Branchen-Nachwuchs aus vier neuen IT-Berufen

18.02.1999

MÜNCHEN: Die deutschen Unternehmen der IT-Branche sparen nicht mit Wehklagen und Vorwürfen an die Politik, wenn es um das leidige Problem Fachkräftemangel geht. Doch mit den vor anderthalb Jahren eingeführten neuen IT-Berufen haben sie endlich ein Mittel in der Hand, einen großen Teil ihres Nachwuchses selbst heranzuzüchten. Und es funktioniert.75.000 bis 120.000 Computerspezialisten, je nach Quelle, fehlen in Deutschland zur Zeit. Ein Klotz am Bein der einheimischen IT-Anbieter im globalen Wettlauf um Märkte und Kunden. Wer ist schuld? Die Zeigefinger der Branchenvertreter weisen in der Regel Richtung Bonn und Hochschulen. Sie sollen mehr Geld für die Bildung ausgeben, und dafür sorgen, daß wieder mehr junge Leute Informatik studieren mögen. Tatsächlich ist dieser Studiengang bei den Abiturienten nicht sehr beliebt. Von 11.000 Studienplätzen waren im letzten Jahr gerade mal 7.000 besetzt. Und was die Computer-Ausstattung der Schulen angeht, dümpelt Deutschland im europäischen Vergleich ohnehin im letzten Drittel. Über die Gründe dafür wird häufig und ausdauernd gestritten.

Fest steht jedoch, daß die bekannten Ausbildungswege in die IuK-Branche, wie das Informatikstudium, der DV-Kaufmann oder der Kommunikationselektroniker, ohnehin entweder komplett veraltet sind oder nur einen kleinen Teil der im Markt geforderten Qualifikationen vermitteln. Der Diplom-Informatiker zum Beispiel läßt sich sicher gut in neon-beleuchteten Kellerräumen als Programmierer einsetzen, für den Kontakt mit Kunden bei Support und Vertrieb sind jedoch andere Fertigkeiten gefragt. Umgekehrt geht den meisten Kaufleuten und Quereinsteigern der nötige technische Sachverstand ab.

Dieses Dilemma ist nun gelöst. Im Juli 1997 haben sich Politiker, Gewerkschaften und Arbeitgeber auf vier neue Ausbildungsberufe geeinigt, die Theorie und Praxis, Technik und Vertrieb im IT-Geschäft aufs trefflichste verbinden (siehe auch Artikel auf Seite 48). Erstmals in der honorigen Geschichte der dualen Berufsausbildung in Deutschland wird nicht mehr streng zwischen kaufmännisch und gewerblich getrennt. Reale Geschäftsprozesse sind jetzt der Maßstab für die Ausbildung beispielsweise von IT-System-Kaufleuten, die in Zukunft auch kennen, was sie den Kunden verkaufen. Das flexible "learning by doing" ê la USA wird so mit den Tugenden der geregelten, deutschen Berufsausbildung vermählt.

DIE ERSTEN ERFAHRUNGEN SIND POSITIV

Noch gibt es keine Absolventen der dreijährigen Lehre in Betrieb und Berufsschule. Die ersten Erfahrungen sind jedoch positiv bis enthusiastisch. "Ich bin begeistert. Die neuen Berufe sind super angelaufen", freut sich beispielsweise Uve Samuels vom DIHT in Bonn. Ende September vergangenen Jahres gab es bundesweit bereits mehr als 13.000 Azubis und knapp 1.500 ausbildende Betriebe. Und das ist erst der Anfang. Mittelfristig, schätzt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), liegt das Potential an Ausbildungsplätzen bei 25.000. "Noch kennen die Berufe nicht alle, aber wir machen ständig Werbeaktionen und informieren die Betriebe", ergänzt Samuels.

Eines der Unternehmen, die bereits Bescheid wissen, ist die Inteco GmbH im schwäbischen Filderstadt. Geschäftsführer Rolf-Dieter Härter bildet bereits zwei Fachinformatiker pro Jahr aus. Im Herbst kommt noch ein System-Kaufmann dazu. Dann hat er insgesamt sechs Azubis. "Informatiker und Ausgebildete auf dem freien Markt sind zu teuer. Wir wollen nicht auf den Markt warten, sondern ziehen unseren Nachwuchs selber. Und mit den neuen Berufen wurde wunderbar eine Lücke geschlossen", erklärt Härter. Im ersten Jahr, hat er beobachtet, sind als erste die großen Anbieterfirmen vorgeprescht. Jetzt ziehen die kleinen und mittleren Betriebe nach, ebenso die Anwenderfirmen.

Dabei geht das Gedeihen der neuen Berufsbilder natürlich auch auf Kosten herkömmlicher Ausbildungsgänge wie des Kommunikationselektronikers oder des DV-Kaufmanns. Deren letztes Stündlein hat wohl geschlagen. Trotzdem ist der Zuwachs auch absolut. 20 Prozent der Betriebe, die zur Zeit in einem oder mehreren der neuen Berufe ausbilden, tun dies zum ersten Mal, hatten also bislang noch keinerlei Erfahrung mit Azubis.

So auch die Computerecke Carstensen GmbH in Bad Salzuflen. Der erst 1995 gegründete Dienstleister hatte nur drei Mitarbeiter, darunter aber mit Annegret Steinhof eine gelernte Drogistin und Fotokauffrau mit 20jähriger Ausbildungserfahrung. Inzwischen kümmert sie sich um drei angehende IT-System-Kaufleute.

Auch kleine Betriebe können ausbilden

Das Beispiel zeigt: Die Größe hat nichts damit zu tun, ob ein Unternehmen in der Lage ist, Nachwuchs auszubilden. Falls die eine oder andere in den Ausbildungsrahmenplänen vorgeschriebene Qualifikation im eigenen Betrieb nicht vermittelt werden kann, schließt man sich halt mit anderen zusammen. Ausbildungsverbund nennt man das. Es gibt sie praktisch überall. "Diese Verbünde funktionieren hervorragend. Es ist eine ganz formlose Geschichte. Die werden nicht registriert oder so. Deshalb weiß man auch nicht, wieviele es bundesweit gibt", weiß Manfred Haese von der IHK München zu berichten. Skeptischer klingt da sein Bonner Kollege Samuels: "Verbünde sind die Ausnahme. Es entstehen ja auch Kosten und Aufwand für die Organisation und Koordination zwischen den Partnerbetrieben", gibt er zu bedenken.

Nach ihrer Qualifikation müssen sich natürlich nicht nur die ausbildungswilligen Betriebe fragen lassen. Auch von den Bewerbern wird einiges verlangt. Hauptschulabschluß ist das Minimum, in der Regel läuft aber unter der mittleren Reife gar nichts, vor allem wegen der verlangten Kenntnisse in Englisch und Mathe. Wie auf den Unis gibt es aber trotzdem mehr offene Stellen als Bewerber. Die besseren von ihnen verschmähen dann oftmals noch die kleineren Unternehmen. "Die großen Namen ziehen noch. Ich kriege nicht unbedingt immer die Einser-Kandidaten", gesteht Härter, der mit 40 Mitarbeitern rund acht Millionen Mark Umsatz macht. Eine Konkurrenz zwischen dualer Ausbildung und Studium gibt es aber noch nicht, auch wenn immer mehr Studienabbrecher ihr Heil in den Lehrberufen suchen. Zu unterschiedlich sind die Lerninhalte.

Allseits bedauert wird der niedrige Frauenanteil unter den Bewerbern. Weniger als 15 Prozent der Azubis sind weiblich. "Das ist schade. Wir ziehen, wann immer möglich, weibliche Bewerber vor. Das gibt einfach ein besseres Betriebsklima als eine reine Männertruppe", bedauert Härter.

Die Kosten machen sich schnell bezahlt

Überschaubar sind die Kosten, die ein Auszubildender verursacht. Härter rechnet mit 1.500 bis 2.000 Mark pro Monat, Lohn und alle weiteren Aufwendungen, wie Arbeitsmittel und Möbel, eingeschlossen. Das ist wenig im Vergleich etwa zu den Handwerksberufen, wo Ausstattung wie Maschinen und Schutzkleidung viel stärker ins Gewicht fallen. Schon im dritten Lehrjahr, so die allgemeine Überzeugung, machen sich diese Investitionen in Form eines voll einsetzbaren Mitarbeiters bezahlt.

Voraussetzung dafür: Die Qualität der Ausbildung und das Engagement auf beiden Seiten stimmen. Bei Inteco beispielsweise wird viel Wert darauf gelegt, daß der Nachwuchs sich nicht die Zeit mit Trockenübungen für den Papierkorb vertreiben muß.

"Wir behandeln die Lehrlinge als separate Gruppe mit einem Coach. Die kriegen dann eigene Projekte, wie die Anbindung von Außendienstmitarbeitern an ihr Unternehmen, die Pflege und die Auswertung unserer Internet-Seite oder die Installation einer TK-Anlage", berichtet Härter mit einigem Stolz.

Auch das Zusammenspiel mit den Berufsschulen klappt, anders als im Handwerk, schon jetzt im großen und ganzen reibungslos. Geschätzt wird etwa der Blockunterricht, der verhindert, daß die Azubis immer wieder aus dem Tagesgeschäft gerissen werden. "Die Zusammenarbeit mit den IT-Betrieben ist im Vergleich sehr gut. Das Interesse am Austausch von Informationen ist sehr hoch, weil das ganze ja für beide Seiten noch etwas Neues ist", lobt umgekehrt Klaus Hesse, Studiendirektor an der Elektronikschule Tettnang.

Zu den allerorten strahlenden Gesichtern trägt nicht wenig bei, daß die Karriereaussichten für die ersten Jahrgänge der neuen Berufe mehr als rosig sind. "Bei den späteren Gehaltsverhandlungen habe ich sicher gute Karten", freut sich etwa Heiko Grebing. Der 21jährige ist angehender Informatikkaufmann bei einem Büromöbel-Anbieter am Bodensee und ist dort im zweiten Lehrjahr schon de facto Systemverwalter. "Ein Studium kam für mich nicht in Frage. Schon wieder fünf Jahre die Schulbank drücken? Nein, danke. Und ein Informatiker verdient dann auch nicht unbedingt mehr als ich", glaubt Grebing. Härter, selber Diplom-Informatiker, gibt ihm recht: "Die liegen vom Gehalt her knapp unter den Studienabgängern - auf jeden Fall über Tarif." Mittelfristig erwartet der Unternehmer aber "realistischere Gehälter. Zur Zeit haben wir wegen Jahr 2000 und Euro-Umstellung einen Boom. Wenn das erledigt ist, beruhigt sich der Markt wieder", ist er sich sicher.

Doch auch bis dahin ist er überzeugt, daß "seine" Azubis ihm treu bleiben und sich nicht mit dem Zeugnis in der Hand auf die Suche nach dem bestbezahlten Job machen. "Wir gehen davon aus, daß sie bleiben. Wenn Leute gehen, dann ist das eher unsere eigene Schuld", erklärt der Schwabe selbstkritisch.

Alles in allem präsentieren sich die Ausbildungsberufe der Computerbranche bisher als Erfolgsgeschichte. Doch wo viel Licht ist, wird es doch wenigstens ein bißchen Schatten geben. Den haben die Azubis selber ausgemacht: "Die Lehrpläne sind noch sehr schwammig. Im Detail herrscht in den Schulen und Betrieben noch viel Ahnungslosigkeit. Ich wollte eigentlich meine Lehrzeit um ein halbes Jahr verkürzen, aber es war nicht möglich. Es gab noch keine Prüfungsaufgaben", bemängelt Grebing.

Azubis kritisieren Lehrpläne und Prüfungen

Die Schüler der Bertolt-Brecht-Kollegschule Duisburg stellen das Für und Wider ihrer Ausbildung sogar im Internet zur Debatte. Wenig Anklang finden etwa die Multiple-Choice-Tests, die in den bisherigen Zwischenprüfungen eingesetzt wurden. "Hieß es nicht irgendwo 'handlungsorientiert, kommunikativ und selbständig'?", kritisiert ein Azubi das stupide Verfahren. Ein anderer vermißt den Praxisbezug im Fach Anwendungsentwicklung: "Es wäre sicherlich sinnvoller, mehr mathematischen und programmiertechnischen Hintergrund zu unterrichten als exemplarisch eine Sprache, die in einigen Betrieben vielleicht gar nicht eingesetzt wird." Mit etwas Wohlwollen lassen sich diese Mängel im Detail als Kinderkrankheiten verzeihen. Die

Zufriedenheit überwiegt - auch bei

Inteco-Chef Härter: "Selber ausbilden? Ich würd's jedem raten." (ld)

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