Fehlende Bandbreiten verzögern den Vertrieb übers Netz

09.03.1998

MÜNCHEN: Viele Softwareanbieter stehen vor einem Dilemma: Wie können sie das für den direkten Verkauf bestens geeignete Internet als Vertriebsweg nutzen, ohne ihre Vertriebspartner zu verärgern? Eine Lösung, die Lotus derzeit ausprobiert: den Handel mit einbinden.Glaubt man dem Marktforschungsunternehmen Forrester Research Inc., wird der Softwarevertrieb über das Internet ein lukrativer Markt. Nach den Prognosen der Auguren geben Privatkunden in zwei Jahren zwölf Milliarden Dollar für Produkte im Internet aus - davon allein knapp drei Milliarden Dollar für Hard- und Software.

Kein Wunder also, daß Softwareanbieter bei diesen Zahlen leuchtende Augen und Fachhändler kalte Füße bekommen. Denn Software ist prädestiniert für den elektronischen Vertrieb, liegt sie doch bereits digital vor und muß "nur" übers Netz geschoben werden.

Microsoft hat bereits vor zwei Jahren ein Pilotprojekt gestartet, um die Akzeptanz zu testen. Momentan sei es aber still um elektronische Softwaredistribution (ESD) geworden, meint ein Firmensprecher. Nach der anfänglichen Euphorie ist allerorts Ernüchterung eingekehrt. Schuld daran sind die fehlenden Bandbreiten, die den Download für die Kunden zum Geduldsspiel machen.

Mit diesem Problem kämpft auch die Lotus GmbH in Ismaning. Deswegen "bieten wir bisher nur Produkte zwischen acht und 18 MB an", so Dirk Möller, der als Manager Electronic Software Distribution bei Lotus für Pilotprojekte in Deutschland, Schweden, Frankreich und Großbritannien verantwortlich ist.

Lotus will Fachhandel an ESD gewöhnen

Bei dem im November 1997 gestarteten Projekt legt Möller besonderen Wert auf die Einbeziehung des Fachhandels in das Modell (siehe Grafik). "Wir bilden das klassische zweistufige Vertriebsmodell im Netz ab", beteuert er. Das Internet soll als zusätzlicher Vertriebsweg genutzt und der bestehende Fachhandelskanal auf die elektronische Verteilung von Software vorbereitet werden. Lotus' Philosophie steht damit im Gegensatz zu anderen Anbietern, denn: Der Branchendienst "PC Europa" berichtet, daß die Mehrheit der Anbieter das Onlinegeschäft direkt betreiben wolle. Daß es Möller ernst mit dem Einbezug des Fachhandels meint, zeigt sich darin, daß er mit Computer 2000 als Distributor die zweistufige Vertriebsphase plant. Innerhalb des kommenden Jahres sollen auch großvolumige Lizenzverkäufe über das Netz abgewickelt werden.

Seiner Ansicht nach werde es noch rund eineinhalb Jahre dauern, bis der digitale Kanal wirklich etabliert ist. Doch dann erwartet er einen Umsatz im siebenstelligen Bereich. Momentan ist die Akzeptanz noch verhalten. "Der Umsatz bewegt sich immer noch im vierstelligen Dollar-Bereich", gibt Möller offen zu.

Um die Kunden zum Onlinekauf zu bewegen, sind die digital vertriebenen Produkte um 15 Prozent billiger als im herkömmlichen Handel. Bezahlt wird online per Kreditkarte. Sobald die Transaktion stattgefunden hat, kann der Kunde mit dem Herunterladen beginnen. "Alternative Zahlungsweisen machen keinen Sinn, weil der Schlüssel zum Entschlüsseln der Software dann erst später per

E-Mail zugestellt wird", macht der Lotus-Mann klar.

Asknet ist Vorreiter

Abgewickelt wird der Softwareverkauf über die Asknet GmbH, die als einer der ESD-Pioniere in Deutschland gilt. Unter http://www.softwarehouse.de bieten die Karlsruher außer Lotus-Software Programme von weiteren 60 Anbietern an. Asknet ist ein Spin-off der Akademischen Software Kooperation (ASK) an der Universität Karlsruhe. Im Wissenschaftsbereich beschäftigt sie sich "schon seit Jahren" mit der elektronischen Verteilung von Software, "kommerziell erst seit November 1997", gibt Geschäftsführer Dietmar Waudig Auskunft.

"Da die Infrastruktur durch unsere wissenschaftliche Tätigkeit schon vorhanden war, ist unser Geschäft profitabel", freut er sich. Nach eigenen Angaben erwirtschaftet das Unternehmen in diesem Jahr einen sechsstelligen Umsatz. Waudig sieht in ESD einen Vertriebsweg der Zukunft, vor allem "wenn ADSL sich am Markt durchgesetzt hat". Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL) eignet sich besonders gut zum Herunterladen großer Datenmengen aus dem Netz. Beratungsintensive, teurere Software wird seiner Meinung nach niemals im Netz dominieren. Diese Produkte werden auch in Zukunft über den klassischen Weg (Systemhäuser und VARs) vertrieben werden. Die Einführung des Euro ist für Waudig ein weiterer wichtiger Aspekt für die Zunahme des elektronischen Softwarevertriebs: "Man muß das Ganze europaweit angehen, um die kritische Masse zu erreichen." Skeptisch, was den Erfolg von ESD betrifft, ist die Softline GmbH in Oberkirch. "Wann und wie sich das Kaufverhalten ändert, ist noch offen", meint Peer Blumenschein, Geschäftsführer des Softwaredistributors. Der elektronische Vertrieb werde den herkömmlichen nur ergänzen, aber nicht ablösen. Bei allen Zweifeln basteln aber auch die Oberkircher an einem ESD-Projekt. (is)

Will nichts vom direkten Softwarevertrieb übers Netz wissen:

Dirk Möller von der Lotus GmbH.

Modell der zweistufigen softwaredistribution im netz

Bestellt der Endkunde beim Onlinehändler Software, fordert der Händler einen Schlüssel bei einem Lizenz-Clearing-house an. Das Clearing House schickt den Schlüssel und den Lizenzvertrag zum Endkunden, der dann das Programm runterlädt, und meldet die Schlüssel an den Distributor und den Hersteller, damit nachvollzogen werden kann, wer wieviel verkauft hat. Quelle: Software Publisher Association

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