IBMs Blockchain Architect

"Blockchain kann noch nicht alle Versprechen halten"



Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Blockchain schickt sich an, ganze Branchen umzukrempeln. Aber was kann die Technik heute schon und was nicht? Und was hat die IBM damit vor? Angel Gonzalez, Blockchain Architect bei der IBM, im Interview.

CW: Wie kamen Sie dazu, für die IBM das Thema Blockchain zu betreuen?

ANGEL GONZALEZ: Die IBM hat beschlossen, in Blockchain zu investieren und hat das in der Gruppe "Emerging Technologies" in meiner Abteilung "Client Center" innerhalb des Entwicklungslabors in Böblingen angesiedelt, wo ich mich vorher lange mit Data Analytics beschäftigt habe. Ich fand das Blockchain-Thema interessant und habe sofort gesagt: Da mache ich mit! Zunächst ging es weiterhin eher um Analytics und weniger um Blockchain, mittlerweile hat sich das Ganze komplett gedreht. Dass ich jetzt ausschließlich mit Blockchain unterwegs bin, hat sich einfach so ergeben - wir hatten da kein spezielles Weiterbildungsprogramm oder so.

Angel Gonzalez ist als Executive IT Specialist und Client Architect for Blockchain & Analytics in den IBM-Entwicklungslabors Böblingen tätig.
Angel Gonzalez ist als Executive IT Specialist und Client Architect for Blockchain & Analytics in den IBM-Entwicklungslabors Böblingen tätig.
Foto: Angel Gonzalez, IBM

CW: Es fällt aber schon auf, dass die IBM das Thema Blockchain gerade massiv treibt und deutlich mehr zu tun scheint als andere große IT-Player. Warum?

GONZALEZ: Weil unsere Kunden das von uns verlangen. Sie fragen uns um Rat, was den Einsatz von Blockchain angeht. Da wir es für eine gute Technik halten, die aber in einigen Punkten noch verbesserungswürdig ist, erhalten wir dann den Auftrag, uns darum zu kümmern. Deshalb versuchen wir mit Blockchain gerade einen technologischen Sprung.

Wir beteiligen uns zusätzlich am Hyperledger-Projekt, in dem neben großen IT-Konzernen auch viele Start-Ups vertreten sind. Die wiederum verstehen Blockchain besser als die großen IT-Player und sind auch in der Lage, die Technologie schnell in konkrete Projekte umzusetzen. IBM möchte beides: eine eigene Unit und die Beteiligung an Start-Ups in diesem Bereich. Es hängt immer auch vom Kunden ab, welcher Ansatz nun der bessere ist. Unseren großen Corporate-Kunden fällt die Start-Up-Mentalität doch schon deutlich schwerer, die bedienen wir dann lieber aus unseren eigenen Reihen. Wenn wir zweigleisig fahren, können wir die großen Kunden bedienen und gleichzeitig mit den Start-Ups kooperieren.

Sinnvoll? Machbar? Preis?

CW: Wie sieht Ihre tägliche Arbeit in den Labs in Böblingen aus?

GONZALEZ: Meine Aufgabe ist, mit den Kunden zusammen herauszufinden, ob Blockchain für sie ein Thema ist, wie wir es bei ihnen einsetzen können und was es kostet. Andere Kollegen machen hingegen nichts anderes als Programmieren. Wieder andere bilden die Logik der dahinterliegenden Geschäftsprozesse ab.

CW: Welche Blockchain-Produkte bietet die IBM derzeit an?

GONZALEZ: Wir haben drei Linien von Produkten. Wenn jemand mit Blockchain anfangen möchte, kann er unseren Blockchain-Cloud-Service unter IBM Bluemix nutzen - entweder erst einmal nur zum Testen oder direkt für den Produktivbetrieb. Die dritte Möglichkeit ist eine On-Premise-Installation von Blockchain-Technik im heimischen Rechenzentrum. Die setzt auf Wunsch auch auf vorhandene Mainframes auf - "Secure Container" ist quasi eine Blockchain-Firmware, gerade für die Bankenwelt, die sehr stark auf Sicherheit ausgelegt ist. Wir sind in der Lage, den Code der Blockchain in eine Umgebung zu übertragen, in der es aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich ist, ihn zu knacken.

Auf der anderen Seiten bieten wir natürlich Beratungsleistungen an. Die meisten Anwenderprojekte beginnen nämlich mit der Frage: "Ist Blockchain für uns überhaupt sinnvoll?" Diese Frage ist dann meist nach ein paar Tagen beantwortet. Als nächstes geht es darum, ob es machbar ist und schlussendlich darum, wieviel es kostet. Blockchain an sich ist zwar gratis, weil die Technik dahinter als Open Source für jeden frei zugänglich ist - aber bestehende Geschäftsprozesse auf Blockchain anzupassen und auch Partner von der Sinnhaftigkeit dieser Technik zu überzeugen, ist aufwändig. Blockchain allein zu machen, macht nämlich keinen Spaß.

Sehen Sie in folgendem Video, wie Angel Gonzalez die technischen Hintergründe der Blockchain-Technologie erklärt:

Was Blockchain kann und was nicht

CW: Wann ist Blockchain für ein Unternehmen sinnvoll?

GONZALEZ: Immer, wenn ein unternehmensübergreifender Geschäftsprozess vorliegt, in dem zwischen mehreren Parteien Informationen fließen müssen. Solche Geschäftsprozesse funktionieren heute auch schon ohne Blockchain - mit dem Unterschied, dass niemand weiß, ob die Kommunikation immer richtig und korrekt abläuft und die ausgetauschten Informationen in jedem Fall echt sind. Immer wenn es ein Netzwerk von Parteien gibt, in dem es Datenaustausch geben muss, quasi einen komplizierten Prozess, an dem sich viele Unternehmen beteiligen - wie die Herstellung eines Autos, das Rechte-Management eines Musikalbums, die Herstellung von Zahnimplantaten -, überall dort, wo sich das Ganze durch eine einheitliche Datenbasis lösen lässt, ist Blockchain sinnvoll.

Ich komme zu dem Schluss, dass so gut wie jeder Prozess ein Kandidat für einen Blockchain-Einsatz ist. Bleibt nur die Frage, ob Blockchain in jedem Fall auch etwas bringt. Wenn es nur um eine saubere und effiziente Datenhaltung geht, braucht man kein Blockchain. Da gibt es seit Jahrzehnten gute Datenbanksysteme. Wenn es nur darum geht, Informationen auszutauschen, braucht man kein Blockchain. Da gibt es schon lange gute Anwendungen für. Aber wenn es um eine Kombination aus beidem geht - Datenhaltung und -austausch in einer sicheren Umgebung, konsistent, über mehrere Firmen hinweg, als Open Source, einfach zu entwickeln - da ist die Auswahl an Optionen natürlich viel kleiner - und da spielt Blockchain heute schon eine große Rolle.

CW: Was kann Blockchain nicht?

GONZALEZ: Blockchain kann noch längst nicht alle seine Versprechen halten, weil die Technologie noch nicht reif ist. Große Transaktionsvolumina zum Beispiel lassen sich bisher nicht verarbeiten. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis es soweit ist.

In folgendem Video klärt Angel Gonzalez über Vor- und Nachteile von Blockchain auf:

Makler, Notare, Banker müssen sich anpassen

CW: Es gibt ein paar praktische Blockchain-Cases, vor allem in den USA und im Bereich der Finanzindustrie und da vor allem bei den Kryptowährungen. Aber so wirklich viel zu sehen ist noch nicht. Wann wird sich das ändern?

GONZALEZ: Mehr als ein Drittel der aktuellen Projekte entfallen auf den Banken- und Versicherungssektor, das ist kein Geheimnis. Die Autohersteller sind sicher auch mit vorne dabei, auch die großen Industriekonzerne. Dann folgen der Healthcare-Bereich, Retail, TK und alle anderen. Blockchain-Projekte finden in allen Branchen statt. Konkrete Firmenprojekte kann ich derzeit zwar nicht nennen, in absehbarer Zeit wird es aber einige Ankündigungen geben.

CW: Ganze Berufsstände wie Makler oder Notare stehen durch Blockchain auf dem Prüfstand, wenn man den Technik-Enthusiasten Glauben schenkt. Wie ist Ihre Meinung dazu?

GONZALEZ: Ich bin einverstanden mit der Auffassung, dass bestimmte Aufgaben durch Blockchain obsolet werden - glaube aber nicht, dass ganze Berufe wegfallen. Natürlich wird beispielsweise die notarielle Beglaubigung von Verträgen überflüssig, weil sich das künftig mit Smart Contracts lösen lässt. Von einem Notar wird aber schon etwas mehr erwartet, als nur zu stempeln. Makler, Notare, Banker - alle diese Berufe müssen sich aber natürlich anpassen und verändern, um nicht überflüssig zu werden.

Blockchain hat das Potenzial, viele Berufszweige auf den Kopf zu stellen.
Blockchain hat das Potenzial, viele Berufszweige auf den Kopf zu stellen.
Foto: Montri Nipitvittaya - www.shutterstock.com

CW: Wie sieht der Abschluss eines Smart Contracts in der Praxis aus?

GONZALEZ: Nehmen Sie beispielsweise einen Musiker, der kurzfristig zum Aufspielen im Festzelt auf dem Oktoberfest engagiert werden soll. Das lässt sich schnell via Smart Contract eintüten - wenn zum Beispiel eine Verwertungsgesellschaft einen solchen bereits als Muster zur Verfügung stellt und der Veranstalter den einfach übernehmen kann. Durch diesen intelligenten Vertrag ist dann zum einen ein rechtsverbindliches Arbeitsverhältnis zwischen Künstler und Veranstalter sichergestellt, zum anderen sind zusätzlich alle Tantiemenzahlungen geregelt.

In der Praxis sieht das dann so aus: Der Veranstalter holt sich den Smart Contract von der Verwertungsgesellschaft, füllt ihn aus mit den Daten des vorgesehenen Künstlers und den Rahmendaten für den geplanten Gig und drückt auf den Senden-Knopf. Sofort bekommt der Künstler den Vertrag auf sein Smartphone, schaut sich das Angebot an, bestätigt es gegebenenfalls und ist - zack - schon engagiert. Der Künstler muss nichts weiter machen - er kann sich sicher sein, dass er seine Gage bekommt, seine Steuern und alle Tantiemen geregelt sind und so weiter. Und das Beste - das alles ist keine Zukunftsvision: Mit genau diesem Fall habe ich gerade zu tun gehabt.

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