Brain sieht sich für Kampf um Mittelstand gut gerüstet

18.02.1999

BREISACH: Die Planzahlen für 1998 sind übertroffen, alle Zeichen stehen weiter auf Wachstum: Brain International, Mitte vergangenen Jahres aus der Fusion der beiden AS/400-Softwaremittelständler Rembold + Holzer und BIW entstanden, ist wild entschlossen, die Marktmacht schlechthin für den Mittelstand zu werden. Konkurrenzlos aber sind die Schwarzwälder bei weitem nicht.Das große Vorbild - zumindest was das erfolgreiche Besetzen eines Marktsegments angeht - sitzt in Walldorf. "SAP hat es phantastisch verstanden, mit seiner Standardsoftware das Vakuum bei Großunternehmen zu füllen, das die IBM seinerzeit mit ihrem Rückzug hinterlassen hat", konstatiert Kurt Rembold, im Vorstand von Brain International für den Vertrieb zuständig. Genau dies sieht er auch als vorrangigste Aufgabe für sein Unternehmen im mittelständischen ERP-Geschehen (Enterprise Resource Planning) an. "Spätestens wenn die Themen Jahr 2000 und Euro vom Tisch sind, werden die Karten dort neu gemischt. Dann wird der bereits begonnene Konzentrationsprozeß noch einmal dramatisch verstärkt. Die Zahl der mittelstandsgerechten ERP-Anbieter wird sich auf nur wenige reduzieren", ist Rembold überzeugt.

Derzeit tummeln sich rund 200 bis 250 kleinere Softwarehäuser in der deutschen PPS- und ERP-Szene, schätzt Rembold. "Darunter sind IT-Unternehmen mit 40 bis 50 Mitarbeitern und 60 bis 80 Kunden. Diese Firmen werden es - allein auf sich gestellt - sehr schwer haben." Sie würden weder dem Druck der Großen wie SAP oder Baan noch dem Konkurrenzkampf untereinander standhalten und auch nicht die dann anstehenden Aufgaben bewältigen können. "Somit werden die Kunden Alternativen brauchen. Und das ist unsere Chance, die wir nutzen müssen!"

Grösse als wichtiges Entscheidungskriterium

Die Erkenntnis, daß die Größe eines Anbieters in diesem hartumkämpften Marktsegment für die mittelständische Klientel eine zunehmend wichtige Rolle spielt, hat die Lenker von Rembold + Holzer und BIW im vergangenen Jahr bewogen, ihre Aktivitäten zusammenzulegen. "Jeder für sich allein war zu klein, um den anstehenden Umbruch im Mittelstand aktiv mitgestalten zu können", betont Rembold. "Und mich persönlich hat gereizt, ein Unternehmen Brain International im mittelständischen ERP-Markt als die Nummer eins zu etablieren", gesteht er freimütig.

Der Schulterschluß hatte Sinn. R+H, mit seinen Standardsoftware-paketen - allen voran das dialogorientierte Produktionsplanungs- und Steuerungssystem XPPS - auf die mittelständische Zulieferindustrie fokussiert, brachte ein komfortables internationales Geschäfts-stellennetz in die Ehe mit ein. BIW wiederum, spezialisiert auf die mittelständische Bekleidungs- und Schuhindustrie, steuerte mit dem betriebswirtschaftlichen Komplettpaket Brain AS vor allem die technologische Kompetenz in Sachen Objektorientierung bei. Und beide Unternehmen liebäugelten für 1999 mit dem Gang an die Börse. "Mitte März vergangenen Jahres haben wir die ersten ernsthaften Gespräche geführt, am 21. August 1998 wurde die Fusion vollzogen", erinnert sich Rembold.

Daß Firmenzusammenschlüsse, ganz gleich in welcher Branche, meist unter keinem guten Stern stehen und scheitern, schreckte weder Helmut Polzer von BIW noch die R+H-Gründer Kurt Rembold und Thomas Holzer. "Der kritische Faktor ist die Zusammenführung der Mitarbeiter auf die neuformulierte Strategie - und dies vor allem in der Entwicklung und im Vertrieb", so Rembold. "Wir haben sehr früh damit begonnen, unsere Mitarbeiter an den notwendigen Veränderungen aktiv zu beteiligen." Außerdem veranstaltete man für die Entwicklungs- und Vertriebsabteilungen beider Unternehmen speziell auf sie ausgerichtete mehrtägige Konferenzen zum Kennenlernen.

Börsengang soll nicht nut Kapital bringen

Tatsächlich scheinen bei Brain nach der Fusion größere Reibungsverluste bislang ausgeblieben zu sein. Zwar mußte man in Sachen Profitabilitiät deutlich zurückstecken. Der Jahresüberschuß belief sich nicht zuletzt aufgrund der Fusionskosten nur auf 7,5 (Vorjahr: 17,9) Millionen Mark. Doch der Umsatz fiel höher aus, als die Vorstandsriege zur Systems im Oktober in Aussicht gestellt hatte. Statt der erwarteten 161 Millionen Mark Umsatz konnte der Softwarespezialist für die AS/400-Welt jetzt mit rund 1.400 Kunden 169,6 Millionen vermelden - gegenüber den Vorjahreseinnahmen von 112,4 Millionen ein Plus von fast 51 Prozent.

Auch der Personalbestand übertraf die ursprünglichen Angaben. 790 Mitarbeiter sollten Ende 1998 auf der Gehaltsliste stehen, 803 waren es schließlich. Allerdings nutzte Brain im Dezember die Gunst der Stunde und erwarb mit der Karlsruher Idee V Gesellschaft für Computer und Anwendungssysteme einen ihrer Systemhauspartner.

Weitere Firmenzukäufe sollen im laufenden Geschäftsjahr dazu führen, das angepeilte Umsatzziel von 270 Millionen Mark zu realisieren. Allerdings will Rembold bei den anstehenden Akquisitionen Vorsicht walten lassen. "Die Steinchen müssen zusammenpassen. Wir wollen auf keinen Fall den Fehler von Baan machen, alles zusammenzukaufen, was sich bewegt."

Zugeschlagen hat der mittelständische ERP-Spezialist schon kurz nach Jahresbeginn. Da erwarb man in der Schweiz die CIM AG, einen langjährigen Vertriebspartner in Sankt Gallen mit Schwerpunkt Fertigungsindustrie, und legte das Unternehmen mit den dort bereits bestehenden BIW-Aktivitäten zur Brain Schweiz AG Software & Consulting zusammen.

Am nötigen Kapital für die Shopping-Tour wird es nicht mangeln. Am 10. März will sich Brain International an den Neuen Markt wagen - pünktlich zu dessen zweitem Geburtstag und mit tatkräftiger Unterstützung seitens der Frankfurter DG-Bank als Emissionsbank. Am Going Public lockt Rembold jedoch nicht nur das Geld. "An der Börse zu sein, ist ausgesprochen publicityträchtig. Und mit Blick auf potentielle Mitarbeiter gewinnt man an Attraktivität." Rund fünf Millionen Mark Kosten sind für den Börsengang veranschlagt. Mit ein Grund, warum Rembold für das laufende Jahr kaum mit höheren Erträgen als 1998 rechnet. Ab dem Jahr 2000 aber soll sich die Profitsituation dann deutlich verbessern.

US-Markt im Visier

So vielversprechend die Zeiten für Brain International in wirtschaftlicher Hinsicht und in puncto Marktpositionierung derzeit aber auch sind - Übermut können sich die Schwarzwälder nicht leisten. "Wir haben noch jede Menge Arbeit vor uns, um die Kraft schlechthin im Mittelstand zu werden", konstatiert Rembold. Tatsächlich ist das Kundenpotential beträchtlich. Von geschätzten 35.000 AS/400-Kunden in Deutschland setzen allein rund 5.250 Fertigungsbetriebe auf das IBM-Midrange-System. "In diesem Markt sind wir mit aktuell 1.200 Installationen mit Abstand die Nummer eins", rechnet Rembold vor. Doch er verhehlt nicht, daß es auch unter den mittelständischen Softwareanbietern ernstzunehmende Konkurrenten gibt. "Firmen wie Soft M, PSI oder Infor unternehmen ähnliche Versuche im Sinne der eigenen Standortbestimmung. Allerdings ist dort die erforderliche internationale Komponente noch nicht klar erkennbar."

Ab einer bestimmten "Gewichtsklasse", sprich: Unternehmen mit einer Größenordnung ab 1.000 Mitarbeitern, kommen den Schwarzwäldern zudem die Großen ins Gehege. "Baan hat zwar im Moment sehr mit sich selbst zu tun. SAP dagegen versucht, gerade im internationalen Zuliefergeschäft über die Großkundenstrategie auch mittelständische Entscheidungen zu beeinflussen. Aber das hat IBM mit der 370-Architektur auch schon versucht", erzählt Rembold.

Dafür rechnet sich die Führungsriege von Brain im amerikanischen Mittelstand gute Chancen aus. "Der spielt für die SAP noch keine Rolle. In den USA hat sie noch zuviel Potential in ihrem 'Home-Markt', den Großkonzernen", sagt Rembold. Brain selbst ist in den USA bereits mit zwei Niederlassungen in Detroit und Atlanta vertreten. Eine dritte in New York soll in Kürze folgen. An die 25 Kunden in der Zulieferbranche konnte man bislang gewinnen. Für 1999 rechnet Rembold mit einem US-Umsatzanteil von etwa 14 Millionen Mark. In vier Jahren, so die heutigen Planungen, soll das US-Geschäft bereits 80 Millionen Mark zum Gesamtumsatz beisteuern. "Das werden wir schaffen", ist Rembold zuversichtlich. "Denn der US-Markt ist ungeheuer ergiebig." (bk)

Der Fusionsprozeß ist in vollem Gange, der Börsengang steht kurz bevor: Thomas Holzer, Helmut Polzer und Kurt Rembold (von links), die Macher von Brain International, erleben spannende Zeiten.

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