Deutscher Intel-Chef Rissmann: "Unsere Motivation heißt Verfolgungswahn"

02.07.1997
MÜNCHEN: Rund 80 Prozent aller in Deutschland verkauften PCs tragen einen Prozessor aus dem Hause Intel in sich. Doch der Absatz läßt zu wünschen übrig. Daran wird auch die neueste Errungenschaft des Chip-Giganten, der MMX-Prozessor, nichts ändern. Denn die Probleme liegen nach Ansicht des Geschäftsführers der deutschen Intel GmbH, Joachim Rissmann, weder im Preis noch in der Technologie begründet. Das Interview führte ComputerPartner-Redakteur Christian Meyer.

MÜNCHEN: Rund 80 Prozent aller in Deutschland verkauften PCs tragen einen Prozessor aus dem Hause Intel in sich. Doch der Absatz läßt zu wünschen übrig. Daran wird auch die neueste Errungenschaft des Chip-Giganten, der MMX-Prozessor, nichts ändern. Denn die Probleme liegen nach Ansicht des Geschäftsführers der deutschen Intel GmbH, Joachim Rissmann, weder im Preis noch in der Technologie begründet. Das Interview führte ComputerPartner-Redakteur Christian Meyer.

?Intel ist im Prozessormarkt der absolute Platzhirsch, von einer ernsthaften Gefahr, daß verbliebene Nebenbuhler diesen Rang streitig machen könnten, kann keine Rede sein. Das Geschäft mit Rechnerchips ist für Intel quasi zu einem Selbstläufer geworden. Was motiviert Sie eigentlich persönlich, jeden Morgen als Geschäftsführer der deutschen Depandance ins Büro zu gehen?

RISSMANN: (lacht) Das Witzige daran ist, daß ich tatsächlich nicht jeden Tag an meinen Schreibtisch zurückkehre. Das liegt aber nicht daran, daß ich mich nicht mehr motivieren kann, sondern daran, daß ich mittels Video-Conferencing viel von zu Hause aus arbeite. Aber um auf die eigentliche Frage zurückzukommen: Ich glaube, es ist die Faszination an dieser mit einem wahnsinnigen Tempo voranschreitenden Technologie. Zwar sind wir stolz darauf, was wir bereits alles auf die Beine gestellt haben, aber ich weiß genau, daß technologisch noch lange kein Ende in Sicht ist. Ich freue mich jeden Morgen darauf, in Erfahrung zu bringen, was künftig alles möglich sein wird. Außerdem ist die führende Position immer eine permanente Herausforderung, denn der Markt birgt auch ein Risiko. Nämlich jenes, daß wir, aus welchem Grund auch immer, einmal in die falsche Richtung laufen könnten. Das beschäftigt uns den ganzen Tag, man könnte sogar von einer Art Verfolgungswahn sprechen. Allerdings empfinde ich das nicht als eine Last, die einem um den Hals hängt, sondern eher als Spaß und Motivation. Und letztlich muß ich aufpassen, daß wir die führende Position nicht verlieren. Der PC-Markt muß sich also in unserem Interesse weiterentwickeln. Gerade hier in Deutschland sehe ich noch einen immensen Nachholbedarf.

?Glauben Sie, daß die neue Intel-Errungenschaft, der MMX-Prozessor, dem Markt neue Impulse verleiht? An wessen Adresse sollen Rechner mit diesem Chip denn überhaupt gehen?

RISSMANN: Das ist ganz eindeutig. Der MMX, ob wir es wollen oder nicht, geht zuerst in den Consumer-Markt. Das wissen wir seit dem 486er. Damals wollten wir den professionellen Markt erreichen, doch zu unserer großen Überraschung hat ausgerechnet Vobis 486er-PCs verkauft wie ein Verrückter.

?Das heißt, Sie erwarten in diesem Jahr im Consumer-Markt den seit Jahren angekündigten großen Durchbruch?

RISSMANN: Ob wir in Deutschland das Eis so schnell brechen können, davon bin ich nicht so überzeugt. Ich glaube, die Probleme liegen ganz woanders. Die Deutschen sind Perfektionisten und solange ein PC noch nicht zu 100 Prozent funktioniert, solange springt die Mehrzahl der Konsumenten nicht auf den Zug.

Bei den professionellen Anwendern haben wir es mit einem anderen Phänomen zu tun. Dinge schnell zu entscheiden ist nicht gerade eine Domäne der gesamten zentraleuropäischen Wirtschaft. Und das macht sich auch bei der Investitionsbereitschaft bemerkbar. Was allerdings verheerende Folgen hat. Es gibt nur noch zwei Arten von Unternehmen: the quick and the dead. Viele Unternehmen haben noch nicht begriffen, daß der Einsatz neuer Technologie einen Wettbewerbsfaktor ist. An den Preisen kann es jedenfalls nicht liegen, daß der Markt sich so zögerlich gibt. Die PCs sind nirgendwo billiger als in Deutschland und nirgendwo haben wir beispielsweise ein so gut ausgebautes ISDN-Netz.

Folglich erwirtschafteten die Retailer bereits bis Ende Januar etwa 40 Prozent ihres Umsatzes mit MMX-Maschinen. Bis zur Jahresfrist wird der Anteil mit Sicherheit bei 80 Prozent liegen. Und ich gehe davon aus, daß es eine ganze Weile dauern wird, bis Firmen eine Entscheidung treffen. Aber in Tat und Wahrheit wird der Prozessor für den Business-PC mit MMX-Funktion sicherlich erst die nächste Generation sein.

? Die Plakette "Intel inside" ist seit dem Fälschungs-Debakel ziemlich angekratzt worden. Warum weigert sich das Unternehmen eigentlich Sicherungssysteme in die Chips zu integrieren, die unmißverständlich dessen Herkunft belegen?

RISSMANN: Das würde ich mir natürlich auch wünschen. Aber wir haben sehr deutlich gesagt bekommen, daß dies sehr viel komplizierter ist, als man es sich denkt und bringt bedeutend mehr Einschränkungen als vielleicht angebracht sind.

Es wird allerdings an Systemen gearbeitet, die aus einer ganz anderen Richtung kommen, als man sich das heute denkt. Ich glaube, wir müssen auch die Quelle zum versiegen bringen. Daran haben auch die Behörden ein beträchtliches Interesse, denn denen geht die ganze Mehrwertsteuer durch die Lappen.

? Das heißt, der Handel ist in naher Zukunft nicht vor Fälschungen sicher?

RISSMANN: Sicher kann man natürlich nie sein, aber ich denke, daß die wesentlichen Kanäle zwischenzeitlich erkannt worden sind.

? Wie hoch ist Ihrer Erkenntnis nach die Zahl der Assemblierer in Deutschland und wie schätzen sie deren Marktchancen ein?

RISSMANN: Wir arbeiten in Deutschland mit mehreren Hundert zusammen, die aktiv an unserem Programm teilnehmen. Tatsächlich schätze ich die Zahl auf etwa 2.000 ein. Ich gebe den Assemblieren eine sehr gute Chance. Wenn sie es verstehen, ihr technisches Know-how auch wirklich richtig zu vermarkten. Und dazu gehört natürlich ein bißchen mehr, als tolle PCs zusammenzuschrauben. Viele machen das im Ansatz schon richtig. Die kümmern sich um kleinere und mittlere Unternehmen, die sich normalerweise keinen PC-Experten leisten können oder leisten wollen. Und genau da liegt sein Markt. Er muß auch in der Lage sein, diesen Firmen ein wirklich leistungsfähiges Netzwerk zu installieren und vor allem dieses auch warten können. Wenn es ihm gelingt, die Kunden davon zu überzeugen, daß seine Leistung was wert ist, dann hat er ein ganz sicheres Geschäft, denn die Großen wie CompuNet reizt dieses Segment zwar, aber viel Erfolg hatten sie noch nicht. Daß das ein ganz bedeutender Markt, allerdings ist hier noch viel Überzeugungsarbeit seitens der Assemblierer zu leisten und die Bereitschaft unter Umständen 24 Stunden am Tag für den Kunden da zu sein, kommt natürlich noch hinzu.

? Intel hat 1996 einen Umsatz von knapp 21 Milliarden Dollar erwirtschaftet und einen Gewinn von etwas über fünf Milliarden Dollar. Ihre besten Kunden, die PC-Hersteller, stehen jedoch teilweise kurz vor dem Abgrund. Wie erklären Sie eigentlich diesen Unternehmen die ungleichmäßige Gewinnverteilung?

RISSMANN: Wie soll man es anders machen? Wir nehmen eine ganze Menge des Geldes und investieren neben den Entwicklungen in neue Fabriken. Ich denke, damit erweitern wir auf Dauer den PC-Markt. Das kommt letztlich allen zugute. Zweifellos sind wir ein wirtschaftliches Unternehmen, das seinen Gewinn maximieren will.

Das ist die Konsequenz eines offenen Marktes, aber jeder der Teilnehmer ist herzlich eingeladen, mit uns in Konkurrenz zu treten. Eine Alternative zu unserer derzeitigen Geschäftspolitik sehe ich jedenfalls keine. Über die hohe Verantwortung, die wir in diesem Markt haben, sind wir uns natürlich bewußt. Ich will das an einem Beispiel festmachen: Es ist wirklich verdammt schwer, den künftigen Bedarf an Chips abzuschätzen, denn wir müssen bereits heute die

Kapazität, die hoffentlich in zwei Jahren vom Markt erwartet wird, planen. Nichts ist teuerer als eine Fabrik, die nicht ausgelastet ist.

Deswegen setzen wir uns mit den PC-Herstellern an einen Tisch und diskutieren alle Informationen durch, die wir zusammengetragen haben. Nur, es ist wirklich schwer, hier einen Konsens zu erzielen. Das ist die eigentliche Problematik.

? Mit dem Versuch, Funktionen auf dem Pentium-Chip zu integrieren, die üblicherweise von digitalen Signal-Prozessoren übernommen werden, betritt Intel nicht nur ein neues Marktsegment, sondern tritt auch in Konkurrenz mit DSP-Herstellern wie beispielsweise Texas Instruments oder Motorola. Wollen Sie diesen Unternehmen ernsthaft Konkurrenz machen?

RISSMANN: Eigentlich nicht. Ich glaube, gerade deren Spitzenprodukte sind den unseren noch weit überlegen. Nur, über eines muß sich jeder im klaren sein: Immer mehr Funktionen wandern auf das Motherboard und letztlich dann in den Chip. Das sieht sehr gut am Beispiel der vermehrten LAN-Funktionalität auf dem Motherboard. Das beginnt immer mehr aktuell zu werden und setzt die Mitbewerber stark unter Druck.

?Bedeutet der Einsatz der Multimedia-Chips also auf längere Sicht gesehen auch das Ende der Soundkarten- und Videokarten-Hersteller?

RISSMANN: Im Grunde müßte man ja sagen. Das heißt für diejenigen, die wirklich in diesem Bereich an der Spitze sind, bleibt noch Raum. Aber der untere Bereich wird natürlich auf Dauer aufgefressen.

?Wie sehen Sie eigentlich die derzeitige Wettbewerbssituation mit Unternehmen wie Cyrix oder AMD?

RISSMANN: Natürlich nehmen wir unsere Konkurrenten ernst. Die dürfen nicht unterschätzt werden. Die könnten sehr gute Ideen hervorbringen, die wir übersehen haben oder weil wir vielleicht zu langsam geworden sind. Nicht zuletzt bewundere ich diese Unternehmen. Die haben schon einige Rückschläge hingenommen und sind doch immer noch mit viel Mut wieder an die Arbeit gegangen.

?Was halten Sie von der gemeinsamen Ankündigung einiger japanischer Hersteller wie NEC, Hitachi oder Fujitsu, einen besseren und preiswerteren Chip bauen zu wollen?

RISSMANN: Eigentlich hat es uns jahrelang unheimlich gewundert, daß von den Japanern keine Aktivitäten ausgingen, uns Konkurrenz zu machen. Und eine Zeitlang war der japanische Markt ja wirklich nicht von Intel dominiert und die Gefahr war groß, daß uns dort jemand zuvorkommt. Aber mittlerweile hat sich das geändert. Ich glaube, deren Startchancen haben sich sehr verschlechtert.

? Wie steht es bei Intel eigentlich beim Thema Video-Conferencing? Steht der Durchbruch mal wieder unmittelbar bevor?

RISSMANN: Eigentlich ist es ein falsches Produkt für eine reine Halbleiterfirma, wenn man so will. Auch sind wir in diesem Bereich viel zu ungeduldig. Die Technologie kann zwar immer besser werden, ist aber nicht das große Hemmnis. Die erste Barriere ist, daß Menschen sich dran gewöhnen müssen, sich auf dem Bildschirm zu sehen. So einfach ist das. Aber das dauert ewig. Auch haben wir unterschätzt, was hinsichtlich der Arbeitsprozesse alles umgestellt werden muß.

? Ihre Marketingabteilung sollte sich also besser nicht von der technologischen Seite diesem Thema nähern...

RISSMANN: Die eigentlichen Verkäufer solcher Systeme sind nicht Intel, PictureTel oder die Telekom, sondern Firmen, die komplette Lösungen zur Verfügung stellen können. Und hier muß mehr getan werden. Wir haben für dieses Jahr deswegen sehr vorsichtige Pläne. Eine Verdoppelung des Marktes scheint machbar.

? Ihr oberster Chef Andy Grove hat in seinem Buch "Only the paranoids survive" dargelegt, warum man etwas verrückt sein muß, um ein Unternehmen zum Erfolg zu führen. Was würden Sie an sich selbst als verrückt bezeichnen?

RISSMANN: Als ich bei Intel angefangen habe, habe ich viele Probleme in diesem Unternehmen gesehen. Ich habe immer gedacht, das muß doch irgendeiner lösen. Irgendwer muß sich dafür doch verantwortlich fühlen. Ich war diesen Perfektionismus von früher her gewohnt. Aber es ist nichts passiert. Da habe ich angefangen Kompetenzen zu überschreiten und dabei gelernt, daß man so viel mehr erreichen kann. Und nebenbei bemerkt: Das ist ein Mordsspaß!

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