Berg- und Talfahrt ist an etablierten Börsen normalität

10.07.1999

MÜNCHEN: Die Kurskrise, die derzeit den Neuen Markt beherrscht, hat durchaus auch etwas Positives: Viele etablierte IT-Aktien sind jetzt billig wie nie. Und die nächsten Neuemissionen werden zu relativ niedrigen Ausgabepreisen zu haben sein.Die derzeitige Situation am Neuen Markt ist alles andere als rosig. Vorübergehend könnten die Notierungen noch weiter sinken. 2.250 Punkte im All Share und 2.600 Punkte im Nemax 50 sind durchaus möglich. Der Niedergang kommt jedoch nicht völlig überraschend. Viele Experten hatten monatelang nachdrücklich vor "Phantasiekursen" gewarnt.

Der Grund für die Kursrückgänge ist einfach: In der Emissionsflut ging den Bankern und Anlegern der Überblick verloren. 1997 gaben 17 Gesellschaften ihr Debüt, 1998 waren es bereits 45. Am zweiten Geburtstag des Neuen Markt am 10. März 1999 wurden insgesamt 76 neue Unternehmen notiert. Danach ging es Schlag auf Schlag. Bis Ende September hatte sich die Anzahl auf 156 Companies mehr als verdoppelt. Generell sollten die Neuen nicht mehr "blind" in der Hoffnung auf große Profite gezeichnet werden. Diese Zeiten sind vorbei.

Während vor wenigen Monaten die Frage lautete "Wie kommt man an hochrentable Going Publics heran?", heißt derzeit das Motto "Wie vermeidet man Fehler?". "Selbst die Stimmung für die ehemals begehrten IT-Aktien", weiß die DG-Bank, "hat sich stark verschlechtert." Die Bereitschaft, die im internationalen Vergleich sehr hohen Bewertungen am Neuen Markt zu akzeptieren, hat besonders bei ausländischen institutionellen Anlegern stark nachgelassen.

Für die Kursentwicklung eines Unternehmens ist letzten Endes entscheidend, ob das Umsatz- und Ertragsziel erreicht wird oder nicht. In dieser Hinsicht enttäuscht haben zum Beispiel Beta Systems, Cybernet, Data Design, Elsa, Graphisoft, Netlife sowie Mensch und Maschine. Die Einschätzung der jungen Titel ist recht schwierig. Als vernünftiger Anhaltspunkt für eine "faire Bewertung" gilt das PEG (Price Earning Growth). Es drückt das prozentuale jährliche Gewinnwachstum aus. Beträgt dies zum Beispiel 40 Prozent, so ist die Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 40 annähernd fair bewertet (KGV = aktueller Börsenkurs dividiert durch Unternehmensgewinn pro Aktie). Bis März dieses Jahres wurden die meisten IT-Aktien um ein Vielfaches höher bewertet. Dieser Bonus schmilzt jetzt weg.

Bisher war die Entwicklung des Neuen Marktes von sogenannten Sektorwellen geprägt. Hohe Zeichnungs- und Kursgewinne gab es bei Vorreitern wie Mobilcom oder Intershop. Der Anfangserfolg lockte immer mehr Anleger. Gleichzeitig zog es auch mehr Gesellschaften an die Börse. Im Februar brach die Welle ab. Danach dominierten die Medienaktien. Weiteres Wellenmerkmal: Die Qualität

der Neuemissionen läßt im Laufe der Zeit nach. Die Kurse beginnen zu

bröckeln, Ernüchterung macht sich breit. In dieser Phase befindet sich der Neue Markt zur Zeit.

Noch ist nicht aller Tage Abend. Nach dem Sell-out (Ausverkauf) beginnt die nächste Welle, ein neuer Aufwärtstrend setzt ein: Die Aktien der starken Firmen holen Verluste ganz auf, die anderen wenigstens teilweise. Dieser Trend dürfte im Laufe des nächsten Jahres beginnen. Daß eine weitere Korrektur das Wachstum des Neuen Marktes nachhaltig bremsen könnte, glaubt Börsenvorstand und Gründervater Reto Francioni nicht. Er warnt aber vor übertriebenen Erwartungen.

Auch die Nasdaq-Börse, das große amerikanische Vorbild, mit ihren Schwergewichten Cisco, Dell, Intel und Microsoft durchlief seit der Gründung 1971 verschiedene Berg- und Talfahrten. Im Jahr 1987 stand der Index bei 300 Punkten. 1990 sackte er crash-artig von 470 auf 330 ab. Bis Mitte 1998 stieg er dann auf 2.050 Zähler, um drei Monate später auf 1.400 abzustürzen. Danach ging es bis vor drei Wochen auf fast 2.900 Punkte stramm aufwärts. Der nächste Absturz kommt bestimmt. Unter solchen Aspekten hat der erst zweieinhalb Jahre alte Neue Markt noch einiges vor sich. (kk)

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