Der Zug ist bald abgefahren ...

06.02.2003

Vor einem Jahr war für Nvidia die Welt noch in Ordnung: Der Name stand für höchste Grafik-Performance. Die weiteren Anbieter, die sich noch auf dem Markt für Grafikchips tummelten, stellten keine Konkurrenz dar: Matrox hatte sich auf den Profimarkt spezialisiert, ATI kein konkurrenzfähiges Produkt in der Tasche, und Nvidia hatte kurz zuvor 3dfx gekauft. Den Massenmarkt beherrschte die kalifornische Chipschmiede ganz allein.

Heute sieht die Situation anders aus. Das erst im Januar 1993 gegründete Unternehmen ist schneller gewachsen, als es verkraften konnte. Neben Grafikchips entwickeln die Kalifornier auch erfolgreich Chipsätze für Motherboards und etliche weitere Produkte. Außerdem bastelten sie im vergangenen Jahr die Grafikausgabe der Xbox zusammen. Gute Entwickler sind nicht nur teuer, sondern, was erschwerend hinzukommt, auch dünn gesät. Immer größer, schneller und bunter sollen die neuen Bilder auf dem PC sein. Kein Wunder, dass jede neue Grafikchip-Generation mehr Transistorfunktionen enthält. Und diese vielen kleinen elektronischen Schalter wollen gebändigt werden. Um den Grafikchip der Xbox rechtzeitig fertigzustellen, musste Nvidia damals jedenfalls Entwickler aus der Geforce-FX-Abteilung abziehen und dem Xbox-Team zuteilen.

Aber wenn man auf zu vielen Hochzeiten tanzt, kann es eng werden. Und es wurde eng: Nvidia musste die Vorstellung des neuen Chip verschieben. War zuerst August/September 2002 angedacht, wurde es schließlich Ende November und damit zu spät für das Weihnachtsgeschäft. Und erst jetzt, Anfang Februar dieses Jahres, kommt Nvidia mit dem neuen Chip heraus - doch zu welchem Preis? 649 Euro werden nur hartgesottene und Nvidia-verliebte Fans, die zudem ob des lauten Lüfters noch schwerhörig sein sollten, auf die Ladentheke legen (Lesen Sie dazu auch den Artikel "Zu laut gebrüllt, Löwe!" auf Seite 10).

Zugegeben, mit den Flaggschiffen der jeweiligen Grafikchip-Reihen verdienen die Hersteller kaum Geld, das sind mehr Prestige-Objekte. Aber deren kleinere Brüder bedienen den Mainstream-Markt. Und hier greift der Anwender lieber zum kleinen Bruder des schnellsten Chips. Zur Cebit will Nvidia nun einen abgespeckten Chip, den NV 31, präsentieren. Der soll dann den Mainstream-Markt aufmischen. Aber bis dahin hat auch ATI die nächste Generation parat, und dann ist es fraglich, wer das Rennen gewinnt. Wenn der NV 31 nicht mit Superwerten zu einem erschwinglichen Preis überzeugen kann, ist der Zug für Nvidia dieses Jahr abgefahren.

Man bedenke: Vor etwa vier Jahren beherrschte die kleine Chipschmiede 3dfx den Markt für Grafikkarten allein. Vom damaligen Nobody Nvidia wurde sie nicht nur überholt, sondern kurz darauf auch weggefegt. 3dfx stellte damals mit der Voodoo5 6000 sein letztes Produkt vor, das allerdings nie richtig in den Handel kam. Wie die heutige Geforce FX war die Voodoo 5 6000 auch ein Stromfresser ohnegleichen. 3dfx lieferte zu den Karten deshalb auch gleich ein externes Netzteil mit. Damals entschieden sich die Kunden, auf die exzellente Grafikleistung zu verzichten und kauften Karten anderer Hersteller. Das war der Anfang vom Ende von 3dfx.

Nvidia muss aufpassen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Zwar ist der Chipanbieter inzwischen groß genug, um nicht unterzugehen, aber wenn sich die Kalifornier nicht schleunigst etwas einfallen lassen, sind ihre Tage als Marktführer im Grafiksegment gezählt.

Hans-Jürgen Humbert

hhumbert@computerpartner.de

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