CeBIT '98: "Das Wetter war schön - vor allem in Halle 1"

04.03.1998

HANNOVER: Das Leben auf der CeBIT verdient auf keinen Fall die Bezeichnung "artgerecht". Jeder aus der IT-Branche weiß das. Und doch pilgern Tausende von Computerspezialisten, -freaks und -laien jedes Jahr im März nach Hannover - um zu sehen und gesehen zu werden.

Donnerstag, 19. März, 20.30 Uhr, Halle 6: Keiner der vielen Gäste brauchte die Standnummer von Computer 2000. Man konnte getrost der lauten Musik nachgehen. Hauptsache, die rote Peperoni prangte am Revers. Ohne Button - kein Einlaß. Zumindest offiziell. Und sie kamen alle, trotz des langen Messetages, trotz anstrengender Gespräche und trotz der wunden Füße. Party muß sein! Es war ja auch einiges geboten. An diesem Abend lockten Hot Chocolate, Häppchen und jede Menge interessanter Gäste. Und das Angebot zog, der Stand war gut gefüllt und die Stimmung hervorragend.

Auch auf anderen Messepartys tobte der Bär. Ob bei Macrotron, Actebis, CHS, Nokia oder Frank & Walter in Braunschweig - am Abend feierte die CeBIT sich selbst. Wenn auf diesen Partys in diesem Jahr nicht soviel getanzt wurde wie sonst, dann lag das daran, daß alle sich soviel zu erzählen hatten: Themen gab es satt: Die Hochzeit zwischen Datura und Metrologie, die zwischen Connect Service Riedlbauer und NT Plus und nicht zu vergessen die Gerüchte um C2000.

Rekorde blieben auch dieses Jahr nicht aus

Produkte standen nicht im Zentrum des Interesses. Kein Wunder. Von der Produktseite her gab es auch dieses Jahr nichts, was nicht schon vorher bekannt war. Alle Produktneuheiten waren abzusehen oder wurden von den Herstellern bereits im Vorfeld angekündigt.

Die CeBIT 1998 brachte, wie erwartet, nach dem Ausstellerrekord auch wieder einen Besucherrekord. 7.250 Austeller aus 60 Ländern belegten in 25 Hallen insgesamt 371.003 Quadratmeter. 1997 waren es noch 6.909 Aussteller mit einer Ausstellungsfläche von etwa 352.573 Quadratmetern. Rund 670.000 (606.162) Menschen sahen sich das Spektakel an, daß die IT- und die TK-Branche veranstalteten.

Nach acht Tagen CeBIT wußten die Aussteller in den meisten Fällen positives zu berichten. "Wir sind mit hohen Erwartungen auf die CeBIT gekommen. Diese sind übertroffen worden", freut sich Christian Hildebrandt, Chef der PC Division von IBM. Peter Oberegger, Geschäftsführer von Nokia Display Products GmbH, erklärt: "Dies war die beste Messe, die wir je hatten." Holger Lampatz, Geschäftsführer der Maxdata Computer GmbH spricht von "hohem Andrang und hoher Qualität der Gespräche". Dies bestätigte auch Uwe Kemm, Vertriebsleiter von Adobe, am Sonntag: "Wir hatten nach drei Tagen bereits 3.000 qualifizierte Leads. Für die gesamte Messezeit gehen wir von 5.000 bis 6.000 hochwertigen Kontakten aus, die wir an unsere Fachhändler weiterleiten können." Das liegt nicht zuletzt an den 577.000 Fachbesuchern, die während der diesjährigen CeBIT gezählt wurden. Im letzten Jahr waren es noch 533.000 professionelle Besucher.

Es gab jedoch auch kritische Stimmen: Trotz der steigenden Fachbesucherzahlen beklagt zum Beispiel der Geschäftsführer des französischen Computerherstellers Bull, Kaj Green, "zuviel Show und zuwenig Business. Die CeBIT läuft Gefahr zu einer Verbrauchermesse zu verkommen."

Dem Geschäftsführer der Avnet CMG GmbH, Peter Richter, ist die CeBIT in den letzten Jahren einfach zu bombastisch geworden. Er fragt sich, ob nicht ein Trennung zwischen Informationstechnik und Tele-kommunikation sinnvoll wäre.

Die CeBIT-Branchen sind im Aufwind

Dennoch: Jörg P. Stielow, Vorsitzender des CeBIT-Messeausschusses ist sich sicher, daß die CeBIT '98 ein gutes Nachmessegeschäft ergibt. Das liege allerdings auch am konjunkturellen Aufschwung, den die IT- und die EDV-Branche seit dem letzten Jahr zu spüren bekomme und der sich dieses Jahr fortsetzen werde.

Auch die beiden Verbände für Elektrotechnik (ZVEI) und Maschinenbau (VDMA) zeichnen ein positives Bild der Branche. Laut Verbands-sprecher Jörg Menno Harms stieg der Umsatz der Branchen IT (Informationstechnik) und TK (Telekommunikation) im letzten Jahr um rund sieben Prozent auf 180 Milliarden Mark. 1998 werde der Markt um 7,4 Prozent auf 193 Milliarden Mark wachsen. Dieser Trend, so Harms, läßt sich voraussichtlich auch 1999 fortsetzen. Die Bundesrepublik

liege damit nach den USA und Japan an dritter Stelle in diesem Markt.

Die Messe platzt aus allem Nähten

Optimismus kann man denn auch in den Messehallen beobachten. 46,2 Prozent der ausstellenden Unternehmen schätzten die Entwicklung der IT- und der TK-Branche nach Ende der Messe für die nächste Zeit als günstig ein.

Stielow ist zwar erfreut, aber nicht erstaunt, daß 90 Prozent der Aussteller im nächsten Jahr nicht nur wieder an der CeBIT teilnehmen wollen, sondern ihre Standflächen sogar erweitern wollen.

Ob Stielows Freude sehr lange anhalten wird, darf bezweifelt werden. Denn allzuviel Platz gibt es auf dem Messegelände nicht mehr. Nächstes Jahr wird eine weitere neue Halle eingeweiht, dann ist Schluß. 380.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche ist das Höchste, was das Messegelände zu bieten hat. Die neue Halle wird eine Kapazität von ungefähr 9.000 Quadratmetern haben. Demgegenüber stehen dieses Jahr schon 350 Aussteller auf der Warteliste mit Platzwünschen von gut 25.000 Quadratmetern. Die Rechnung geht nicht auf, schon gar nicht wenn auch die vorhandenen Aussteller ihre Stände noch erweitern wollen.

Die bereits eröffneten Nachwuchshallen 12 und 13 sind bei Ausstellern und Besuchern außerordentlich gut angekommen. Durch die neuartige Architektur konnten sogar gegen 18.00 Uhr in Halle 13 noch einige der in diesen Hallen angesiedelten PC-Hersteller lächeln: "Die Luft hier ist besser als in der dunklen, geschlossenen Halle 1." Wenn die Messegesellschaft sich nun auch noch dazu entschließen könnte, die Shuttlebusse für Besucher und Aussteller in die neuen Hallen regelmäßiger fahren zu lassen, könnten sich die neuen Hallen zu den Publikumslieblingen entwickeln.

Standschiebereien in Hannover

Die Platzschwierigkeiten der Messegesellschaft sind vielleicht auch der Grund für den rüden Umgang, den einige Aussteller dieses Jahr durch die Verwaltung zu spüren bekamen. Hallentausch, war das Motto. Der amerikanische Softwarehersteller Corel zum Beispiel wurde sehr zur Freude des Unternehmens nun endlich in Halle 2 direkt neben Microsoft plaziert. "Wir fühlen uns hier sehr wohl. Bisher waren wir in Halle 5 auf dem kanadischen Gemeinschaftsstand. Dort hat uns keiner gefunden. Hier übersieht uns niemand." Des einen Freud ist des anderen Leid, so ist das nun mal. Erwischt hat es in diesem Fall die Softwarehersteller Star Division und Micrografx. Während der Office-Anbieter Star Division eigentlich gar nicht so unzufrieden ist mit seinem neuen Platz in Halle 5, ist Micrografx mit dem neuen Standort in Halle 8 sehr unglücklich. "Wir passen nicht in die Halle. Uns war schon immer wichtig, die Microsoft-Kompatibilität zu demonstrieren und deshalb gehören wir in Halle 2. Außerdem ist es hier zu laut", jammert Klaus Kurz, Product Manager von Micrografx. Verständliche Klagen, denn leise ist die Multimedia-Halle wahrlich nicht. Gerade in direkter Umgebung eines Soundkartenherstellers wird das Leben in Halle 8 ziemlich laut. Micrografxs größte Hoffnung ist im nächsten Jahr die neue Halle. "Vielleicht ergibt sich ja dann wieder ein Hallentausch und wir bekommen einen geeigneteren Standort", hofft Kurz.

Doch nicht nur durch derartige Aktionen wurde die Freude über die guten Kundenkontakte getrübt. Hannover hat es auch nach 18 Jahren noch nicht geschafft, eine ordentliche Infrastruktur auf die Beine zu stellen.

Zugegeben: Die Ausstellerzahl hat sich seit 1970 mehr als verzehnfacht. Allein die Aussteller und Restaurants auf der Messe stellten dieses Jahr mit Standpersonal, Servicekräften oder Wachdiensten ungefähr 80.000 Beschäftigte pro Tag. Das ist in etwa um 20.000 mehr als die Besucherzahl, die die Hannoveraner Messemacher den Medien im Jahr 1970 meldete. Insgesamt dürfte Hannover während der CeBIT über 1,2 Millionen mehr Einwohner haben als sonst.

Hannover - eine Messestadt?

Kein Wunder also, wenn es wieder einmal wie jedes Jahr zuging: Taxis waren Mangelware, Parkplätze in Sichtweite zum Messegelände wurden höher denn je gehandelt. Die Unterkünfte erinnerten wie jedes Jahr bei manchem armen Fachbesucher an ein Kinderzimmer, und die Restaurants waren nach wie vor überfüllt. Keinen Mangel gab es jedoch an Baustellen, die die Stadt hübsch gleichmäßig an allen strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkten Hannovers plaziert hatte. Dementsprechend katastrophal war auch dieses Jahr wieder der Verkehr rund um die CeBIT. Viele Zufahrtswege waren vorübergehend gesperrt und die Parkplatzeinweiser anscheinend nicht immer ortskundig. So kam es, daß viele Aussteller großes Engagement aufbringen mußten, um mit Gepäck und Arbeitsmaterial die kilometerlange Strecke zu ihrem Stand zurückzulegen. Selbst die Taxifahrer hatten mit dem nicht immer sehr freundlichen Parkplatzpersonal Probleme, denn auch sie wurden samt Fahrgästen immer wieder von der Messe weggelotst, anstatt zu ihr hin gelotst.

Am Freitagabend, dem ersten großen Abreisetag, war das Chaos dann perfekt. 44.000 Autos versperrten die Abfahrten vom Messegelände. Auf Hannovers Straßen und allen Autobahnen Richtung Süden ging nichts mehr. Auch die Züge hatten ihre liebe Not. Ein technischer Defekt setzte die Oberleitungen der Nord-Süd-Strecke kurz vor Hannover außer Betrieb, was zu nervenzehrenden Wartezeiten führte.

Feuerprobe für die Füße

Auf der Messe selbst waren ebenfalls lange Fußmärsche angesagt. Die Shuttlebusse zu den neuen Hallen reichten nicht aus. Und wer sich für mehr als ein Thema interessierte, der wußte sowieso, daß mindestens eine viertel Stunde Weges zwischen den Informationen lag.

Wenigstens das Wetter ließ einen nicht im Stich. In der ersten Woche war es zwar noch windig, doch ab Samstag schien die Sonne, und Besucher wie Aussteller nutzten die Freiflächen vor den Hallen, um zwischen den Terminen ein wenig Kraft zu tanken. (gn)

Direkt hinter Halle 13: Die Laufbänder hinter der neuen Halle 13 führen zum Messebahnhof Laatzen - wenn sie funktionieren.

40.000 Parkplätze, ein Messeschnellweg, eine Tram und ein eigener Bahnhof: Der Verkehr während der CeBIT sieht von oben recht harmlos aus.

Die wahre CeBIT-Sensation: Gutes Wetter ist eine Seltenheit während der Messe.

Gut, daß es das Handy gibt: "Harry, fahr schon mal das Fahrrad vor. Ich muß in Halle 1."

Wie Tag und Nacht: Computer 2000 lud viermal zur Party ein. Unter anderen lieferte die Spider Murphy Gang die Showeinlage.

Gut besucht: Die Hallen der CeBIT waren vom ersten bis zum letzten Tag gut gefüllt mit Fachpublikum.

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