Ehemalige Digital-Händler warten auf konkrete Antworten

17.09.1998

MÜNCHEN: Nach unruhigen Monaten mit dem schlechtesten Quartalsergebnis in der 15jährigen Geschichte, zwei Wechseln an der Unternehmensspitze und unklarer Strategie blickt Netzwerker Cabletron Systems Inc. wieder zuversichtlich in die Zukunft. Doch die angestrebte Integration der im vergangenen Jahr akquirierten Netzwerkabteilung der Digital Equipment Corp.(DEC) bereitet nach wie vor Kopfzerbrechen.

Manager der Cabletron GmbH in Dreieich reisten vergangene Woche quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um strategische Ausrichtung, neue Produkte und das geliftete Partnerprogramm "Synergy plus" zu präsentieren.

Der Netzwerker plant, die bereits im Vorjahr propagierten Aktivitäten (siehe ComputerPartner Nr. 19/97, Seite 12) im Mittelstand zu forcieren. Zum Beispiel durch neue Produkte der Reihe "Smart Switch Router": den "8600" als Enterprise-Backbone und den "2000", den der Hersteller als "preisgünstigen Wirespeed Workgroup Switch" preist. Spätestens in sechs Monaten wird, wie Geschäftsführer Albert Müller ankündigte, "Spectrum für den Mittelstand verfügbar sein", eine abgespeckte Version von Cabletrons Netzwerkmanagementsoftware. Guido Engel, seit 1. September Manager Channel & Business Development, steckt hohe Ziele: "Wir müssen in die Breite gehen, in den Mittelstand. Wir müssen die Flächendeckung verdoppeln."

Wie auch den Umsatz, der nach Engels Vorgaben in den nächsten sechs bis neun Monaten um 100 Prozent wachsen soll. Im Großkundensegment will der Cabletron-Manager seinen neuen Arbeitgeber sogar zum "Number One Player" machen, den Branchenprimus Cisco verdrängen. Durch den Digital-Merger und das Know-how der übernommenen Partner sei schon eine gute Basis geschaffen.

DEC-Händer verunsichert

Doch just die ehemaligen DEC-Partner fühlen sich offenbar noch nicht so recht wohl an Bord des neuen Bootes. Jedenfalls kamen beim Treffen in München aus ihrem Lager die meisten Fragen auf. Die Verunsicherung spiegelte sich im globalen Bangen eines Teilnehmers wider: "Was geschieht mit Ex-Digital-Partnern?" Laut Engel soll dies "bald geregelt werden". Ebenso heiß brennt weiterhin die Produktstrategie auf den Nägeln: "Was geschieht mit Digital-Produkten? Welche werden weiter produziert und wie lange noch?" Konkrete Antworten hatte auch Produktmarketing- und PR-Manager Jan Bause nicht parat. Das hänge vom Markt ab.

Sicher ist indes, daß es zwei Labels für ehemalige Digital-Netzwerkprodukte geben wird: Neben "Cabletron" existieren nach wie vor Geräte unter dem Branding "Digital" - wenn sie von Compaq/Digital verkauft werden. Was einen Händler zu dem pragmatischen Vorschlag inspirierte: "Vielleicht sollten die Geräte mit einem Satz verschiedener Aufkleber oder mit drehbaren Emblemen ausgeliefert werden."

Partnermodell umstritten

Durchaus ernst zu nehmen waren die Kritiken am gelifteten Partnerprogramm. Insbesondere die Differenzierung One-Tier- und Two-Tier-Partner erregte die Gemüter. Zumal die Zahl der direkt von Cabletron belieferten Häuser von derzeit 25 auf zirka zehn reduziert werden soll. Angst vor einer "Degradierung" macht die Runde.

Das Gros der rund 50 Partner wird künftig über die Distributoren Anixter, Azlan, Magirus und Raab Karcher versorgt - sowohl mit Hardware als auch mit Service. "Wenn wir kompetente Partner sind, brauchen wir keinen Support durch Distributoren, sondern durch den Hersteller. Wir reden hier nicht von Pre-Sales-Support. Das ist kein Support."

Ein Einwand, dem Bause mit dem Versprechen begegnete, daß auch Two-Tier-Partner technische Unterstützung bei Cabletron in Anspruch nehmen könnten. Er nahm zugleich die Grossisten in Schutz: "Unsere Distributoren sind keine Kistenschieber." Zweifel löste das Modell zudem bezüglich des zugesicherten Projektschutzes und Pricing aus. Verwirrend fanden Teilnehmer die Klassifizerung nach unterschiedlichen Produktgruppen und Qualifizierungsstufen.

Enorm hohen Aufwand - und enorm hohe Kosten - zur Zertifizierung sahen die Ex-Digital-Partner auf sich zukommen. Was Geschäftsführer Müller laut darüber sinnieren ließ, ob man durch den Hamburger Schulungsträger Icon GmbH nicht gezielte Trainings ausschließlich für die Cabletron-Palette anbieten solle: "Es geht uns schließlich nicht darum, unseren Trainingsumsatz in die Höhe zu treiben."

Hohe Zertifizierungskosten

Im allgemeinen fand "Synergy Plus" indes positive Resonanz. Besonders hob Bause den "Business Development Funds" hervor. Je nach Umsatz sollen Gelder zweckgebunden an die Partner zurückfließen. Und Bause verwies auf Cabletrons Erfahrung im Direktvertrieb und die seiner Ansicht nach daraus resultierende qualifizierte Lead-Generierung.

Mittlerweile werden 95 Prozent der deutschen, österreichischen und Schweizer Kunden indirekt betreut. "Die Zeiten des Direct-Sales sind vorbei." Diese Beteuerung Müllers vernahmen die Partner gerne. Nichtsdestotrotz nahmen der Chef und seine Mitstreiter etliche offene Fragen mit nach Dreieich. Genügend Material für weiteres Kopfzerbrechen. (rk)

Cabletron-Geschäftsführer Albert Müller schwört die Partner ein: "Die Zeiten des Direct-Sales sind vorbei."

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