Ein Camcorder zum Filmen, Surfen und Mailen

29.11.2001
Auf der IFA stellte Sony überraschend ein neues digitales Videosystem vor, neben Digital 8 und Mini DV bereits das Dritte seiner Art. Es heißt "Micro MV" und soll dank einer rasierklingengroßen Bandkassette eine neue Gerätegeneration ermöglichen. ComputerPartner hat sich den Ersten dieser Kameratypen angesehen.

Vorneweg ein Vergleich: Sonys bisher leichtester DV-Camcorder, der DCR-PC6, bringt 570 Gramm auf die Waage, der Micro-MV-Neuling "DCR-IP7" gerade noch 380 Gramm. Der Winzling verschwindet in einer Männerhand und kann dennoch mehr als alle seine Kollegen. Im Zusammenspiel mit Handys versendet er E-Mails und empfängt Homepages, ohne dass dazu ein Rechner nötig wäre. Damit zeigt Sony deutlich, wohin die Reise geht: mobile Multimediamaschinchen als universelle, vernetzte Bild- und Toneingabemedien. James Bond lässt grüßen.

Via Bluetooth nimmt die Kamera Kontakt zu anderen Geräten auf, im konkreten Testfall zu Nokias Handy 6210. Die Verbindung funktioniert nach Eingabe des Gerätetyps in den IP7 zuverlässig - zumindest wenn die Geräte nicht weiter als fünf bis acht Meter auseinander liegen und keine größeren Störquellen wie Mikrowellen dazwischen liegen.

Der in den Camcorder integrierte Browser macht direktes Surfen im Internet möglich. Nur, was tun damit, außer vom Drehort aus Theaterkarten ordern? Wie wäre es damit, Fotos oder Kurzfilmchen direkt in alle Welt zu versenden? Bevor das allerdings klappt, verlangt der Browser des Camcorders nach einer Konfiguration. Die Einwahlnummer des Internet-Providers ist noch relativ leicht herauszubekommen, Identifikation und Passwort des gewählten Providers sind ebenfalls schnell eingegeben. Glücklich kann sich schätzen, wer bereits ein PC-E-Mail-Programm per Hand konfiguriert hat. Er wird sich mit dem Fachchinesisch sehr viel leichter tun.

Bereithalten sollte man auch den Namen des POP-Servers, über den die E-Mails laufen sollen, sowie die Anwenderidentifikation und das Passwort. Probleme dürfen Besitzer eines AOL-Webzugangs erwarten: Aufgrund eines besonderen Anmeldeverfahrens bleibt der Zugang zu den Mailboxen derzeit noch verwehrt. Grundsätzlich gilt: Das fehlerfreie Eingeben der Zahlenko-lonnen per Cursorknopf und Dis- playmenü ist zeitraubend.

Video via Mail

Ist die Konfiguration beendet, steigt die Spannung: Klappt die Kommunikation mit dem Handy? Beim Nokia 6210 mit BluetoothAdapter kein Problem, ein Ericsson T35M zeigte sich nicht störfest gegen die elektromagnetischen Einflüsse eines Monitors. Der Praxistest zeigt, dass Verbindungen nicht an das Niveau einer analogen 56-Kbit/s-Leitung herankommen. Für ein Foto ist das allemal schnell genug. Eine auf dem Memory Stick gespeicherte Filmsequenz braucht aber länger. Zum Glück gibt es mehrere Kompressionsstufen für die bewegten Bilder. Wichtige Einschränkung: Die Szene darf nicht größer als 3 MB sein. Beim Filmen signalisiert aber keine Anzeige diese Grenze. Nach gut 20 Minuten ist die erste Video-Mail übertragen und der Akku am Ende.

Für den mobilen Datenaustausch gibt es zwei Lösungen. Eine Verbindung mit einem GPRS-Handy bietet eine Datenrate von bis zu 170 Kbit/s. Aber noch sind die Mobilfunknetze für diese Art des Datenversands nicht weit genug ausgebaut. Außerdem sind die Kosten beim GPRS-Versand immens. Abgerechnet wird nicht die Online-Zeit, sondern das Datenaufkommen. Alle 10 KB tickt der Gebührenzähler. Bei mindestens sechs Pfennig pro Einheit wird die Video-Mail ganz schön teuer.

Günstiger ist der mobile Datenversand mit der HSCSD-Technik. Abgerechnet wird im Minutentakt, Geschwindigkeiten bis 43,2 Kbit/s sind möglich. Dafür braucht der Anwender ein spezielles Handy - wie das Nokia 6210 - und eine Menge Konfigurationsarbeit. Denn der IP7 muss dem Handy den Wunsch nach schneller HSCSD-Übertragung mitteilen. Dafür gibt es kryptische Kommandos, ähnlich denen aus der Anfangszeit analoger Modems. Diese finden sich in der Anleitung des Handys. Sie muss der mobile Filmer in die "Network Settings" des IP7 übertragen.

Web und Webcam?

Wer denkt, dass der IP7 auch gleich als Webcam mit eigener IP-Adresse ins Netz sendet, erwartet zu viel. Im Internet kann man derzeit "nur" surfen. Ein eigener Browser erlaubt den Besuch jeder beliebigen Website, doch darstellen lassen sich nur einfache, nach dem HTML-3.2-Standard geschriebene Seiten. Alle anderen zerhackt der Browser und stellt sie nicht mehr korrekt dar. Flash-Animationen oder sonstige Plug-Ins zeigt der Sony-Camcorder überhaupt nicht.

Das mit 220.000 Pixeln hochauflösende, aber dennoch kleine Display kann keine Website im Vollbildmodus anzeigen. Man sieht lediglich eine Ecke und muss sich mit der Cursortaste durch die Site zappen. Besser wird dies im Zoom-Modus, der zwar ebenfalls nicht die komplette Seite zeigt, aber immerhin einen gewissen Überblick bietet. Die Testseite benötigte auf dem IP7 mehr als anderthalb Minuten, bis sie komplett zu sehen war. Das Notebook an der analogen Leitung brauchte dazu gerade mal eine Minute. Fazit: Im Zeitalter der gelben Post dauerte das Kartenschreiben selbst kaum eine Minute, der Versand zum Empfänger mehrere Tage, im Zeitalter des Internet ist es genau umgekehrt.

Sony macht lieber gleich deutlich, dass mit dem Neuen vor allem die betuchten Kommunikationsfreaks angesprochen werden. Die anderen digitalen Systemlinien sollen aber gleichberechtigt weiterlaufen ... wir werden sehen. Noch hat sich kein anderer Hersteller zu Micro MV bekannt, und auch die Schnittsoftware-Hersteller reagieren verhalten. Die aber müssen ihre Produkte auf Micro MV umstellen, um die neuen Signale in der alten Firewire-Verbindung überhaupt verstehen zu können. Derzeit arbeitet nur das Sony-eigene Schnittprogramm Movieshaker mit Micro MV.

Die Praxis

Der DCR-IP7 kommt bei Tageslicht auch mit verwegenen Kamerafahrten klar. Er zeigt tolle Farben, wenig Rauschen und vor allem eine angenehm geringe Kantenaufteilung. Einen so guten Echtzeit-Encoder für Mpeg-2 hat keiner für möglich gehalten. Ein leicht eingeschränkter Kontrastumfang wurde als einziges Manko gegenüber den mitlaufenden Ein-Chip-DV-Camcordern konstatiert.

Leichtes Stirnrunzeln dann aber bei Innenraumbeleuchtung: In dunkleren Bildpartien fielen vor allem Rauschfahnen auf, auch die Farben verloren an Biss. Standbilder zeigten lilagrünes Elektronikrauschen und verloren an Schärfe sowie Knackigkeit. Auch der Autofokus kam ins Rotieren - ein Prozess, der sich mit weiter abnehmendem Licht deutlich verstärkte. Schuld hat wohl der winzige 1/6-Zoll-CCD-Wandler hinter einer nicht ganz verzeichnungsfreien Linse: Er verlangt zu viel Signalverstärkung. Und Rauschebilder sind Gift für die Mpeg-Komprimierung. (jos)

<b>Kurzgefasst</b>

Der digitale Camcorder DCR-IP7 von Sony hat ein revolutionäres Konzept. Er weist mit Bluetooth und Firewire den Weg in die multimediale Welt des bewegten Bildes: Im Zusammenspiel mit Handys versendet er E-Mails, der integrierte Browser macht direktes Surfen im Internet möglich. Das kleine Display kann aber keine Website im Vollbildmodus anzeigen. Durch die Kombination des kleinen Aufnahmechips im neuen Micro-MV-Format und des Mpeg-2-Aufnahmeverfahrens kommt der IP7 im Schwachlichtbereich leider nicht auf das Niveau von DV-Camcordern. Bei normaler Aufnahmeumgebung kann man mit dem Bildergebnis dagegen absolut zufrieden sein. Für die langsamen Übertragungsmechanismen trifft das Gerät keine Schuld, deshalb die Note Zwei.

Anbieter:

Sony Deutschland GmbH

Hugo-Eckener-Str. 20

50829 Köln

Tel.: 02 21/5 37-0

Fax: 02 21/5 37-349

www.sony.de

Preis:

4.599 Mark (empfohlener Verkaufspreis)

Wertung:

Gerät/Software: 2

Lieferumfang: 2

Ease-of-Use: 3

Handbuch: 2

Händler-Support: 2

CP-Tipp: 2

Bewertung nach Schulnoten

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