Auslaufmodell Familienunternehmen?

24.02.2000
Der Lebenszyklus von Familienunternehmen ist erschreckend kurz. Nach Angaben des Family Business Networkines Weltverbandes von Familienunternehmen schaffen es weniger als 20 Prozent bis zur zweiten und nur weniger als sieben Prozent bis zur dritten Generation. Steckt das Familienunternehmen in der Krise? Werden die Betriebe von Konzernen geschluckt, die zu allererst an kurzfristiger Gewinnerzielung interessiert sind? Rudolf Wimmer, Professor am Lehrstuhl für Führung und Organisation von Familienunternehmen am Deutsche Bank Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke, gibt dazu Auskunft.

Bevor wir über Familienunternehmen sprechen - was verstehen Sie darunter?

Wimmer: Ich spreche von Familienunternehmen, wenn ein Unternehmen im Eigentum einer Familie steht (oder mehrerer Familien, die häufig miteinander verwandt sind) und wenn diese Familie einen maßgeblichen, das Schicksal des Unternehmens bestimmenden Einfluss ausüben kann.

Welchen Anteil haben diese Unternehmen in etwa an der Gesamtzahl der Unternehmen?

Wimmer: In der europäischen Union dürften rund 75 Prozent aller Betriebe dem Typus Familienunternehmen zuzurechnen sein. Für Deutschland errechnete das Bonner Institut für Mittelstandsforschung kürzlich noch deutlich höhere Werte. Demnach liegt der Anteil deutschlandweit bei 92,8 Prozent. Mit wachsender Umsatzgröße nimmt der Prozentsatz der Familienunternehmen allerdings deutlich ab. Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Markt sind in den alten Bundesländern immerhin noch zu 50 Prozent in Familienhand. Mehr als 60 Prozent aller Arbeitnehmer sind in Familienunternehmen beschäftigt.

Wie interpretieren Sie die Daten des Family Business Network, wonach es nur die wenigsten Familienunternehmen bis zur dritten Generation schaffen?

Wimmer: Daraus muss man nicht unbedingt eine Scheiternsgeschichte ableiten. Es ist doch keine Tragik, wenn ein Unternehmen im Zuge des Generationswechsels verkauft wird, in ein anderes Unternehmen eingebracht wird. Von Scheitern kann man nur sprechen, wenn der Anspruch besteht, dass das Unternehmen in der Hand ein und derselben Familie bleibt. Diese generationsübergreifende Kontinuitätsvorstellung ist allerdings sehr häufig in Unternehmerfamilien anzutreffen. Die zugrunde liegende Fantasie, das Unternehmen hätte nur dann eine gute Zukunftsperspektive wenn es in der Familie bleibt und von den eigenen Kindern weiterbetrieben wird, ist vielfach selbst Teil des Problems (weil eben nicht rechtzeitig für geeignete Kooperationspartner gesorgt wird, weil ungeeignete Personen an die Unternehmensspitze gelangen oder weil die weichende Generation viel zu lange am Ruder geblieben ist und damit die überlebenssichernden Neuerungen unterblieben sind). Solche Zahlen dienen lediglich einer gewissen Ideologisierung oder dem Mythos familiärer Kontinuität, ein Mythos, der angesichts der Schnelllebigkeit der aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse ohnehin immer weniger aufrechtzuerhalten ist.

Was sind die Stärken, was die Schwächen von Familienunternehmen?

Wimmer: Es gibt im Vergleich zu Publikumsgesellschaften klare Unterschiede. Dies hängt mit der eigentümlichen Verzahnung von Unternehmen und Eigentümerfamilien zusammen. Ihre gemeinsame Geschichte färbt in ganz nachhaltiger Weise auf die Strukturen, die Kultur, die gesamte Identität beider Seiten ab. Wir beobachten im Unternehmen an allen Ecken und Enden familiäre Muster (wie beispielsweise kommuniziert und entschieden wird, wie Autorität und Führung ausgeübt und erlebt wird, welchen Stellenwert Kunden haben, wie mit dem Personal umgegangen wird, vor allem, was von ihm erwartet wird); wir sehen aber auch in der Eigentümerfamilie, wie sehr das Unternehmen das familieninterne Alltagsgeschehen prägt und dominiert. Diese wechselseitigen Prägungen stellen eine ganz wichtige Ressource dar, die von Publikumsgesellschaften nicht einfach kopiert werden können, selbst wenn sie es wollen.

Woran lässt sich dieser Wettbewerbsvorteil im Einzelnen festmachen?

Wimmer: Zum Beispiel an einer besonderen Form der Kundennähe, an einer besonderen Innovationskraft, die aus der großen Einfühlsamkeit gegenüber Kundenwünschen und daraus resultierenden Anstößen zur Produktentwicklung erwächst, an schlanken Organisationsstrukturen, an einer großen Loyalität und Einsatzbereitschaft der Belegschaft, die zu außergewöhnlichen Leistungen stimuliert, ohne immer sofort den Gegenwert in Heller und Pfennig zu erwarten.

Und die Probleme?

Wimmer: Die beispielhaft genannten Prägungen besitzen auch ihre Kehrseite. Sie können im Zeitverlauf leicht in ihr Gegenteil umschlagen und zur Selbstgefährdung werden: Die starke Bindung an bestehende Kunden macht leicht blind für bedrohliche Marktentwicklungen, die Verliebtheit in die eigenen Erfolgsprodukte kann dazu verführen, einschneidende Veränderungen in der Nachfragestruktur zu übersehen. Schlanke Führungsstrukturen erzeugen bei raschem Wachstum ein bedrohliches Führungsvakuum, das zwar im Moment oft nicht gleich erkennbar ist, dessen schleichende Folgen in der Regel aber katastrophal sind. Die gewohnte Intransparenz in finanziellen Belangen wirkt sich vor allem in krisenhaften Phasen verheerend aus, weil sie keine glaubwürdigen Anhaltspunkte für Sanierungsschritte bietet. Insgesamt gilt es festzuhalten, dass Familienunternehmen mit Krisen nicht besonders umgehen können, sie werden in der Regel zu spät erkannt. Das, was sich heute noch als Stärke erweist, kann schon morgen zum Risiko werden. Genau dieses Oszillieren von besonderem Erfolgspotential und genauso auffälliger Krisenanfälligkeit macht die Faszination von Familienunternehmen aus.

Wer hat die besseren Zukunftsaussichten: das Familienunternehmen oder die Publikumsgesellschaft?

Wimmer: In den 90er Jahren haben viele Publikumsgesellschaften versucht, eine Reihe von Stärken der Familienunternehmen zu kopieren - Lean Management, Reengineering der Geschäftsprozesse vom Kundennutzen her, die Dezentralisierung unternehmerischer Eigenverantwortung, der Prozess der ständigen Verbesserung et cetera. Diese Schritte haben insgesamt zu einer enormen Produktivitätssteigerung der Wirtschaft beigetragen. Damit ist die Wettbewerbssituation auch für Familienunternehmen deutlich schärfer geworden. Viele kleinere mittelständisch ausgerichtete Familienunternehmen werden in den nächsten Jahren diesem Druck nicht standhalten. Sie sind in ihrer Lerngeschwindigkeit nicht schnell genug, um aktiv und vorausschauend auf die radikal veränderte Wettbewerbslandschaft reagieren zu können. Man denke nur an die neuen Vertriebsformen, die durch das E-Commerce entstehen. Das heißt, der Ausleseprozess wird härter. Viele Familienunternehmen werden ihn aber mit besonderem Erfolg bestehen, jene nämlich, die ihre besonderen Merkmale als Erfolgspotential entdeckt haben und die darin steckenden Risiken zu beherrschen gelernt haben.

Brauchen Familienunternehmen eine "neue Offenheit"? Heinz Heinrich Bauer vom Hamburger Verlag beantwortete kürzlich die Frage zur Ertragslage des Unternehmens: "Ich lasse mir nicht gern in meine persönliche Brieftasche schauen."

Wimmer: Unzweifelhaft müssen Familienunternehmen lernen, anders als in der Vergangenheit mit ihren finanziellen Belangen umzugehen; insbesondere dann, wenn sie ihr Wachstum durch neue Formen der Eigenmittelbeschaffung finanzieren wollen, etwa durch die Hereinnahme von Beteiligungen oder ein Going Public. In diesem Zusammenhang kommt sowohl den Banken wie auch den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern eine wichtige Funktion zu, indem sie mithelfen, die wirtschaftlichen Ströme im Unternehmen transparent zu gestalten und sich klar von jenen der Eigentümer zu unterscheiden. In diesem Sinne brauchen Familienunternehmen tatsächlich eine "neue Offenheit", nicht zuletzt deshalb, um das eigene Unternehmen aktuell steuerbar zu halten.

Wie groß ist das Nachfolgeproblem? Stimmt es, dass von den kleinen und mittleren Firmen nicht einmal die Hälfte den Wechsel an der Spitze vorbereitet hat? Der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft, Michael Lezius, sagte einmal: "Oft ist nicht einmal geregelt, was passiert, wenn der Chef gegen den Baum fährt."

Wimmer: Hier handelt es sich tatsächlich um eine sehr ernste Problematik. Zum einen können viele Unternehmerfamilien, die in den nächsten Jahren übergeben müssen, nicht auf Nachfolger aus der eigenen Familie zurückgreifen. Zum anderen gibt es die viel beschriebene Schwierigkeit der weichenden Generation ja tatsächlich, den eigenen Abgang systematisch vorzubereiten und den Übergang gut zu managen. Hier spielen natürlich viele in der Unternehmerpersönlichkeit liegende Gründe eine große Rolle (die eigene Endlichkeit nicht akzeptieren wollen, kein festes Zutrauen in die Fähigkeit anderer, keine persönliche Perspektive für die Zeit danach, alle relevanten Prozesse im Unternehmen sind auf die eigene Person zugeschnitten - wie kann man da so einfach rausgehen?). Der Führungswechsel in Familienunternehmen zählt zu den ganz kritischen Phasen im Lebenszyklus solcher Unternehmen. Dies hängt unter anderem auch damit zusammen, dass in dieser Phase unweigerlich viele bislang latent gehaltenen Konflikte hochkommen, und zwar sowohl im Unternehmen wie in der Familie, zum Beispiel der Generationskonflikt, die Rivalität zwischen den Geschwistern, der Kampf zwischen unterschiedlichen Familienstämmen. Da Familienunternehmen bekanntermaßen keine besonders entwickelte Konfliktkultur aufweisen, sind sie in solchen Phasen ausgesprochen gefährdet. Sie neigen dazu, Opfer einer unbeherrschbar gewordenen Familiendynamik zu werden. Deshalb zählt ein gutes Konfliktmanagement (insbesondere für die Familie) zu den wichtigsten Maßnahmen für die Überlebenssicherung von Familienunternehmen.

Ihre Vision: Wie werden die nächsten Generationen von Familienunternehmen aussehen? Oder wird es gar keine mehr geben?

Wimmer: Eigentlich benötigen wir eine neue Welle von Unternehmensgründungen. Viele davon werden sich zu Familienunternehmen entwickeln. Die nächste Generation von Familienunternehmen wird aber deutlich nüchterner mit ihren Unternehmen umgehen. Der Kontinuitätswunsch wird sich abschwächen. Man wird Unternehmen gründen, sie erfolgreich machen und sich von diesen auch wieder trennen. Es wird immer schwieriger, die eigenen Kinder gegen ihren Willen und ihre Begabung ins Unternehmen zu zwingen. Daher wird es in Zukunft noch unwahrscheinlicher, dass Familienunternehmen über viele Generationen von ein und derselben Familie geführt werden. Dafür werden zumindest bei uns in Mitteleuropa die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer ungünstiger. Dieses eigentümliche Zusammenspiel zwischen Familie und Unternehmen wird es auch in Zukunft geben. Freilich werden sich die Ausdrucksformen drastisch ändern.

(Dieses Interview erschien erstmals in der "Süddeutschen Zeitung" vom 07.01.2000)

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