Flexible Gehälter sichern die Unternehmensstabilität

02.07.1997
MÜNCHEN: Das Korsett der Gehalts- und Sozialverpflichtungen schnürt so manchem Unternehmen die Luft ab. Viele Arbeitsplätze sind gefährdet und die Schaffung zusätzlicher Stellen wird erschwert. In der Wirtschaft geht man daher neue Wege und denkt mehr und mehr über innovative Alternativkonzepte zur Gehaltsfindung nach. Stefan Rohr* stellt in folgendem Beitrag die Idee der "flexiblen Gehälter" vor.Wenn es nach den Gewerkschaften ginge, dann hätten wir schon morgen die 25-Stunden-Woche bei doppeltem Lohnausgleich und 50 Tagen Urlaub. Wenn es nach den Arbeitgebervertretern ginge, dann gäbe es morgen in Billiglohnländern doppelt so viele deutsche Betriebsstätten wie in unserem eigenen Land - natürlich vom deutschen Steuerzahler subventioniert. Noch nie zuvor wurde in unserer Republik an Stammtischen so vehement über die Umgestaltung und Optimierung der Steuergesetzgebung diskutiert wie heute. Und manch einer unserer Politiker täte gut daran, sich als "Mäuschen" unter diese Biertische zu setzen, aufmerksam zuzuhören, mitzuschreiben, um so unentgeltlichen Nachhilfeunterricht zu erhalten.

MÜNCHEN: Das Korsett der Gehalts- und Sozialverpflichtungen schnürt so manchem Unternehmen die Luft ab. Viele Arbeitsplätze sind gefährdet und die Schaffung zusätzlicher Stellen wird erschwert. In der Wirtschaft geht man daher neue Wege und denkt mehr und mehr über innovative Alternativkonzepte zur Gehaltsfindung nach. Stefan Rohr* stellt in folgendem Beitrag die Idee der "flexiblen Gehälter" vor.Wenn es nach den Gewerkschaften ginge, dann hätten wir schon morgen die 25-Stunden-Woche bei doppeltem Lohnausgleich und 50 Tagen Urlaub. Wenn es nach den Arbeitgebervertretern ginge, dann gäbe es morgen in Billiglohnländern doppelt so viele deutsche Betriebsstätten wie in unserem eigenen Land - natürlich vom deutschen Steuerzahler subventioniert. Noch nie zuvor wurde in unserer Republik an Stammtischen so vehement über die Umgestaltung und Optimierung der Steuergesetzgebung diskutiert wie heute. Und manch einer unserer Politiker täte gut daran, sich als "Mäuschen" unter diese Biertische zu setzen, aufmerksam zuzuhören, mitzuschreiben, um so unentgeltlichen Nachhilfeunterricht zu erhalten.

Bei Arbeitgebern und Arbeitervertretern herrschen in weiten Teilen gleichermaßen eine stoische Ignoranz gegenüber logisch notwendigen Veränderungen und Angst vor Machtverlust vor. Ein gutes Beispiel stellt die Diskussion um Tele-Arbeitsplätze dar. So entzweit die Sozialpartner auch immer sind, einig sind sie sich in diesem Punkt wie nie zuvor. Verhinderung des Fortschritts und dogmatische Gegenrede über alle ökonomischen und ökologischen Aspekte hinweg. Aus Angst, Macht- und Kontrollmöglichkeiten zu verlieren, verpassen beide Seiten, zwar aus verschiedenen Aspekten heraus, derzeit noch die enorme Chance, Innovationen in unserer Arbeitswelt und viele neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Einer großen Gruppe von Experten und Wirtschaftsfachleuten ist es bewußt, daß die aktuelle Art der Arbeits- und Sozialpolitik künftig unsere eigene Wirtschaft wettbewerbsunfähig machen wird.

Arbeitsplätze und Steuern bleiben nicht in Deutschland

B ereits heute kann davon ausgegangen werden, daß viele zigtausend Arbeitsplätze und Steuereinnahmen von bundesdeutschen Wirtschaftsunternehmen nicht in unserem Lande bleiben werden, da das Korsett der Lohn- und Gehaltsstatuten, Tarifbindungen, des Arbeitsrechtes und der betrieblichen Mitbestimmung zu eng für ein Mithalten innerhalb des internationalen Wettbewerbes geworden ist. Die Unternehmen reagieren mit dem Ausweichen auf andere Länder, mit dem Ausstieg aus tariflicher Bindung und mit der Vereinbarung innovativer Konzepte, die die Flexibilität und Freizügigkeit auf legale Weise zurückbringen.

Eine zentrale Aufgabe der Unternehmensmanager besteht deshalb seit längerer Zeit darin, verkrustete, unwirtschaftliche und arbeitsplatzgefährdende Vergütungsstrukturen und Gehaltssystematiken zu verändern und modernisieren. Was nicht bedeutet, den Mitarbeitern etwas wegzunehmen und in die Taschen der Unternehmenseigner zu stecken. Vielmehr stehen solche Prozesse unter dem Leitgedanken, Wertempfindungen der Belegschaft und die gehaltliche Anerkennung der individuellen Produktivität eines Mitarbeiters zu berücksichigen. Diese Prozesse stehen weiterhin unter der Erkenntnis, daß Schwankungen des wirtschaftlichen Unternehmenserfolges nicht mehr allein als Problem eines "raffgierigen" Unternehmenseigners verstanden werden können und, daß es legitimes Bestreben ist, die per Gesetz so hochgradig geschützten Gehaltsregularien zu flexibilisieren und entflechten.

Gehaltsleistung macht das Doppelte des eigentlichen Brutto aus

Ein Gehalt setzt sich aus Sicht des "normalen" Mitarbeiters eigentlich aus zwei Bestandteilen zusammen: Dem Bruttogehalt und dem Anteil, der ihm nach Abzug aller unausweichlichen Leistungen als sogenanntes "Netto" verbleibt. In fortgeschrittenen Fällen wird noch in Urlaubs- und Weihnachtsgeldanteile unterschieden. Ganz wenige machen sich wirklich Gedanken darüber, daß der Arbeitgeber neben den festen Gehaltszahlungen Urlaubs- und Krankentage zu finanzieren hat, Krankenkassen-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungsanteile mitbezahlt und die eigentliche Gehaltsleistung aus Sicht des Zahlungsverpflichteten (dem Unternehmen) nahezu das Doppelte des eigentlichen Bruttos ausmacht. Wenn dann auch noch Tantiemen, Leistungs- oder Erfolgszuwendungen sowie Umsatzboni, Überstunden, Feiertagszuschläge, Kantinenzuschüsse, Weiterbildungsaufwände, Direktversicherungen, vermögenswirksame Leistungen, Firmenfahrzeuge oder Reisespesen dazukommen, wird aus einem Vergütungssystem leicht eine Verfahrensanleitung mit 300 Seiten Stärke.

Flexible Gehaltssystematik

Die Flexibilisierung zielt darauf ab, zumindest die verbindlichen Gehaltsleistungen so zu gestalten, daß sie einer flexibleren Auszahlungssystematik unterliegen. Hierzu ein Beispiel: In einem Dienstleistungsunternehmen ist es durchaus gang und gäbe, daß die Lohn- und Gehaltskosten nahezu 80 Prozent vom Gesamtkostenaufwand des Unternehmens ausmachen. Wenn nun in einem solchen Unternehmen die Umsatzrendite in schwächeren Zeiten absackt, kann die Personalkostenlast das Unternehmen zwingen, unmittelbar Entlassungen auszusprechen, da sonst kaum andere Einsparungsmaßnahmen spürbare Abhilfe gewährleisten. Auf Basis einer flexiblen Gehaltssystematik kann so jeder Prozentpunkt auf seiten der Gehaltseinsparungen nahezu unmittelbar in die Rendite fließen und verhindern, daß aus der Not heraus Stellen abgebaut werden. Es bliebe weitere "Luft" für Investitionen, Arbeitsplatzsicherung oder Rücklagen.

Die wirtschaftliche Komponente der Flexibilisierung geht somit in erster Linie gegen ein Kardinalproblem an - die Besitzstandswahrung (verdient ein Mitarbeiter erst einmal die Summe X, kann diese ihm nur äußerst schwer und unter komplizierten Bedingungen wieder minimiert werden). Über Flexibilisierungssystematiken werden neue Besitzstandsregelungen getroffen. Der Mitarbeiter erhält zwar weiterhin sein Gehalt X, ein adäquater Anteil dieses Gehaltes ist allerdings nicht besitzstandswirksam und wird nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt.

Flexibles Gehalt ist nicht variabel

Zu verwechseln ist dieses Prinzip nicht mit der "Gehaltsvariabilisierung". Denn diese zielt allein auf den zusätzlichen Erhalt bestimmter Gehaltsmengen in Anlehnung an bestimmte, meist gestaffelte, wirtschaftliche Erfolge und ist somit ein beliebtes Instrument bei der Gehaltsdefinition von Vertriebs- oder Verkaufsfunktionen. Die Flexibilisierung der Gehaltssystematiken ist eine grundsätzliche und unternehmensübergreifende Methode, die die variablen Systematiken der Verkäufer zum Beispiel einschließen kann. Im Gegensatz zur variablen Vergütungssystematik ist die Flexible als Gehaltssystem zu betrachten, indem es um "Zielgehälter" geht und das Unternehmen diese zunächst auch auszahlt. Ein flexibles Gehalt ist daher nicht variabel, sondern zunächst als "fest" zu bezeichnen, jedoch ohne Besitzstandswirksamkeit.

Es läßt allerdings die Spielräume frei, in bestimmten Situationen oder bei einer bestimmten Leistungserbringung "flexibler" zu reagieren, während der variable Anteil dem Auszahlungszwang unterliegt, wenn die Voraussetzungen für die Auszahlung erreicht sind. In einer flexiblen Vergütungsstruktur haben auch Tariftabellen keinen Platz mehr. Ebensowenig muß ein Automatismus zur alljährlichen Gehaltssteigerung zwanghaft verankert werden. Statt der breiten und weitgefächerten Tarif- und/oder Gehaltskataloge mit vielen Gehaltsschritten, werden für die einzelnen Funktionen und Tätigkeitsbereiche Gehaltsbänder aufgestellt. Die Untergrenze des jeweiligen Gehaltsbandes stellt die Besitzstandsgrenze dar, die Obergrenze des Gehaltsbandes die Maximalgrenze für die Vereinbarung des flexiblen Gehaltsaufschlages. In bestimmten Situationen ist so das Unternehmen in der Lage, den flexiblen Teil ganz oder teilweise "abzuschütteln" oder "umzuschichten".

Instrument zur Personalführung

Neben den rein wirtschaftlichen und sozialpolitischen Aspekten ist daher die Gehaltsflexibilisierung auch ein Instrument innerhalb des Personalmanagements. Hierhinter ist ein Führungsprozeß verborgen, der dem Mitarbeiter bestimmte Ziele, Leistungserbringungen, Qualitätsvorgaben, Weiterbildungsanforderungen oder wirtschaftliche Vorgaben auferlegt. Erfüllt der Mitarbeiter die quantitativen und/oder qualitativen Ziele nicht, so kann er im kommenden Jahr oder im nächsten Festlegungsabschnitt mit einer geringeren Gehaltsleistung rechnen.

Die Gehaltsflexibilisierung kann und darf deshalb nicht isoliert als eine in sich geschlossene Maßnahme betrachtet werden.

Nur im Zusammenhang mit der Management-Methode, den Führungsgrundlagen, der Laufbahnplanung und Funktionsmodellierung, Leistungsbeurteilung und -bewertung kann ein Flexibilisierungsprozeß sinnvoll und erfolgreich im Unternehmen umgesetzt werden. Verbunden sind in einem derartigen System somit die Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen, und zwar im Sinne der individuellen und leistungsgerechten Entlohnung. Jeder kann am Erfolg partizipieren, jeder kann seine eigene Leistungsgüte adäquat entgelten lassen und jeder wird das Unternehmensgeschehen ab sofort auch als einen mit ihm selbst verbundenen Teil erachten. Der Isolation zwischen der alleinigen Arbeitnehmerbetrachtung und der Gewinnbetrachtung des Unternehmens wird so massiv und gesundend entgegengewirkt.

Keine Ausbeutung der Mitarbeiter

Damit ist letztendlich auch für den Skeptiker gewährleistet, daß die Gehaltsflexibilisierung keine clevere Variante der "Ausbeutung" darstellt. Sie kommt sondern vielmehr den Interessen der Mitarbeiter entgegen, die sich aus dem allgemein vorherrschenden Wertewandel in der Arbeitswelt und den arbeitspolitischen Notwendigkeiten unabdingbar ergeben.

*) Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/ Düsseldorf/Frankfurt

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