Das intelligente Haus ist serienreif

31.01.2002
Über das intelligente Haus wird seit vielen Jahren geredet und geschrieben, es wird auf Messen demonstriert und präsentiert. War es vor zehn Jahren noch Science-Fiction, so verzeichnet heute der Hausgerätehandel eine Nachfrage, die er nicht einmal befriedigen kann. Die koreanische Firma LG hat dieser Tage auf der Consumer-Electronic-Show in Las Vegas den intelligenten Kühlschrank mit eingebautem PC und Internet vorgestellt; Preis zirka 10.000 Dollar, soll heißen, kauf mich nicht, mich gibt#s noch nicht für jeden.

Es sind an vielen Orten der Welt so genannte Zukunftshäuser entstanden. In der Regel sind es technische Zukunfts-Museen, Zukunftslabors oder reine Demo-Häuser. Fast alle haben keinen Anspruch, wirkliche Piloten zur Vorbereitung eines neuen Massenmarktes zu sein. Dazu sind ihre Motive zu durchsichtig, es geht oft nur um die Präsentation des eigenen schmalen Technologiesegmentes, ohne Integration der anderen Segmente und leider oft auch ohne einen Gedanken an den User/Anwender/Bewohner zu "verschwenden". Dazu haben in den letzten Monaten manche Marketing-Strategen aus IT und TK das intelligente Haus als interessanten Markt entdeckt. Wohl weniger, weil sie diesen Markt wirklich verstehen, sondern eher, weil auf ihren angestammten Märkten nichts mehr geht. Es ist aber nicht damit getan, einen PC zum Residential Gateway umzutaufen. Das Haus verlangt ganz andere Qualitäten, andere Kompatibilitäten, Vernetzungen und Philosophien. So mancher PC-Hersteller wird sein Desaster erleben, wenn er auf die Tücken und Eigenarten dieses spannenden, aber hoch komplexen Marktes nicht vorbereitet ist.

Der Markt wartet

Dabei ist der Markt aufnahmebereit. Nach einer Umfrage der GfK vom Herbst 2001 wünschen sich über 30 Prozent der Deutschen einen Kühlschrank, der selbst nachbestellt, wenn etwas entnommen wurde. Welch eine erstaunliche Zahl. Wiederum ein Drittel der erwachsenen Deutschen wünscht sich als wichtigste Funktion eines intelligenten Hauses die Möglichkeit, per Handy festzustellen, ob Kaffeeautomat und Herd ausgeschaltet sind. Was wirklich alles im Haus heute schon möglich und sinnvoll ist, davon haben die meis-ten Verbraucher noch gar keinen Schimmer.

Das intelligente Haus ist ein "Organismus" von verschiedenen Netzen, Geräten, Servern und Clients. Es ist weitaus komplexer, als das typische Büronetzwerk. Es gibt zum einen die Hausgeräte; also Waschmaschine, Trockner, Kühlschrank, Tiefkühlschrank, Backofen, Kochfeld, Espressoautomat, Geschirrspüler und so weiter. Die-se Geräte haben ein ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis. Neben den oft zitierten Fehlermeldungen, wie "die Waschmaschine ruft den Service, und der Eigentümer weiß noch gar nicht, dass die Maschine defekt ist", geht es hier um Komfortfunktionen. Die Waschmaschine im Keller informiert das TV-Gerät oder das DECT-Telefon im Haus über ein Gateway, dass der Waschgang beendet ist. Also keine Wartezeit vor der Maschine, während im Fernsehen der Krimi weiterläuft.

Qualitäts-Hausgeräte haben eine Lebenserwartung von 15 bis 25 Jahren oder mehr. In diesem langen Zeitablauf sind längst schonendere und sparsamere Waschprogramme entstanden. Die Waschmaschine wird aber erst dann durch eine neue ersetzt, wenn sie nicht mehr wirtschaftlich reparabel ist. Das intelligente Haus ermöglicht nun, diese neuen, besseren Waschprogramme per E-Mail anzubieten, zu laden, zu installieren und in Rechnung zu stellen. Nehmen wir das Bespiel einer Tiefkühltruhe. Erkennt die Truhe, dass es "drinnen wärmer ist als draußen" muss etwas falsch sein; ein guter Grund für eine Meldung an den Eigentümer der Truhe. Zum Beispiel per Pop-up-Fenster auf dem Küchen-PC. Wird hier keine Empfangsbestätigung innerhalb einer festgelegten Zeit gegeben, erfolgt die Alarmierung über Sprachausgabe auf das Handy; nimmt niemand ab, erfolgt eine SMS. Kann diese nicht zugestellt werden, wird ein zuvor für Notfälle festgelegter Hausmeister- oder Security-Service alarmiert.

Schließlich geht es darum, verderbliche Waren aus der vermutlich defekten Kühltruhe zu retten, um Verwesungsgeruch nach Rückkehr aus dem Urlaub zu verhindern. In diesem wie in vielen anderen Fällen muss bei der Installation ein Eskalationspfad festgelegt werden. Und irgendwer in "Organismus Haus" muss die "Events" überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen ein-leiten. Dieser Jemand ist das Residential Gateway. Die PLG AG in Augsburg ist Hersteller eines Küchen-Einbau-PCs als OEM-Produkt. Ein Bestandteil dieses intelligenten Küchencomputers ist das Residential Gateway. Über DSL oder Docsys/Cable-TV ist der Küchen-PC immer online, 24 Stunden und 356 Tage. Security-Alarmmeldungen müssen immer absetzbar sein, unabhängig von der Verfügbarkeit von mehrfach genutzten Telefonleitungen. Ebenso muss beispielsweise über WAP der Status einzelner Geräte jederzeit und von jedem Ort abrufbar und veränderbar sein. Natürlich ist das Residential Gateway auch Firewall und der Zugang aller anderen PCs im Haus zum Internet. Hier spielt dann WLAN eine entscheidende Rolle.

EIB zur Steuerung

Als weiteren Bus im Haus findet man den EIB zur Steuerung von Licht. Lüftung, Garagentor, Rollos, et cetera. Während die Hausgeräte über Inhouse Power Line Communication mit dem Gateway verkehren, ist der EIB kabelgebunden, also in der Regel etwas für Neubauten und Renovierungen. EIB-Steuergeräte, Lichtschalter, Motorensteuerungen, und so weiter gibt es von vielen Herstellern. Es ist auch recht gute Software für die Planung von EIB-Systemen vorhanden, trotzdem ist das Elektrohandwerk eher zurückhaltend, wenn ein Kunde oder Architekt nach EIB fragt. Man ist halt noch nicht richtig fit im Umgang mit dem intelligenten Haus und der fremden Materie Software. Dazu kommen noch diverse zum Teil proprietäre draht-gebundene und Funknetzwerke zum Ablesen von Verbrauchszählern, Heizungssteuerungen, Alarmanlagen, Türschließsystemen und ähnlichen Geräten. Ein wichtiger kommender Markt sind Home Medical Services. Semiprofessionelle Medizintechnik, die zum Beispiel die Infarktnachsorge zu Hause statt in der Reha-Klinik erlaubt und so immense Kosten spart.

Richtig spannend ist jedoch die E-Business-Komponente. Das Warenwirtschaftssystem des Küchen-PC kennt den "Lagerbestand" des Haushalts, eventuell sogar einschließlich der Verfallsdaten. Lieferungen werden ohne Medienbruch verbucht. Der Verbrauch wird dem System mittels eines EAN-Scanners mitgeteilt. Dazu ist dieser im Küchen-PC integriert. Artikel ohne EAN-Code wie beispielsweise Eier und Gemüse werden - wenn man sie denn überhaupt verwalten will - per Touchdisplay ausgewählt. Es entsteht so eine immer aktuelle Verbrauchs- oder Einkaufsliste. Diese wird im einfachsten Falle ausgedruckt oder per IRDA auf den PDA übertragen. Richtig Spaß macht es aber erst, wenn die Bestellliste an die entsprechenden Lieferanten per Internet übertragen wird. Dies alles funktioniert schon bei unseren Nachbarn in der Schweiz. Die Beisheim-Gruppe (Metro) betreibt dort seit einem Jahr ein von einer Familie bewohntes Musterhaus www.futurelife.ch. Der intelligente Einkauf erfolgt mit Hilfe der Software Home-Store der Hamburger Firma Xnet Communications GmbH. Die Ware wird von der Migros zur vereinbarten Zeit nach Hause geliefert und die Rechnung dem Kundenkonto belastet. Wir haben es also beim Haus der Zukunft nicht mehr mit Science-Fiction zu tun, sondern mit einem gerade entstehenden riesigen Markt. Auch wenn - wie immer - am Anfang nur die Innovatoren die Investitionen tätigen werden, mit wachsenden Stückzahlen fallen die Preise für die Anschaffung. Es ist auch zu erwarten, dass Handelshäuser und Netzbetreiber Sponsoring- und Umsatzvergütungsmodelle entwickeln werden.

Es darf jedoch bei aller Euphorie nicht vergessen werden, dass das Haus nicht von einem Vollzeit-Sys-temadministrator verwaltet wird, sondern einmal aufgesetzt, immer klaglos seinen Dienst tun muss. Kommen neue Geräte hinzu, müssen sich diese ohne benutzerquälende Software-Installation integrieren lassen. Fehlen zum Beispiel Treiber für den neuen Geschirrspüler, wird das Residential Gateway die notwendige Software via Internet beschaffen und installieren; natürlich nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis des Eigentümers.

Chance für den Fachhandel

Das intelligente Haus ist etwas für Team-Spieler. Wer soll ein solch komplexes System installieren und warten, wer liefert welche Geräte? Die kommende Generation von Haushaltsgeräten ist für das intelligente Haus vorbereitet; sie unterstützen den Standard EHS (European-Home-System) und KNX und kommunizieren über die Stromleitung. Hardware-Installation ist hier nicht notwendig. Der Master der Hausgeräte ist der Küchen-PC. Der Küchen-PC benötigt wiederum einen Always-On-Zugang zum Internet. Je nach Kundengegebenheiten wird dies mit DSL, Kabelmodem, Power-Line der EVUs, WLAN oder per Kabel-Ethernet realisiert (Beratungsbedarf!). Weitere PCs und Notebooks im Haus müssen integriert werden (Beratungsbedarf!).

Der Küchen-PC ist gleichzeitig auch TV-Gerät. Die TV-Karte ist je nach Gegebenheit analog, oder digital -T, -C oder -S (Beratungsbedarf!). Der Anschluss der Türsprechstelle mit Kamera erfordert spezielles Know-how, ebenso die Anbindung der EIB-Steuerung, sofern vorhanden. Nun kommt noch das Remote-Control-Gateway für die unbedingt erforderliche WAP-Steuerung. Während der Küchen-PC selbst von den Herstellern der weißen Ware geliefert und von den Küchenbauern eingebaut wird, sind die Hausinstallation, die Telekommunikation und die Unterhaltungselektronik ganz andere Themen. Bekanntlich schließen die Küchenbauer nicht einmal den Elektroherd an. Hier sind jeweils Spezialisten gefragt, beziehungsweise Firmen, die als Generalunternehmer die einzelnen Disziplinen vorhalten können.

Das komplexeste Know-how ist das zum Aufsetzen der Netzwerke, LAN und WAN mit Switch, Firewall und Remote-Access. Hier ist auch am ehesten Modernisierungsbedarf, also Folgegeschäft, während im Licht- und Heizungsgeschäft die Erstins-tallation entscheidend ist.

Mein Ratschlag: Verschaffen Sie sich Know-how über die verschiedenen Bus-Systeme und Standards im Haus der schon ganz nahen Zukunft. Sprechen Sie mit den Küchenbauern. Stellen Sie so sicher, dass Sie von Anfang an dabei sind, ohne große Investitionen tätigen zu müssen.

www.futurelife-consult.de

Der Autor Günther Ohland ist freier Journalist und als Unternehmensberater auf dem Gebiet Smart-Home/Haus der Zukunft tätig.

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