Rewe macht Schluss

Die langsame Abkehr vom Werbeprospekt

04.07.2023
Der jetzt erfolgte Ausstieg von Rewe aus der Prospektwerbung könnte eine tiefgreifende Veränderung einläuten.
Mehr als 28 Milliarden Werbeprospekte stecken jährlich in den Briefkästen deutscher Haushalte. Rewe macht da jetzt nicht mehr mit.
Mehr als 28 Milliarden Werbeprospekte stecken jährlich in den Briefkästen deutscher Haushalte. Rewe macht da jetzt nicht mehr mit.
Foto: Werner Spremberg - shutterstock.com

In einem Geschäft kostet ein Kilogramm Tomaten 3,96 Euro, im nächsten 99 Cent. Gerade in Zeiten hoher Inflation entscheidet der Preis bei vielen Verbrauchern über den Kauf. Einen Überblick bieten die Werbeprospekte der großen Einzelhändler. Mehr als 28 Milliarden solcher Papierhefte landen jährlich in den Briefkästen deutscher Haushalte. Doch die einst allgegenwärtigen Handzettel der Supermärkte verabschieden sich nach und nach in den Ruhestand. Sonderangebote, Aktionen und Rabatte werden immer häufiger digital präsentiert.

Seit dem 1. Juli verschickt Rewe keine Handzettel mehr - nach 80 Jahren der Prospekt-Tradition. Nach eigenen Angaben ist Rewe damit der erste deutsche Supermarkt, der die Handzettel einstellt. Aber auch andere Händler gingen den Schritt schon: Obi, Deutschlands größte Baumarktkette, verteilt bereits seit Juni 2022 keine Prospekte mehr. Bei Rewe habe der Verzicht auf die Papierhefte vor allem Nachhaltigkeitsgründe, sagte Rewe-Group-Vorstand Peter Maly. Wöchentlich habe Rewe etwa 25 Millionen Prospekte in Deutschland verteilt. Mit dem Abschied vom Handzettel spare das Unternehmen jährlich mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 und 1,1 Millionen Tonnen Wasser ein.

NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller (liks) bekommt von Rewe-Vorstand Peter Maly den letzten Papier-Prospekt überreicht.
NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller (liks) bekommt von Rewe-Vorstand Peter Maly den letzten Papier-Prospekt überreicht.
Foto: REWE

Mit dem Handzettel verschwindet eine einfache und anonyme Möglichkeit, Angebote einzuholen und Preise zu vergleichen. Insgesamt 80 Prozent aller prospektlesenden Kundinnen und Kunden, egal ob gedruckt oder digital, sind bereit, für ein Sonderangebot vom Stammgeschäft zum Geschäft mit Rabatten zu wechseln. Das geht aus einer GfK-Umfrage unter 1.500 Konsumentinnen und Konsumenten hervor. Demnach identifizieren sich 13 bis 15 Prozent noch als Komplettverweigerer digitaler Werbeanzeigen.

Könnte durch den Verzicht auf gedruckte Prospekte nicht Kundschaft verloren gehen? Rewe-Group-Vorstand Peter Maly bleibt optimistisch. "Ich glaube eine gewisse Grundbefürchtung ist schon da, das ist auch richtig so", sagte Maly. "Aber wir erreichen natürlich auch gerade ältere Kundschaft durch Tageszeitungen oder durch das Radio. Ich würde die digitale Befähigung der älteren Bevölkerung auch nicht unterschätzen".

Kundinnen und Kunden sollen künftig über eine App, per WhatsApp oder im Newsletter erreicht werden. "Durch die Verknappung an den Hausfluren, wo ja auch immer mehr verboten wird, Werbung einzuschmeißen, konnten wir sowieso schon viele nicht mehr erreichen", sagt Maly.

Wie andere Einzelhändler planen

Andere Supermarktketten setzen derweil noch auf eine Mischform aus Papier und digital. Kaufland nutzt neben digitaler Werbung noch immer Prospekte. Es sei ein "wichtiger Kanal", um Kundinnen und Kunden zu erreichen, sagte eine Sprecherin.

Rewe hat sich festgelegt und verzichtet bei der Ansprache der Schnäppchenjäger jetzt komplett auf Prospekte. Wettbewerber zögern noch - sehen aber auch den Bedarf zur Digitalisierung.
Rewe hat sich festgelegt und verzichtet bei der Ansprache der Schnäppchenjäger jetzt komplett auf Prospekte. Wettbewerber zögern noch - sehen aber auch den Bedarf zur Digitalisierung.
Foto: REWE

Auch der Discounter Aldi setzt auf ein Zusammenspiel aus App, Website und Magazin. "Formatanpassungen sind für uns ein gangbarer Weg, um auf die steigenden Papierpreise zu reagieren", sagt ein Sprecher von Aldi Nord. "Wir gehen - auch aus Nachhaltigkeitsgründen - sehr bedacht mit den Seitenumfängen und der Auflage unseres Magazins um." Der Prospekt sei dennoch weiterhin ein reichweitenstarkes und populäres Medium.

"Eine mutige Entscheidung", nennt Martin Fassnacht von der Wirtschaftsschule WHU in Düsseldorf das Einstellen der Prospekte durch Rewe. "Sie müssen bedenken, Deutschland ist ein relativ altes Land, global gesehen, und viele Menschen wollen momentan Geld sparen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Besonders die ältere Generation greife noch auf die physische Variante der Angebotspräsentation zurück. "Es ist wie eine Sonntagslektüre - Sie nehmen die Prospekte in die Hand und vergleichen die Preise. Sie legen sie alle nebeneinander." Das beeinflusse die Kaufentscheidung.

Fassnacht glaubt, dass Rewe durch die Einstellung des Papierkatalogs Kunden verlieren könnte. "Das wird nicht sofort ausgeglichen werden können. Mittel- und langfristig vielleicht, aber nicht sofort", sagt er. Sollte der Übergang von der Papier- zur digitalen Werbung nicht gelingen und die modernen Werbewege die Kundinnen und Kunden nicht überzeugen, könnten tragende Aktionen und Kaufanlass-Tage wie Ostern oder Silvester verloren gehen." (Melissa Erichsen - dpa/pma)

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