Die Anwender sind vom Nutzen der Netz-Computer noch lange nicht überzeugt

28.11.1997

MÜNCHEN: Der Verkauf der Netzwerk-Computer (NCs) beginnt schleppend. Noch immer bestehen Zweifel an ihrer Alltagstauglichkeit. Zudem fragen sich die Unternehmen, ob die Kostenvorteile wirklich so groß sind, wie von den Protagonisten dargestellt.

Larry Ellison gab eine blamable Vorstellung. Anläßlich der Fachmesse Oracle OpenWorld 97 Ende September in Los Angeles wollte der Oracle-Chef höchstpersönlich die Vorzüge seines neuen Mager-PC-Modells präsentieren. "Kinderleicht", so Ellison, sei die Inbetriebnahme eines Netzcomputers (NC). Doch die Installation ging gründlich daneben. Statt der WebSeite eines Internet-Blumenbestelldienstes sausten Zahlenkolonnen den Bildschirm herunter. Der routinierte Entertainer Ellison nahm den Absturz äußerlich gelassen hin. Mit einstudiertem Zahnpastalächeln erklärte er, der berühmte "Vorführeffekt" sei ihm zum Verhängnis geworden. Normalerweise funktioniere alles "perfekt".

Auch wenn der Oracle-Boß nicht müde wird, den Erfolg zu beschwören - seine NC-Mission läuft bisher alles andere als reibungslos. Seine peinliche Hängepartie spiegelt die derzeitige Vermarktungssituation der neuen Hoffnungsträger wider. Zwar werden Netzcomputer seit kurzem von der Industrie angeboten. Nach dem Willen der Anbieter sollen die schlanken Rechner aufgeblasene Personalcomputersysteme ersetzen, die Hunderte von Megabyte Software brauchen, um arbeiten zu können. Doch die Kunden hängen an ihren PCs.

Diät-Rechner gegen das Computerwettrüsten

Es ist eine Haßliebe - zwischen Lust und Frust. Genau dieser emotionsgeladenen Arbeitsbeziehung wollten die NC-Verfechter ein Ende bereiten. Vor zwei Jahren hob Ellison mit Scott McNealy, dem Chef der US-Softwarefirma Sun Microsystems, das Netzcomputerkonzept aus der Taufe. Sun entwickelte mit Java eine Programmiersprache, die kein komplexes PC-System braucht, um lauffähig zu sein. "Das Zeitalter des Computerwettrüstens ist beendet", riefen Ellison und McNealy drohend in Richtung Intel und Microsoft.

PC-Nutzer sollen auf ein simpleres Prinzip umsteigen: den NC - einfach zu bedienen, zuverlässig und preiswert eine Art Volkswagen der Computerwelt sozusagen. Die schuhkartongroße Box kommt ohne Festplatte, CD-ROM- und Diskettenlaufwerke aus und lädt Anwendungsprogramme und Dateien aus dem Firmennetz oder dem Internet in den Arbeitsspeicher.

Eigentlich eine tolle Idee mit Marktpotential - dachten sich auch die Computerhersteller. Mehr als 80 Unternehmen, von Acer bis Zenith Data Systems, machen sich seither für Netzcomputer stark. Doch nachdem die erste Euphorie abgeflaut ist, gehen die Protagonisten mittlerweile eher zögerlich zu Werke.

Die Industrie steht sich selbst im Weg

Hauptgrund: Die Industrie steht sich selbst im Weg. Die Anbieter teilen sich inzwischen in zwei Lager auf, die sich strategisch blockieren. Die eine Fraktion, zu der Produzenten wie Tektronix gehören, engagieren sich für den NC auf Basis der Softwarelösung Java. Hersteller wie Compaq hingegen sind ins ,,feindliche Lager" übergelaufen. Intel und Microsoft haben auf den Angriff von Sun und Oracle mit einer Gegenbewegung reagiert und den "Net-PC" ins Leben gerufen.

Diese abgespeckte Version eines Personal-Computers funktioniert nur auf Windows-Basis. Das Ergebnis des Begriffs- und Systemwirrwarrs: Strategiechaos bei den Herstellern und totale Verunsicherung bei den Branchengrößen wie IBM und Hewlett-Packard, die anfänglich auf beiden Hochzeiten tanzten, verfolgen inzwischen nur mehr eine Variante. IBM stornierte die Aktivitäten in Sachen Net-PC und konzentriert sich auf den NC - HP macht es genau umgekehrt. Die Begründung in beiden Fällen: Mehr "Klarheit" in der Produktpolitik. Ohnehin verlieren die Anbieter zuweilen selbst den Überblick. Beispiel Preisgestaltung. In den USA sind Heimcomputer schon für weniger als 1.000 Dollar zu haben. Damit bewegen sie sich auf demselben Preisniveau wie Netzcomputer - in manchen Fällen sogar darunter. ,,Ein völlig absurdes Szenario. Der Privatkunde will viel Leistung für wenig Geld. Warum sollte er für den gleichen Preis zu einer Schmalspurlösung greifen?" fragt Bert Jolinson, Manager beim US-Computerhändler Circuit City ungläubig.

"Die Kunden tun sich mit dem NC schwer"

Auch die Unternehmen sehen bisher wenig Vorteile bei einem Umstieg vom PC auf den NC. "Es hat ewig gedauert, bis PCs in Unternehmen akzeptiert wurden, die Kunden tun sich mit NCs deshalb etwas schwer", räumt Dieter Zimmermann ein, bei der IBM Deutschland GmbH in Stuttgart für den Bereich Netzcomputer zuständig.

Entgegen den Vermarktungsplänen der Industrie ersetzen NCs in den Unternehmen deshalb in der Regel nicht die PCs. Vielmehr tauschen Banken, Versicherungen und Zustelldienste ihre veralteten Terminals gegen NCs aus. Auch das sonst so schlagkräftige Kostenargument hat bisher erst wenige Kunden überzeugt. Nach Analystenmeinungen kostet die Wartung eines PCs jährlich stolze 20.000 Mark. NCs hingegen sollen durch die zentrale Softwareverwaltung bis zu 40 Prozent günstiger sein. Doch noch ist fraglich, ob die in Aussicht gestellten Kosteneinsparungen in der Praxis realisierbar sind. Es gibt einfach zu wenig Erfahrungswerte für den Betrieb von NCs in Firmennetzen. "Wenn das Netzwerk nur einen halben Tag stillsteht, übersteigen die finanziellen Verluste jeden Einspareffekt durch den NC-Einsatz", meint Eckhart Baum, Leiter Technisches Marketing bei Intel in Feldkirchen. Marktforscher korrigierten ihre zunächst optimistischeren Absatzprognosen inzwischen nach unten. Im Jahr 2000, so das US-Institut Dataquest, werden weltweit 2,4 Millionen Netzcomputer, aber 30 Millionen PCs verkauft. ,,NCs taugen als Nischenprodukte, aber sie werden den König PC niemals vom Schreibtisch vertreiben", erklärt Steven Tirone, Analyst bei der International Data Corporation (IDC). Larry Ellison läßt sich von solcher Schwarzmalerei nicht beirren. Der Oracle-Chef stockte den Marketingetat für NCs gerade erst auf die stattliche Summe von 50 Millionen Dollar für das nächste halbe Jahr auf. Katja Gutowski

(Der Beitrag erschien erstmals in der Wirtschaftswoche Nr. 44/97)

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