der Folge nicht mehr so motiviert waren wie zuvor.

Man hat sicher durch das Einfrieren der Budgets Kosten gespart, diese Einsparungen aber in der Folge wieder verloren, da keine vertriebsfördernden Aktionen stattfanden und somit auch kein Umsatz erwirtschaftet wurde.

Wenn Firmen mit dem Zweck fusionieren, die Produktfamilien nicht nur über gemeinsame Vertriebswege zu vertreiben, sondern beabsichtigen, die Produkte zu integrieren, sollten man vor der Fusion die Möglichkeiten der Produktintegration sorgfältig eruieren. Dabei sind neben den technischen Voraussetzungen aber so wichtige Dinge wie Bestandskunden von beiden Partnern, Update-Möglichkeiten (siehe das neue Act 6.02 deutsch als aktuelle Version und in dem Sage-Kundenmanager noch die alte Version Act 2000), Cross-Updating und insbesondere die technische Betreuung wichtige Faktoren.

Besteht ein Partnernetz, in dem die Partner kostenintensive Autorisierungen durchlaufen mussten, so ist zu gewährleisten, dass diesen Partnern nicht durch das Partnernetz der neuen Firma oder durch die Firma (Direktvertrieb) unnütz Wettbewerb entsteht (siehe Sage-Kundenmanager versus Act). Wenn eine kostenpflichtige Autorisierung erfolgt, so ist, wie auch im Falle Act dieses sinnvoll, um eine professionelle Betreuung seitens der Handelspartner zu gewährleisten. Investiert ein Handelspartner in diese Autorisierung, will er sie auch durch Umsatz amortisieren und nicht durch die Herstellerfirma und/oder deren Vertriebsnetz unnötigen Wettbewerb erhalten, sondern man sollte durch die Fusion und dem damit größeren Produktangebot den bestehenden Handelspartnern die Möglichkeit bieten, davon zu profitieren.

Probleme können vermieden werden, wenn Strategien bereits vor Bekanntgabe der Fusion/Übernahme erarbeitet werden und die Partner sich weiter gut betreut fühlen können.

Es sollten Konzepte der Produktintegration, Zielgruppendefinitionen und Betreuung des Handelspartnernetzes nicht erst nach der Bekanntgabe der Fusion angedacht werden. Insbesondere die länderspezifischen Besonderheiten im Vertriebsstil (USA versus Europa) sollten unbedingt beachtet werden.

Kardinalfehler findet man auch bei der gedankenlosen Zusammenlegung von Hotline-Services, um Kosten zu sparen. Eine gute Hotline zeichnet sich durch viel Erfahrung mit dem Produkt aus. Es genügt bei einem Produkt wie Act oder dem Sage-Kundenmanager (Act plus Schnittstelle zum KHK Kaufmann) nicht, nur die Dokumentation zu kennen. Produkte wie Act, die in so vielen verschiedenen Umgebungen mit internationalen add-ons eingesetzt werden, sind schwierig zu supporten. Das zu Interact-Zeiten bestandene ACC-Netzwerk (Act Certified Consultant) hatte diese Erfahrungen über Jahre (bereits vor Interact zu Zeiten Symantecs) gesammelt. Diese Erfahrungen lassen sich nicht "über Nacht" portieren. Es sollten in jedem Fall die bestehenden Vertriebspartner weiterhin bevorzugt trainiert werden und als eine stabile Basis des Vertriebes erhalten bleiben.

Technisches Know-how, Training und dauerhafte Betreuung des Endkunden sollten durch das Partnernetz kontinuierlich erfolgen. Dafür müssen die Partner als strategisch wichtiger Bestandteil sorgfältig betreut werden und ständig durch Schulungen auf dem aktuellen Stand der Produktentwicklung des Herstellers gehalten werden.

Wenn bei einer Fusion das Händlernetz einer der Firmen demotiviert wird, ist es sehr schwierig, den Verkauf der Produkte weiter erfolgreich durchzuführen.

Zur Startseite