iSCM-Analyse der neuen Logistikkette

Das Lieferkettengesetz ist für die Tech-Branche ein Segen



Dr. Rudolf Aunkofer ist Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM) der Hochschulie für angewandtes Management in Ismaning bei München.
Am 11. Juni 2021 hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten angenommen.

Ziel des Lieferkettengesetzes ist es, Menschenrechte und Umwelt in einer global vernetzten wie arbeitsteiligen Wirtschaft besser zu schützen. Für die Logistikkette ist das eine einmalige Chance, sich als fairer Geschäftspartner zu positionieren.

Supply Chain - Lebensader der Tech-Industrie

Globale Wertschöpfungsketten sind heute für 80 Porzent des Welthandels verantwortlich und bilden die Lebensgrundlage für eine halbe Milliarde Menschen weltweit. Der Wohlstand und das Entwicklungspotential vieler Länder vor allem in Asien, Afrika und Südamerika hängt stark von diesen Wertschöpfungsketten ab.

Aber auch Deutschland und vor allem hier die Tech-Branche ist betroffen: Aufgrund seiner Rolle als drittgrößte Exportnation weltweit und der starken Einbindung in diese Wertschöpfungsketten kommt Deutschland als Import- wie Exportland eine besondere Rolle zu. Unser wirtschaftlicher Erfolg ist vom Funktionieren global-vernetzter Supply Chain abhängig, was uns die Pandemie-Situation der letzten Quartale erlebbar vor Augen geführt hat.

In der Juli-2021-Ausgabe des iSCM-Stimmungsbarometers gaben 67 Prozent der Teilnehmer an, dass mangelnde Produktverfügbarkeit das Thema Nummer Eins der Branche sei. Der Wert ist im Vergleich zu Juni mit 68 Prozent und Mai mit 73 Prozent zwar rückläufig, zeigt aber dennoch, dass geringe Langerhaltung und hohe B2B-Nachfrage die Branche vor logistische Herausforderungen stellten und weiter stellen werden.

Prof. Dr. Rudolf Aunkofer ist Gründer und Direktor am iSCM Institute.
Prof. Dr. Rudolf Aunkofer ist Gründer und Direktor am iSCM Institute.
Foto: iSCM Institute

Es ist logische Konsequenz, dass im Kontext der Diskussion um Corporate Social Responsibility, der Einforderung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie der Einhaltung der elementaren Menschenrechte, die bestehende freiwillige Vereinbarung in ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) überführt wurde.

Nachfrageboom für ITK Produkte & Services

Für die Technologie-Branche sind - dem PESTEL-Ansatz (Political, Economical, Social, Technological, Environmental, Legal) folgend - und in Ergänzung zur allgemeinen Diskussion, vor allem nachstehende Key-Aspekte aufgrund des Sourcing-Schwerpunkts "Asien" von Relevanz:

  • Political | die lokalen Regelungen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland werden gemeinsam den Druck erhöhen eine europaweit einheitliche Regelung einzuführen | dies wird aufgrund der Angleichung von Standards zu einem faireren Wettbewerb führen

  • Economical | die erforderlichen (digitalen) Überwachungsprozesse entlang globaler Liefernetzwerke werden zu höherer Effizienz, mehr Flexibilität und Kostenvorteilen führen | der Standort Deutschland wird attraktiver werden, der Bedarf an Cloud-basierten Logistik- & Supply Chain-Lösungen wird steigen

  • Social | der zu erwartende Angleich des Kostenniveaus(vor allem Lohnkosten) machen Westeuropa als Produktionsstandort attraktiver | innereuropäische, hoch-automatisierte Produktion wird hiervon positiv profitieren, was zu steigender Nachfrage nach IT-Lösungen (Cloud) führen wird

  • Technological | die erforderliche "Informationslogistik" wird die digitale Transformation entlang der gesamten Lieferkette beschleunigen | die Fähigkeit physische Transport- und digitale Informationsprozesse aufeinander abgestimmt zu managen, wird zusätzliche Nachfrage nach ITK-Produkten & Services generieren

  • Environmental | die Entwicklung hin zu einer CO2-neutralen Kreislaufwirtschaft wird sich beschleunigen | die Tech-Branche wird von positiven Image-Effekten vor allem beim Elektronik-Recycling profitieren

  • Legal | die Rechtssicherheit für Unternehmen wird zunehmen | das Risiko unerwarteter finanzieller Belastungen wird sich für die Tech-Industrie reduzieren

Es ist somit eine Frage der Perspektive: Das Lieferkettengesetz wird einen digitalen Transformationsprozess initiieren beziehungsweise bestehende Digitalisierungsbestrebungen deutlich beschleunigen. Die Tech-Industrie wird von dieser Entwicklung profitieren, da entlang der gesamten Lieferkette digitale Lösungen für die neuen Herausforderungen gefunden werden müssen.

Technologie-Branche befürwortet das Lieferkettengesetz

Andererseits ist die IT-Branche mit der Produktion von Mikrochips, einer Vielzahl von elektronischen Bauelementen sowie weiterer "Vor-Produkte" wie kaum eine andere Branche von länderübergreifend funktionierenden Lieferketten abhängig. Die Hochwasserkatastrophe in Thailand 2011, die viele Produktionsstätten überflutete, die Pandemie 2020, in der chinesische Häfen ihre volle Umschlagleistung nicht zur Verfügung hatten oder die Blockade des Suez-Kanals 2021 - Stichwort "Ever Given" - verdeutlichen die weitreichenden Auswirkungen (unter anderem Chip-Knappheit, Order-Backlog, Kurzarbeit) von eingeschränkt funktionierenden Lieferketten. Daher betrifft die Einführung des Lieferkettengesetzes auch die IT-Branche direkt und unmittelbar selbst.

Fast alle von iSCM befragten Akteure der Tech-Industrie befürworten das neue Lieferkettengesetz.
Fast alle von iSCM befragten Akteure der Tech-Industrie befürworten das neue Lieferkettengesetz.
Foto: iSCM Institute

Wie die Abbildung "Die Einführung des Lieferkettengesetzes …" oben zeigt, stimmen 28 Prozent der Befragten dem Statement "Die Einführung des Lieferkettengesetzes ist richtig" voll-und-ganz zu. Betrachtet man die positiven, prinzipiell zustimmenden Aussagen in Summe, so steigt der Zustimmungswert auf gut 68 Prozent an - ein sehr positives, bekräftigendes Ergebnis für die Einführung des Gesetzes!

Zwar stimmen auch 18 Prozent dem Statement "dass mehr Bürokratie zu erwarten sei" voll-und-ganz zu, ähnlich hohe Werte erreichen aber auch die Zustimmung zu "besserem Schutz von Menschenrechten" (17 Prozent), "mehr Umweltschutz" (15 Prozent) und "mehr Nachhaltigkeit" (14 Prozent), was das Thema "Bürokratie" somit mehr als aufwiegen sollte. Die IT-Industrie nimmt somit auch in Bezug auf das Lieferkettengesetz eine positive Vorreiterrolle ein!

Was ist in Konsequenz für die IT-Industrie in der Übergangszeit bis 2023 (Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten) beziehungsweise 2024 (Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern) und ab dem jeweiligen Anwendungszeitpunk, das heißt ab der Gültigkeit des Gesetzes, zu erwarten?

Flexible Liefernetzwerke statt klassische Lieferketten

Fokussiert betrachtet, sind zwei Konsequenzen zu erwarten:

  1. In der festgelegten Übergangszeit werden sich klassische Lieferketten - auch aufgrund der skizzierten Pandemieerfahrungen - in Richtung dynamischer Liefernetzwerke weiterentwickeln, die zum Teil redundante Strukturen aufweisen werden. Hierdurch wird mehr Ausfallsicherheit bei gleichzeitigem Anstieg der Ausfallwahrscheinlichkeit aufgrund der Anforderungen des Lieferkettengesetzes, sowie Robustheit sichergestellt.
    Partner können flexibel, temporär und bedarfsorientiert eingebunden, Ressourcen können flexibler - dank verbesserter, digitaler Kommunikation - genutzt werden. Analog können Partner auch für gewisse Prozesse oder Zeiträume außenvorgelassen werden, wodurch Kosteneinsparungen eventuell entstehende Mehrkosten kompensieren werden. Das (digitale) Informationsmanagement von Lieferketten wird drastisch an Bedeutung gewinnen

  2. Ab dem Anwendungs-/Gültigkeitszeitpunkt im Jahr 2023 beziehungsweise 2024 wird ein deutlich höheres Informationsbedürfnis an zentralen Punkten des Netzwerks bzgl. Produkten/Waren, ihrem Transportweg und den am Transport beteiligten Unternehmen vorhanden sein, um den gesetzeskonformen Transport zu dokumentieren und ggf. bei Verstößen nachzuverfolgen. Die eingeforderte Corporate Social Responsibility erfordert eine bessere digitale Dokumentationspflicht.

Um das höhere Risiko eines gesetzesbedingten Ausfalls von Akteuren im Supply Chain-Netzwerk zu managen und zu reduzieren wird engere Zusammenarbeit und mehr digital gemanagte Transparenz erforderlich sein. Als eine der größten Import- wie Exportnationen wird Deutschland weiter "digital aufrüsten" müssen!

Die weiter zunehmende Digitalisierung wird diese Entwicklung einerseits ohne signifikante Zusatzkosten möglich machen beziehungsweise aufgrund der Wettbewerbssituation und knappen Gewinnmargen möglich machen müssen. Andererseits wird diese Entwicklung die Investition in ITK-Produkte & -Lösungen über die kommenden Jahre vor allem im Logistik-Bereich nachhaltig erhöhen.

Dies führt in Konsequenz dazu, dass sich für die IT-Branche - Hersteller, Distributoren und vor allem Reseller - zusätzliche Umsatzpotentiale eröffnen. Die Chance gilt es zu nutzen!

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