Compaq-Chef Kurt Dobitsch: "Die Spielregeln werden neu geschrieben."

22.11.1996
DORNACH BEI MÜNCHEN: Nachdem Compaq 1991 schon einmal zum Sturm auf den WorkstationMarkt blies und sich dann aber wieder zurückzog, wollen die Texaner diesmal Ernst machen. Im Gespräch mit ComputerPartner erläutert Deutschland-Statthalter Kurt Dobitsch die Hintergründe dieses Engagements, skizziert seine Sicht der Marktentwicklung und nimmt Stellung zur Bedeutung des indirekten Vertriebs.? Warum engagiert sich Compaq jetzt auch im Workstation-Markt?

DORNACH BEI MÜNCHEN: Nachdem Compaq 1991 schon einmal zum Sturm auf den WorkstationMarkt blies und sich dann aber wieder zurückzog, wollen die Texaner diesmal Ernst machen. Im Gespräch mit ComputerPartner erläutert Deutschland-Statthalter Kurt Dobitsch die Hintergründe dieses Engagements, skizziert seine Sicht der Marktentwicklung und nimmt Stellung zur Bedeutung des indirekten Vertriebs.? Warum engagiert sich Compaq jetzt auch im Workstation-Markt?

DOBITSCH: Die Entscheidung liegt bereits zwei Jahre zurück. Damals, 1994, haben Compaq, Intel und Microsoft beschlossen, sich gemeinsam im hochattraktiven Workstation-Markt zu engagieren. Natürlich mit dem Ziel, die Marktanteile auszuweiten.

Wir gehen fest davon aus, daß der Workstation-Markt zukünftig ein "Wintel"-Markt und kein UNIX-Markt mehr ist. Nageln Sie mich nicht darauf fest, ob es das 4. Quartal 1997 oder das 3. Quartal 1998 ist. Die Marktforscher sagen voraus, daß durchaus bereits Ende '97, Anfang '98 die Majorität der ausgelieferten Workstations im Markt Windows-NT-basierend und Intel-Architektur-basierend sein werden. Und das ist ja ein erdrutschartige Marktanteilsverschiebung.

? Nach Angaben von IDC sollen 1997 weltweit nur 200.000 Wintel-Workstations verkauft werden. Das ist ja nicht so viel.

DOBITSCH: Also wenn die 200.000 Gültigkeit haben und ich unsere Absatzpläne dazu ergänze, dann hätten wir einen überragenden Marktanteil. Nein, die 200.000 sind für uns eine klassische Unterschätzung.

? Wie sind denn Ihre Absatzpläne? Welchen Marktanteil wollen Sie erreichen?

DOBITSCH: Ich denke, daß man im ersten Jahr einen Marktanteil von 20 Prozent erreichen kann. Dann muß man natürlich sehr, sehr gut sein. Ich spreche nur vom Wintel-Markt, der vielleicht ein Fünftel oder ein Viertel des gesamten Workstation-Marktes darstellt. Die Entwicklung hängt ja auch sehr stark davon ab, wie die anderen Hersteller sich in puncto Wintel-Plattform verhalten. Das ist ja alles nicht vorhersehbar.

Ich denke, daß der Wintel-Workstationabsatz 1998 bei deutlich über 500.000 Stück liegen wird. Diese Vorhersagen sind aber mit einem sehr großen Fragezeichen versehen. Denn es bleibt abzuwarten, wie sich das erodierende Preisniveau auf das Kaufverhalten auswirken wird. Es wäre nicht das erste Mal, daß mit dem Sinken der Anschaffungskonditionen die Anschaffungsbereitschaft steigt und damit ein höheres Wachstum entsteht.

? Sie sagen einen radikalen Umbruch im bisher UNIX-bestimmten Workstation-Markt voraus. Mit ist noch immer nicht ganz klar, auf welchem Fundament diese Prognose steht.

DOBITSCH: In der Tat bin ich der Ansicht, daß die Spielregeln im Workstation-Markt neu geschrieben werden. Nun fragen Sie nach der Grundlage für meine Prognose. Es gibt einen Markt, an dem sich derartige Veränderungen exemplarisch sehr deutlich ablesen lassen. Ich meine den SAP-Markt, der natürlich unvergleichlich komplexer ist als die reine Workstation-Thematik.

Der SAP-R/3-Markt war noch vor zwei Jahren ein reiner UNIX-Markt. Dominiert von HP mit über 60 Prozent Marktanteil, und die anderen 40 Prozent haben sich über fünf bis acht weitere Hersteller aufgeteilt. Compaq ist mit der Zertifizierung 1994 als erster Non-UNIX-Hersteller in diesen Markt eingestiegen. Heute gibt es 17 Wintel-qualifizierte SAP-Plattformen für R/3, die zusammen mehr als ein Drittel des gesamten SAP-Marktes darstellen. Der einzige Verlierer ist schon rein rechnerisch nur die UNIX-Klientel.

Das ist heute SAP. Eine dramatische Veränderung in nur zwei Jahren. Ich finde, daß die Workstations eine Produktkategorie sind, wo derartiges wesentlich schneller vonstatten gehen kann, weil es sich hierbei in der Regel um eine Einzelanschaffung, also eine Arbeitsplatzanschaffung handelt, die nicht gleich die IT-Struktur eines gesamten Unternehmens auf den Kopf stellt.

? Wird die "Demokratisierung" der Workstations neue Kundengruppen erschließen?

DOBITSCH: Wir gehen davon aus. Nehmen Sie die Anschaffungspläne der Finanzinstitute. Die gehen unter den neuen Vorzeichen bis hinunter zum kleinen Anlageberater. Vor kurzer Zeit noch unmöglich.

? Dataquest meint, daß die Wintel-Workstations dem UNIX-Markt gar nicht so gefährlich werden, sondern eher den High-end-PC-Markt angehen werden.

DOBITSCH: Das glaube ich definitiv nicht. Auch ein High-end-PC muß noch immer für den PC-Markt konstruiert und designed werden, das heißt für einen Massenmarkt, der ganz anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Man wird nicht so viel Leistung, so viel Grafikverarbeitung in den High-end-PC integrieren, wie in eine Workstation, weil dies kostenmäßig nicht möglich ist.

? Mit welchen Wachstumsraten rechnen Sie im Workstation-Markt in Deutschland in den nächsten Jahren?

DOBITSCH: Wie im Weltmarkt: zwischen 20 und 40 Prozent. Stückzahlmäßig natürlich. Das sind sehr, sehr gesunde Wachstumsraten. Wachstumsraten deutlich über dem PC-Markt.

? Wie wollen Sie sich von Ihren Mitbewerbern unterscheiden?

DOBITSCH: Wir wollen gerade im Workstation-Markt noch deutlicher das führende Preis-Leistungsverhältnis haben und auch in Zukunft halten. Das ist ein wesentlicher Punkt. Ein anderer Punkt ist unsere sehr gute Reputation beim Kunden. Wir müssen uns bei den entsprechenden Unternehmen ja nicht erst einen Ruf erarbeiten, sondern viele Unternehmen setzen ja bereits Compaq-Produkte ein.

Ein weiterer Vorteil besteht in unserer konsequenten Ausrichtung auf den indirekten Vertrieb. Im Gegensatz zu anderen Herstellern gibt es bei uns keine Kanalkonflikte, weil wir nur einen Kanal haben.

Und nicht zuletzt setzten wir natürlich auch auf Allianzen mit Softwareanbietern, die sich aufgrund des besseren Preis-Leistungsverhältnisses der Hardware natürlich auch höhere Absatz-chancen ihrer Software erwarten.

? Sie stellen als einen Vorteil von Compaq heraus, daß Sie im Gegensatz zu den etablierten Workstation-Herstellern keine Rücksichten auf eigene UNIX-Bestände nehmen müssen. Man kann das aber auch anders sehen. Sie haben den Nachteil, daß Sie keine Kunden und auch keine Vertriebspartner in diesem Segment haben.

DOBITSCH: Ich sage nicht, daß wir die beste Ausgangsposition und die anderen keine Ausgangsposition haben. Wenn Sie sich die Strukturen des herkömmlichen Workstation-Vertriebs anschauen, dann stellen Sie fest, daß ein Großteil, sicher über 60 Prozent, direkt vertrieben

worden ist. Warum? Weil es Hochpreisprodukte und natürlich auch Hochmargenprodukte waren. Nur, das ändert sich jetzt dramatisch.

Auch die Workstation wird in gewisser Weise ein Massenprodukt, das eher den Gesetzmäßigkeiten des PC-Marktes unterworfen wird. Das heißt harter, extremer Preiswettbewerb mit der Folge, daß sich auch die ehemals hohen Rohmargen normalisieren werden. Vor dieser Entwicklung wird natürlich der indirekte Vermarktungsweg eine wesentlich größere Rolle spielen als bisher.

Und in diesem Bereich, dem indirekten Vertrieb, hat Compaq eine führende und sehr angesehene Rolle. Wir werden natürlich unsere neuen Workstation-Produkte unseren bestehenden Vertriebspartnern anbieten. Da unsere Vertriebspartner bisher, wie Sie richtig feststellten, zum größten Teil kaum Workstations vermarktet haben, werben wir natürlich um die Vertriebspartner der anderen Workstation-Hersteller. Das ist ein normales Spiel.

Ich möchte den Sieger nicht voraussagen, aber ich würde sagen, wenn wir mit der gleichen Fähigkeit und Konsequenz dieses Geschäft angehen, was wir ja vorhaben, dann wird am Schluß sicherlich die Variante siegen, die das bessere wirtschaftliche Verhältnis im Markt umsetzen kann. Letztlich entscheidet sich alles über den Preis.

? Decken denn die Compaq-Vertriebspartner eine Zielgruppe ab, die man auch für Workstations gewinnen könnte?

DOBITSCH: Ja. Ich glaube, der Markt strukturiert sich gar nicht viel anders als die restliche IT-Anwenderschaft. Schwerpunkte des Workstation-Einsatzes sind sicherlich die produzierende Industrie, Medienkonzerne, der technisch-wissenschaftliche Bereich, die Finanzwelt. In den Großkonzernen der produzierenden Industrie, wie auch im Finanzmarkt, ist unser Kanal präsent und auch bestens etabliert.

? Trauen Sie den Vertriebspartnern den Umgang mit den doch recht anspruchsvollen Workstation-Systemen zu?

DOBITSCH: Eindeutig ja! Die Systeme, die wir jetzt eingeführt haben, decken von ihrer Leistungsfähigkeit etwa die ersten 40 Prozent des Marktbedarfes ab. Wir werden sukzessive in wenigen Monaten weitere Familien- und Produktleistungsgruppen einführen, so daß wir glauben, bis Mitte nächsten Jahres 80 Prozent der Leistungsanforderungen des Marktes abdecken zu können. Die restlichen 20 Prozent der High-end-Workstation werden uns sicherlich auch noch für längere Zeit verschlossen bleiben. Also in dem Leistungssegment, in dem wir uns momentan bewegen, sind unsere Kanäle bestens präpariert. Aber wir bewerben uns intensivst und engagiert auch um die neuen Kanäle.

? Sie sagten, bislang gehen ungefähr 60 Prozent des Workstation-absatzes über den Direktvertrieb. So wird es kaum bleiben.

DOBITSCH: Ohne Zweifel nicht. Die Frage ist nur, in welcher Geschwindigkeit sich dieser Transformationsprozeß vollziehen wird. Hier spielen zwei Faktoren eine Rolle. Zum einen natürlich die Preiserosion, wo der Zwang dann relativ stark wird, indirekt zu gehen. Und zum anderen hängt es davon ab, wie schnell die indirekten Vermarktungspartner diese Geschäftschance sehen. Wenn die relativ desinteressiert diesen neuen Geschäftsmöglichkeiten gegenüberstehen, wird es eine Verzögerung geben. Das würde uns auch treffen, daraus mache ich keinen Hehl, einfach weil wir keine Direktvermarktung haben. Eins steht jedenfalls fest: Der Kanal, das müssen keine Großfirmen sein, der Kanal als solcher wird jetzt relativ begehrt und umschwärmt sein.

? Welche Hersteller werden in zwei bis drei Jahren eine führende Rolle im Workstation-Markt spielen?

DOBITSCH: Die Antwort auf diese Frage ist natürlich mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor belegt, weil ich ja jedem dieser Unternehmen zurechne, daß sie ihre Strategien noch ändern können während dieser drei Jahre. Aber ich gehe ich davon aus, daß mindestens einer, wenn nicht zwei Wintel-Hersteller unter den drei absatzstärksten Anbietern sein werden. Also Firmen, die stärker aus der heutigen PC-Industrie kommen. Unser Unternehmen zähle ich dazu. Ich bin aber der Meinung, daß ein Unternehmen wie HP ein gutes, vernünftiges Management hat, um die entsprechenden Weichenstellungen vorzunehmen.

Die IBM zähle ich nicht zu den zukünftigen Top-3, weil die IBM ganz andere Prioritäten hat. Aufgrund der heutigen Strategie und auch der eigenen Aussagen zähle ich Sun ebenfalls nicht dazu. Die Erklärungen von Sun, man wolle sich auf die High-end-Nische konzentrieren und überhaupt seien Workstations halt nur so ein Mitnahmegeschäft und nicht ein Zentralgeschäft gewesen, sind für mich Signale, daß man einen kontrollierten Rückzug oder einen kontrollierten Ausstieg vorbereitet.

Also ich sage: HP, Compaq und noch ein weiterer wird in drei Jahren auf dem Siegertreppchen stehen. Ob Silicon Graphics die kritische Größe haben wird, in diesem Konzert eine wesentliche Rolle zu spielen, ist schwer zu sagen.

? Und Digital Equipment?

DOBITSCH: Viele Experten vor allem in den USA sagen, daß sich Digital völlig neu positionieren muß, um die Existenz zu sichern. Jetzt gibt man wieder 7.000 Mitarbeiter frei, damit kommt man unter die 50.000. US-Marktbeobachter aber, und dieser Meinung schließen wir uns auch an, geben Digital erst eine Überlebenschance bei einer Mitarbeitergröße von unter 30.000. Das ist natürlich auch mit der Aufgabe einiger Geschäftsfelder verbunden.

Es ist nicht zu erkennen, daß Digital seine Strategie so weit vorangetrieben hat, um seine Existenz zu sichern.

Wenn man fünf oder sechs Jahre zurückdenkt, dann war es Digital, von der allgemein gesagt wurde, daß es am ehesten der IBM Paroli bieten kann. Da war nur die Frage, ob Digital schon 1997 oder erst 1998 größer sein wird als IBM.

? 1991 hatte Compaq ja schon einmal den Einstieg in den Workstation-Markt angekündigt, dann aber doch wieder einen Rückzieher gemacht. Wie ernsthaft ist es Ihnen diesmal?

DOBITSCH: Die Ausgangsposition ist heute völlig anders als vor fünf Jahren. Heute kann mit Bestimmtheit gesagt werden, daß Plattformtechnologie sowie auch Betriebssysteme sowie auch die Bereitschaft der Software-Anbieter, für diese Plattform die Software zu portieren, gegeben ist. Dies haben wir damals nicht geschafft. Ohne die erforderlichen Anwendungsprogramme aber wären wir verloren gewesen. Heute sind die Voraussetzungen völlig anders.

Die Entscheidung von 1994, mit Microsoft und Intel zusammen den Workstation-Markt wie auch den Server-Markt anzugehen, war für uns eine sehr wichtige strategische Entscheidung. Ich würde diese Entscheidung als gleichbedeutend setzen mit der Entscheidung im Jahr 1986, als sich Compaq für den 386 entschieden hat und dadurch eigentlich erst zu Compaq geworden ist. Hätten wir uns damals nicht für den 386er entschieden, wären wir normal auf der 286er-Rille oder 8086er-Rille dahingefahren, wäre Compaq nicht zu dem geworden, was es heute ist. Damals waren wir ungefähr neun bis zwölf Monate vor unseren Wettbewerbern mit dem 386er auf dem Markt. In etwa gleichbedeutend würde ich unsere Windows-NT-Entscheidung einordnen.

Die Fragen stellten Damian Sicking und Lothar Derichs

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