Das Wunder von Adobe: gute Geschäfte trotz Lagerchaos

31.08.2000
Mit der Verlegung des europäischen Zentrallagers Ende vergangenen Jahres hat sich Adobe selbst ein Bein gestellt und ist heftig ins Straucheln gekommen. Doch die Amerikaner konnten den Sturz verhindern und wiesen sogar sehr gute Geschäftsergebnisse aus.

Uwe Kemm, Geschäftsführer der Adobe Systems GmbH in Unterschleißheim, hatte im Gegensatz zu seinen Kollegen von anderen Software-Herstellern ein ausgewachsenes Jahr-2000-Problem. Nur hatte dieses Problem nichts mit dem Datumswechsel zu tun, sondern mit einem Umzug. Nämlich dem Umzug des europäischen Adobe-Zentrallagers von Schottland nach Amsterdam. Denn diese Verlagerung und dann auch noch die gleichzeitige Umstellung des Warenwirtschaftssystems auf SAP R/3 führte dazu, dass bei Adobe das Chaos ausbrach. Das gesamte Liefer- und Bestellsystem war völlig außer Kontrolle, die Adobe-Vertriebspartner standen mehrmals kurz davor, vor Wut zu platzen. Die Adobe-Mannschaft in Unterschleißheim, völlig unschuldig an dieser Situation, bekam den Ärger in erster Linie zu spüren. "Das war wirklich hart", denkt Kemm mit Grausen an diese Monate zurück. "Sie können sich gar nicht vorstellen", fügt er hinzu, "wie froh ich bin, dass wir dies nun hinter uns haben."

Erstaunlich bei alledem ist, dass der deutsche Adobe-Statthalter dennoch auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken kann. "Wir bewegen uns oberhalb der weltweiten Wachstumsziele", freut sich Kemm, der den Job als Geschäftsführer vor einem Jahr von Frank Steinhoff übernommen hat. Das 46-prozentige Umsatzwachstum aus dem Vorjahr in der Region Deutschland, Österreich und Schweiz wird Adobe in diesem Jahr zwar nicht wiederholen können, aber über 30 Prozent Zuwachs sollen es schon werden. Deutschland ist zusammen mit Österreich und der Schweiz nicht nur nach den USA und Japan der drittgrößte Umsatzlieferant von Adobe weltweit, sondern auch die weltweit profitabelste Adobe-Dependance. Konkrete Zahlen für die einzelnen Landesgesellschaften nennt der Software-Hersteller nicht; im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2000 erzielte die US-Mutter bei einem Umsatz von 582,3 und einem Überschuss von 130,4 Millionen Dollar eine Netto-Rendite von 22,4 Prozent. Das ist zwar nur gut die Hälfte der Rendite von Microsoft, aber auch nicht schlecht.

Weil die fünf größten Adobe-Landesgesellschaften (neben den genannten gehören dazu noch Großbritannien und Frankreich) inzwischen 83 Prozent des weltweiten Umsatzes einfahren, hat der seit Mai dieses Jahres amtierende Adobe-President Bruce Chizen entschieden, sämtliche Ressourcen auf die Top-Fünf zu konzentrieren. Für Deutschlandchef Kemm bedeutet dies unter anderem, dass er nun direkt an den Mann berichtet, der im Adobe-US-Headquarter weltweit für Vertrieb zuständig ist.

Mit einer Absatzverdoppelung wächst der Geschäftsbereich "E-Paper" - das ist im Wesentlichen die Acrobat-Familie - derzeit am stärksten. Auch die Business-Unit "Web-Publishing entwickelt sich dynamisch. Dagegen erwartet Kemm im Bereich "Print-Publishing" in den kommenden Jahren ein vergleichsweise geringes Wachstum von zehn bis zwölf Prozent per Anno. Alle drei Bereiche werden in diesem Jahr in etwa denselben Umsatz erwirtschaften. Das weltweit meistverkaufte Adobe-Produkt ist im Übrigen Acrobat, nach Umsatz gerechnet liegt die Software hinter Photoshop auf Rang zwei.

Für den Rest des Jahres hat Adobe-Geschäftsführer Kemm noch et-was vor, damit das Geschäft in Schwung bleibt. Dazu gehören nicht nur neue Produktversionen (zum Beispiel Golive und Illustrator) und die Erwartung, dass nun auch die ersten Großverlage auf Indesign umstellen. Sondern Kemm will auch durch Push-und-Pull-Aktionen den Absatz stimulieren.

Mit einem "hohen sechsstelligen" D-Mark-Betrag will Kemm in den Medien die Adobe-Produkte bewerben. Dabei soll es sich um Gemeinschaftswerbung mit den Vertriebspartnern handeln. Natürlich erwartet Kemm von den Händlern, die bei dieser Aktion mitmachen wollen, ein gewisses Engagement. "Aber sie müssen sich dafür keine Türme mit unseren Software-Paketen ins Lager stellen", verspricht er.

Zudem hat Kemm ein Segment identifiziert, in dem sich "Störenfriede" (Kemm) breit gemacht haben und Adobe mit einem aggressiven Marktauftritt unter Druck setzen. Vor allem Macromedia gewinnt mit diesem Vorgehen derzeit Marktanteile hinzu.

Hier steht Kemm unter Handlungszwang. Seine Initiative: Er will die Photoshop-LE-Version (LE steht für "Limited Edition") zum Kampfpreis anbieten (derzeit rund 260 Mark im Adobe-Shop). Auch Bundling-Aktionen sollen für eine größere Installationsmenge sorgen. Das Ziel: "Wir wollen den gesamten Digital-Imaging-Markt besetzen und keinen Druck von unten zulassen", sagt Kemm.

Weitere Neuigkeiten bei Adobe sind:

- Ab September gilt ein neues Lizenzmodell. Damit soll vor allem dafür gesorgt werden, "dass wir kein Geld auf der Straße liegen lassen", erklärt Kemm. Einzelheiten will er noch nicht nennen.

- Die gesamte Abwicklung des Bestellvorgangs hat Adobe an einen externen Dienstleister delegiert. Kemm verspricht sich davon eine höhere Transparenz bei der Verfolgung des Bestellvorgangs. Ein weiterer Vorteil: Endkunden können nun einfacher die Anzahl ihrer Lizenzen überprüfen.

- Die neue Organisationsstruktur nach Geschäftsbereichen, nämlich "Print-Publishing", "Web-Publishing" und "E-Paper-Solutions". Das Channel-Team hat eine Querschnittsfunktion und ist den Business-Units übergeordnet. Nur die Betreuung der VARs ist in den einzelnen Segmenten angesiedelt.

Trotz der schwierigen Situation im Zusammenhang mit dem Umzug des Lagers nach Amsterdam ist Uwe Kemm gut drauf. Denn nicht nur der Software-Hersteller, sondern auch seine Vertriebspartner haben im ersten Halbjahr ein gutes Geschäft gemacht mit Umsatzzuwächsen zum Teil von mehr als 40 Prozent. Auch die Gemüter haben sich inzwischen weitgehend beruhigt. Insofern zögert Kemm keine Sekunde mit seiner Antwort auf die Frage, wie die Lage sei: "Alles bestens." (sic)

www.adobe.de

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