Die "Kleine AG" wird immer beliebter

21.10.1999

ALSBACH-HÄHNLEIN: Die Gründung einer "kleinen AG" wird chic. Der Neue Markt in Frankfurt beispielsweise lebt von solchen Unternehmen - besonders aus der IT- und Telekommunikationsbranche, die den Schritt an die Börse wagen. Wann sich das für eine Firma lohnt und was dabei zu beachten ist, beschreibt Rechtsanwalt Reinhard Hahn vom Juristischen Literatur-Pressedienst im folgenden Beitrag.In Deutschland boomt der Aktienmarkt. Rund 5.000 Aktiengesellschaften gibt es bei uns, und jeden Monat kommen rund 150 neue hinzu. Dabei sind es nicht immer die großen Gesellschaften, die diese Gesellschaftsform wählen, sondern es sind vermehrt die "Kleinen", die sich in Form einer Aktiengesellschaft am Markt neu präsentieren - also Kleinunternehmer mit weniger als 20 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von unter fünf Millionen Mark.

Für zukunftsträchtige beziehungsweise wachstumsstarke Unternehmen des Mittelstands tun sich mit der "kleinen AG" neue Perspektiven der Unternehmensfinanzierung auf. Das bereits am 1. Januar 1995 in Kraft getretene "Gesetz für kleinere Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" erlaubt nunmehr auch kleineren Unternehmen, sich diese Gesellschaftsform zuzulegen. Diejenigen Bestimmungen des Aktienrechts, die für kleinere Unternehmen zu umständlich und zu teuer waren, sind vor allen in folgenden Punkten vereinfacht worden: Gründung, Hauptversammlung, Mitbestimmung im Aufsichtsrat und Aktienausgabe. Damit ist die "kleine AG" hinsichtlich der Praktikabilität mit der GmbH vergleichbar, bietet aber grundlegende Vorzüge wie bei den großen Aktiengesellschaften.

Wann lohnt sich der Gang an die Börse?

Vorwiegend regionale deutsche Börsen haben sich in letzter Zeit verstärkt den "kleinen AGs" angenommen. Damit bieten sich vermehrt Chancen für Unternehmer,

- die aus Eigenkapitalmangel ihr potentielles Wachstum nicht finanzieren können,

- im Rahmen der Bankenfinanzierung sich persönlich mit ihrem gesamten Vermögen verpfändet haben,

- Mitarbeiter, insbesondere unersetzliche Führungskräfte, in das Unternehmen verantwortungsvoll einbinden wollen,

- eine optimale Nachfolgeregelung beim Generationswechsel anstreben, ohne hierfür einen geeigneten Nachfolger zu haben beziehungsweise

- verschiedene Familienzweige gezielt beteiligen wollen,

- wegen der für ihr innovatives und wachstumsorientiertes Unternehmen nicht verfügbaren Bankenfinanzierung eine alternative Eigenkapitalfinanzierung benötigen.

Durch die Ausgabe von Aktien kann Eigenkapital beschafft werden, ohne von den Banken abhängig zu sein. Das Unternehmen wird damit kreditunabhängiger. Die Produktivität läßt sich so erhöhen, was gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen kann. Aktien können Kunden, Lieferanten oder aber auch den Mitarbeitern angeboten werden. Eine engere partnerschaftliche Bindung läßt sich so schaffen. Zugleich gewinnt das Unternehmen Prestige und Image. Durch die Einbindung renommierter Aufsichtsräte (mindestens drei) gewinnt das Unternehmen an Ansehen, was der wirtschaftlichen Stabilität zugute kommt.

Die Aktien können prinzipiell individuell gestreut werden; sie können auch mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet sein. Es wird zwischen Stammaktien mit vollem Stimmrecht unterschieden und Vorzugsaktien, die ohne ein solches Stimmrecht sind. Die Aktien können als Inhaber- oder Namensaktien ausgegeben werden. Wer fremden Einfluß auf "seine" Aktiengesellschaft begrenzen möchte, gibt Namensaktien aus. Die Weitergabe solcher Aktien ist an die Zustimmung von Vorstand oder Aufsichtsrat gebunden.

Ein besonderer Vorteil der "kleinen AG" ist die eingeschränkte Publizitätspflicht. Ausreichend ist es, die Bilanz, ohne Gewinn- und Verlustrechnung, beim zuständigen Amtsgericht einzureichen und zu hinterlegen. Eine Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmer sieht das Aktiengesetz für Aktiengesellschaften mit nicht mehr als 500 Mitarbeitern nicht vor.

Der Generationswechsel kann Schritt für Schritt vollzogen werden. Das Unternehmen wird fließend in neue Hände übergeben, wenn die Aktienpakete nicht auf einmal, sondern in gestaffelten Teilpaketen abschnittsweise übertragen werden. Mit der steigenden Aktienübergabe kann der Nachfolger in seine Rolle und Aufgabe hineinwachsen. Der Seniorchef dagegen kann sich immer mehr zurückziehen. Konflikte werden so vermieden.

Was beim Börsengang zu beachten ist

Allein mit dem Gang zum Notar ist es aber nicht getan, um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft in eine Ak-tiengesellschaft umzuwandeln. Wer sich für die Gründung einer AG entschieden hat, sollte folgende Punkte beachten:

- Das Unternehmen muß gezielt für diese Unternehmensform vorbereitet werden.

- Das neue Marketingkonzept muß innovativ abgestimmt in die Öffentlichkeit getragen werden.

- Mitarbeiter und vor allen Dingen die Geschäftspartner müssen im Vorfeld über diese Strategie informiert werden.

- Bei der Neugründung einer "kleinen AG" muß ein Grundkapital von 100.000 Mark vorhanden sein.

- Bei der Gesellschaftsumwandlung muß ein Vermögen von DM 100.000 Mark in der Bilanz ausgewiesen sein.

- Die Unternehmensziele und die Perspektiven für die potentiellen Aktionäre müssen abgesteckt und nach außen sichtbar dargestellt werden.

- Schließlich muß der Wert des Unternehmens und damit der Ausgabekurs der Aktien bestimmt werden. Ermittelt werden muß derjenige Firmenwert, der allen Interessengruppen gerecht wird und der den Kauf der Aktie zugleich attraktiv macht.

Wichtiger noch als der Gewinn ist das auf Basis von Fakten nachvollziehbare zukünftige Gewinnwachstum, das plausibel belegt und nachgewiesen ist. Der Aktienanleger lebt wegen der nicht vorhandenen kreditmäßigen Absicherung von den Informationen über die Gesellschaft. Es darf daher keinerlei Scheu vor einer offenen Kommunikation mit den Anlegern bestehen.

Zu guter Letzt muß genügend Geld vorhanden sein, um die Marketingstrategie umzusetzen und die Gründungskosten für Steuer und Rechtsberatung zu finanzieren.

Resümee: Der deutsche Kapitalanleger hat seine anfängliche Scheu vor dem Aktienmarkt abgelegt und greift immer häufiger nach diesem Risikokapital des Aktienmarktes. Auch ohne Börsenzulassung bietet die "kleine AG" gute Chancen, sich Kapital zu beschaffen, wenn das Konzept innovativ und die Gewinnerwartung nicht nur rein spekulativ ist.

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