FOKUS: Amazons Kindle wird Vorreiter für E-Books in Europa

14.10.2009

Von Archibald Preuschat

DOW JONES NEWSWIRES

DÜSSELDORF (Dow Jones)--Bedrucktes Papier ist nicht mehr der einzige Vertriebskanal für Bücher und Zeitungen. E-book-Lesegeräte, mit denen sich digitalisierte Texte über eine Mobilfunkverbindung herunterladen lassen, sollen in Europa jetzt ebenfalls den Markt erobern. In den USA sind E-Books bereits weit verbreitet, hierzulande führen sie noch ein Nischendasein. Zum Durchbruch soll ihnen der E-Reader Kindle des Onlinebuchhändlers Amazon.com verhelfen, dessen Verkauf in wenigen Tagen beginnt.

Umsatzpotenzial sehen in der neuen Technik neben Amazon auch Mobilfunkanbieter und Verleger. Auf der gerade gestarteten Frankfurter Buchmesse sind E-Books Gegenstand von Diskussionsveranstaltungen. Noch ist allerdings offen, wie Verlage und Mobilfunknetzbetreiber künftige Umsätze mit E-Readern untereinander aufteilen wollen. Verleger treibt zusätzlich die Sorge um, wie sich geistiges Eigentum in der digitalen Welt ausreichend schützen lässt.

In den USA sind Lesegeräte für elektronische Bücher schon heute ein Umsatzbringer. Forrester Research geht nach jüngsten Schätzungen davon aus, dass im laufenden Jahr 3 Mio E-Reader über amerikanische Ladentheken gehen und sich die Zahl im nächsten Jahr bereits verdoppeln wird.

Für Amazon ist der vor zwei Jahren auf den Markt gebrachte Kindle bereits eine Erfolgsgeschichte. CEO Jeff Bezos sagte jüngst, auf 100 verkaufte Bücher in Papierform kämen bereits 48 verkaufte elektronische Versionen, vorausgesetzt, ein Werk ist auch als E-Book verfügbar.

Anders in Europa: Hier fehlt es vor allem noch an Endgeräten, die es erlauben, drahtlos über Bücher und Zeitungen zu verfügen. Die internationale Version des Kindle von Amazon verfügt über einen Zugang zum UMTS-Netz, das ein schnelles Herunterladen der Daten erlaubt.

Allerdings können Amazon-Kunden in Deutschland drahtlos bis auf Weiteres nur auf englischsprachige Bücher und einige deutsche Zeitungen zugreifen. Eine Amazon-Sprecherin stellte zwar in Aussicht, dass sich das ändern wird, mochte dafür aber keinen Termin nennen.

Bisher ist das Umsatzvolumen mit elektronischen Büchern in Deutschland noch gering: Nach Angaben der Marktforscher der GfK wurden im ersten Halbjahr E-Books für 667.000 EUR verkauft.

Auch haben die am Markt verfügbaren Geräte noch deutlich weniger Speichplatz als der Kindle, mit dem Amazon den Markt aufrollen will. Auf 350 Bücher bringt es zum Beispiel der Reader von Sony. Der Kindle speichert dagegen 1.500 Werke - zum gleichen Preis und kann zusätzlich Daten drahtlos empfangen.

Sony will nachziehen und bis Weihnachten ebenfalls ein Gerät auf den Markt bringen, dass E-Books überall verfügbar macht. Allerdings wird es zunächst nur in den USA verfügbar sein und erst später auf den europäischen Markt kommen. Ähnlich hält es das britische Unternehmen Interead, dessen Drahtlos-E-Reader Anfang 2010 kommen soll, zunächst aber auch jenseits des Atlantiks auf den Markt kommen wird.

Trotz aller Startschwierigkeiten rechnet Analystin Sarah Rotman Epps von Forrester Research damit, dass die Bekanntheit der Reader mit Mobilfunkanschluss in Europa auf jeden Fall zunehmen wird, wenn der Kindle erst nach der Buchmesse verkauft wird.

Die Amazon.com Inc ist ein Pionier auf dem Gebiet der drahtlosen Übertragung von digitalisierten Büchern. Das Unternehmen arbeitet bei der internationalen Version des Kindle mit dem US-Telekomkonzern AT&T zusammen. Käufer des 279 USD teuren Geräts müssen sich über Übertragungskosten keine Gedanken mehr machen, sie sind mit dem Gerätepreis bereits abgegolten. Zahlen muss der Kunde nur für die Inhalte, die er auf seinem Kindle lesen will.

Große Erwartungen haben Mobilfunkbetreiber an das Geschäft mit den E-Books. Schon in fünf Jahren könnten bis zu 1 Mrd EUR mit digitalisierten Inhalten umgesetzt werden, zitierte jüngst der für neue Geschäftsfelder bei Vodafone Deutschland zuständige Manager Mark Ritzmann aus einer Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers. Allerdings müssen bis dahin auch hierzulande 6 Mio Geräte einen Käufer gefunden haben.

Pro Jahr geben die Deutschen 24 Mrd EUR für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften aus - ein Markt, von dem sich Verleger wie Mobilfunkanbieter eine Scheibe abschneiden wollen. Vodafone-Manager Ritzmann sieht mobilfunkfähige E-Reader besonders bei tagesaktuellen Medien im Vorteil.

Sein Unternehmen arbeite an einer technischen Plattform für mediale Inhalte, die sich mit E-Readern abrufen lassen. Verhandelt werde dafür sowohl mit Verlegern als auch mit den Geräteherstellern, sagte Ritzmann. "Wenn man bedenkt, dass sich bei einer elektronischen Verbreitung von Zeitungen die Hälfte der Produktionskosten einsparen lassen, ergibt sich ein neues und überaus vielsversprechendes Geschäftsmodell für Mobilfunknetzbetreiber", sagte Ritzmann.

Thomas Friedrich, Analyst bei UniCredit, bezweifelt, dass diese Argumentation für Verlage schlüssig ist. Zwar lasse sich sich ein E-Reader-Zeitungsabo preiswerter herstellen. Allerdings könnten dabei auch die Anzeigenumsätze leiden.

Denn die Lesegeräte arbeiten mit elektronischem Papier. Damit können sie anders als LED-Bildschirme auch bei prallem Sonnenlicht und aus verschiedenen Blickwinkeln gut gelesen werden. Der Darstellung von Bildern und grafischen Motiven sind bislang jedoch noch enge technische Grenzen gesetzt. Aber auch wegen der Kosten, die Nutzern des Kindle für die Übertragung großer Datenmengen entstünden, verzichtet Amazon bei der internationalen Version auf die Übertragung von Bildern.

Ulrich Schmitz, der beim Axel-Springer-Verlag für neue Geschäftsfelder verantwortlich ist, sieht die gegenwärtig verfügbaren Geräte denn auch mehr für Bücher als für Zeitungen geeignet.

Anders als bei der Zeitung im Internet hofft der Hamburger Großverlag Gruner+Jahr, dass mit dem E-Reader die Bereitschaft von Konsumenten steigen könnte, für elektronisch verfügbare Inhalte auch zu zahlen, wie Peter Schrack, der Sprecher der Bertelsmann-Tochter sagt.

Analystin Rotman Epps von Forrester Research rechnet zunächst mit weiteren neuen Geräten auf dem Markt und Plattformen für den Download von Inhalten. Platz sei am Markt für mehrere Anbieter.

Vodafone ist nicht der einzige europäische Mobilfunkbetreiber, der sich mit Inhalte-Plattformen beschäftigt. Unter dem Projektnamen "read and go" untersucht France Telecom bereits seit über einem Jahr, wie damit ein Geschäft zu machen wäre. Im nächsten Jahr soll eine technische Plattform für Inhalte starten, wie das französische Unternehmen sagte. Dabei geht es nicht nur um Inhalte für E-Reader, sondern auch Angebote für Nutzer von Handys mit Internetzugang oder den zunehmend populären Mini-Laptops, die gegenwärtig als Netbooks den Markt erobern.

Ginge es nach Frank Sambeth, dem verantwortlichen Manager des Verlags Random House in Deutschland, kann es nicht genug Inhalteplattformen geben. Die Bertelsmann-Tochter führt ebenfalls Gespräche mit möglichen Partnern, will sich zu Details aber nicht äußern.

Sambeth sieht die Chance, mit dem E-Reader auch jene älteren Kunden zu erreichen, die keinen eigenen Computer haben wollen. Auch hofft er, dass Besitzer eines Lesegeräts sich schneller zu einem Spontankauf verleiten lassen, wenn sie dazu nicht eine Buchhandlung aufsuchen müssen.

Gleichwohl, in der Kernfrage zur Zukunft des Marktes muss der Verlagsmanager eine Antwort schuldig bleiben: Wie werden sich Verleger, Endgerätehersteller und Mobilfunknetzbetreiber den aus dem elektronischen Buch- und Zeitungsgeschäft erwachsenden Umsatz letztlich aufteilen? Für eine Antwort darauf sei es "noch zu früh", räumt er ein.

Webseite: www.amazon.com - Von Archibald Preuschat, Dow Jones Newswires; +49 (0)69 - 29725 111, unternehmen.de@dowjones.com DJG/apr/rio/kla Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de

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