Das unterschätzte Risiko

15.11.2001
Das volkswirtschaftliche Risiko bei der Einführung der neuen europäischen Gemeinschaftswährung ist gering. Die betriebswirtschaftlichen Risiken sind dafür aber um so größer. Werner Staudte* warnt: Wer im mittelständischen Fachhandel nicht rechtzeitig auf den Euro umstellt, ist existenzgefährdet.

Zwei von drei deutschen Unternehmen wickeln über ihren Steuerberater die Buchführung bei der Datev, der Datenverarbeitungsorganisation der steuerberatenden Berufe, in Nürnberg ab. Sieben Millionen Lohn- und Gehaltsabrechnungen für mittelständische Firmen werden von diesem Dienstleister monatlich erstellt. Erst rund ein Prozent aller Buchungen und Abrechnungen wird wenige Wochen vor dem E-Day am 1. Januar 2002 in Euro vorgenommen. Dieter Kempf, Vorstandschef der Datev, bezeichnet die Euroumstellung im Mittelstand als ein Trauerspiel. Der Deutsche Industrie- und Handelstag bestätigt: "Bei den kleineren Unternehmen sieht es in Sachen Euro noch sehr schlecht aus."

Auch die Deutsche Bank Research hat sich mit den Risiken beim Finale der Euro-Einführung beschäftigt. Analytiker Jörn Quitzau schätzt die Gefahren für Preise und Konjunktur als gering ein. Im Unterschied zum volkswirtschaftlichen nimmt aber Quitzau das betriebswirtschaftliche Risiko wesentlich ernster. Er befürchtet vor allem im Handel angesichts der dort ohnehin schlechten Ertragslage eine mögliche "Fülle von Firmenzusammenbrüchen", wenn nicht rechtzeitig auf den Euro umgestellt wird. Besonders gefährdet sind nach seiner Ansicht die kleineren Handelsunternehmen. "Insolvenzen von kleinen und mittleren Betrieben wären zu bedauern, sind aber als einzelwirtschaftliches Problem ohne nennenswerte makroökonomische Auswirkungen."

Weit verbreitet gerade im mittelständischen Handel sind Vorstellungen darüber, wie zeitraubend und komplex die Einführung der neuen Währung ist. Mindestens genauso häufig stößt man aber auch noch auf die Illusion, dass sich der Austausch der D-Mark durch den Euro ebenso gut durch Nichtstun erledigen werde wie der Übergang zu einem neuen Jahrtausend. Viele Unternehmer auch im IT-Fachhandel sehen auch noch immer den Wechsel zum Euro auf die Bilanzbuchhaltung beschränkt. Ein recht naiver Kaufmann äußerte sich so: "Wir machen einfach unsere DM-Bilanz weiter so wie bisher. Dann zücke ich meinen Taschenrechner und rechne die Zahlen in Euro um."

So einfach ist es nun wirklich nicht. Dass das Europroblem drastisch unterschätzt wird, hat gerade im Mittelstand auch noch andere Gründe. In Erinnerung an die unnötige Panikmache zur Jahrtausendwende befürchten nicht wenige Firmen, dass nun der Euro dafür herhalten solle, das Geschäft vor allem der Unternehmensberater erneut anzukurbeln. Bei kleineren und mittleren Handelsunternehmen kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht selten andere Prioritäten setzen. Sie wollen bei der Präsenz im Internet und im E-Commerce nicht den Anschluss verlieren und konzentrieren sich darauf.

Die IT-Händler sind darüber hinaus gegenwärtig vor allem mit dem anhaltenden Preisverfall der Hard- ware, neuen Vertriebsstrategien ihrer Lieferanten und neuen Technolo- gien beschäftigt. Durch Windows XP, Bluetooth oder UMTS wird die Währungsumstellung in die zweite Reihe verdrängt. Aber wer sich jetzt nicht beim Euro beeilt, geht nach Meinung der Datev "ernsthafte Geschäftsrisiken" ein.

Der Übergang auf den Euro berührt fast alle Bereiche und Systeme eines Unternehmens. In allen Geschäftsprozessen tauchen in Geld bewertete Daten auf und müssen verarbeitet werden. Nicht nur in der Finanzbuchhaltung, auch in der Lohn- und Gehaltsabrechnung, im Controlling, in der Lagerhaltung, Preiskalkulation, Bestellung, im Marketing und im Verkauf muss von Mark auf Euro umgestellt werden. Computer und Kassen, die Terminals für den bargeldlosen Zahlungsverkehr und Frankiermaschinen müssen für den Euro eingerichtet werden.

Umstellungsaufwand rund ein Prozent vom Umsatz

Es müssen auch die Verknüpfungen der Prozesse und Systeme im eigenen Unternehmen mit denen von Geschäftspartnern bedacht werden. Alle Prospekte und Preislisten müssen neu gedruckt, alle Etiketten und Preisschilder umgestellt werden. Und dass es das alles nicht für umsonst gibt, muss dem Mittelstand auch klar sein. Heiko Römhild, Mittelstandsexperte bei SAP, schätzt den durchschnittlichen Aufwand für die Euroumstellung auf rund ein Prozent vom Umsatz.

Claudia Erhardt, Projektleiterin für die Euroumstellung bei der Datev, befürchtet im weiteren Verlauf des Jahres nicht nur Engpässe bei der Beratung der kleineren und mittleren Handelsunternehmen, sondern auch bei den Druckereien. Sie empfiehlt allen Nachzüglern so schnell wie möglich eine Betroffenheitsanalyse zu erstellen. Sie zeigt der Unternehmensführung, welche Bereiche vom Währungswechsel betroffen sind, wer für die Lösung der Probleme zuständig ist und welche Termine einzuhalten sind. Hilfestellung dabei leisten die Datev und die ihr angeschlossenen Steuerberater. Sie haben Checklisten entwickelt, mit denen der mittelständische Fachhandel gut feststellen kann, was mit dem Euro auf ihn zukommt.

*Werner Staudte ist freier Wirtschaftsjournalist in Dietzenbach.

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