"Get big, get niche or get out - dieser Spruch ist heute so aktuell wie nie"

12.02.1999
MÜNCHEN: Die IT-Distribution, und hier vor allem das Broadline-Geschäft, steckt in einer tiefen (Sinnes-)Krise. Mit dem reinen Produktverkauf ist kein Geld mehr zu verdienen. Zudem setzen die weiter fallenden Margen den Großhändlern immer mehr zu. Das Zauberwort heißt Dienstleistung. Wie dieser Anspruch mit dem Druck auf die Kosten unter einen Hut gebracht werden kann, erklärt Michael Dressen, Geschäftsführer Dressen Heims International. Das Gespräch führten die ComputerPartner-Redakteure Damian Sicking und Susann Naumann.

Der Fall CHS hat die Branche aufgeschreckt. Ist das der Anfang eines großen Sterbens unter den Broadlinern?

DRESSEN: Nein, CHS ist eher ein spezieller Fall. Die Idee von Claudio Osorio war, über die Börsennotierung seiner Firma an Kapital für die geplante Expansion zu kommen. Am Anfang, als die Margen noch einigermaßen akzeptabel waren, hat das auch gut funktioniert. Später hat er zwar weiter Umsatz zugekauft, aber der Profit konnte nicht mithalten. Zumal er auch mit Firmen wie Metrologie Distributoren akquiriert hat, die Verluste gemacht haben.

Dazu kam, daß der Eindruck entstand, die Bilanzen seien nicht korrekt gewesen. Das hat dann zu einem Vertrauensverlust unter den Anlegern geführt. Mittlerweile ist CHS in den USA wegen Betrug am Anleger verklagt worden. Und wenn das Gericht entscheidet, daß es so gewesen ist, müssen CHS oder Osorio mit einer zusätzlichen Geldstrafe rechnen. Im amerikanischen Recht heißt das "compensatory damages or punitive damages".

Könnte dieses juristische Nachspiel so weite Kreise ziehen, daß auch das lokale Management von CHS davon betroffen ist?

DRESSEN: Prinzipiell ist es so, daß die Firma und dann auch das Board haftet. Wenn also jemand aus dem Board auch beispielsweise hier in Deutschland sitzt, könnte er theoretisch davon betroffen sein.

Die Rettungsversuche des deutschen CHS- und Frank&Walter-Managements sind gescheitert. Hat Sie das verwundert?

DRESSEN: Nein, überhaupt nicht. Als CHS den Insolvenzantrag stellen mußte, habe ich auch ein bißchen recherchiert, wer wohl Interesse an CHS haben könnte. Was ich aber gehört habe, war eindeutig: "Warum sollten wir die Firma kaufen? Die Kunden kommen doch sowieso zu uns", hieß es. Das Interesse hatte wohl mehr damit zu tun, daß man einfach mal in die Bücher und das Lager schauen wollte.

Dann kann man also das Kapitel CHS in Deutschland jetzt endgültig schließen?

DRESSEN: Bis auf Karma, die gerade versuchen, sich rauszukaufen. Das Problem daran ist aber, daß das amerikanische Management versuchen muß, Karma so teuer wie möglich zu verkaufen, um CHS zu retten. Und selbst wenn es zu einem Verkauf kommt und CHS geht in den USA doch pleite, wird sich der Liquidator diese Verträge ganz genau anschauen. Es wird dann die Frage zu klären sein, ob die Preise, zu denen verkauft worden ist, auch fair gewesen sind. Wenn das nicht der Fall ist, werden die betroffenen Firmen unter Umständen noch etwas nachbezahlen müssen. DNS sehe ich eher auf der sicheren Seite, da die ihren Deal mit einem renommierten Investment-Banker (UBS) gemacht haben.

Hat DNS allein eine Chance?

DRESSEN: Wer sich als Distributor in einer Nische bewegt, hat immer eine Chance. Der Spruch "Get big, get niche or get out" ist heute so aktuell wie nie.

Wer ist denn nach CHS der nächste Broadliner, der dran glauben muß?

DRESSEN: Ich denke nicht, daß einer von den großen Drei, Ingram Micro, Tech Data oder Actebis, mittelfristig Gefahr läuft, in solche Schwierigkeiten zu kommen.

Den großen Broadlinern weht derzeit ein starker Wind ins Gesicht. Ingram Micro mußte in den vergangenen Quartalen herbe Gewinneinbußen hinnehmen, und bei Tech Data ist der Aktienkurs auch unter Druck geraten.

DRESSEN: Die großen Distributoren sind in den USA vor drei bis vier Jahren mit dem Versprechen angetreten, ein wirklich großes Rad bei überproportionalen Gewinnsteigerungen zu drehen. Das hat die Anleger überzeugt. Damals hat ja auch eine Tech Data einen Gewinn bis zu zwei Prozent nach Steuern realisieren können. Dann aber sind die Margen schneller gefallen, als die Kosten gedrückt werden konnten. Diese Entwicklung hat dann unter den Anlegern dazu geführt, daß sie sich von diesem für sie uninteressant gewordenen Geschäft zurückgezogen haben. Und jetzt versuchen eben Ingram Micro und Tech Data, die Profitmargen wieder anzuheben, indem sie die Kosten noch weiter senken.

Wo können sie da noch ansetzen?

DRESSEN: Eigentlich nur durch eine Reduktion der Personalkosten. Personalkosten machen in der Regel in der Distribution über 60 Prozent aus.

Wenn aber noch mehr Personal eingespart wird, ist das dem Geschäft nicht besonders dienlich. Schon heute beschweren sich die Händler immer wieder über die schlechte Erreichbarkeit.

DRESSEN: Das ist richtig. Wenn man sich umhört, kann man feststellen, daß es nur sehr wenige Händler gibt, die mit der Erreichbarkeit ihres Distributors zufrieden sind.

Könnte E-Commerce hierfür eine Lösung sein?

DRESSEN: E-Commerce wird immer nur ein Hilfsmittel sein. Man sollte die Möglichkeiten dieses Tools wirklich nicht überschätzen. Fakt ist, daß Tele-Sales nicht durch E-Commerce ersetzt werden kann.

Die Distribution kann langfristig nur überleben, wenn sie Dienstleistungen anbietet. Wie kann man denn aber diesen Value Add auf der einen und die Einsparung von Kosten auf der anderen Seite zusammenbringen?

DRESSEN: Das geht nur, indem man Leistungen, die für den Hersteller oder Händler erbracht werden, separat berechnet. Ein Beispiel: Ein PC-Hersteller möchte die Zusammenstellung der einzelnen Länder-Kits, wie Tastaturen, für Europa nicht mehr selbst machen, sondern lagert das an seinen Distributor aus. Oder aber gegenüber dem Händler kann man sich beispielsweise besonders schnelle Lieferzeiten extra bezahlen lassen.

Ist denn in diesem Zusammenhang der Marketingansatz der Distributoren noch berechtigt?

DRESSEN: Ich denke eher weniger. Denn auch die Hersteller müssen immer mehr schauen, wie sie ihre Kosten senken können. Und dann werden sie auch zum Distributor gehen und dort nach der Berechtigung ihrer Gelder fragen. Das wird unwiderruflich kommen. Deshalb sind die Distributoren gut beraten, wenn sie nach Dienstleistungen Ausschau halten, die dem Hersteller verkauft werden können.

Wie beurteilen Sie die Aussichten von kleineren Distributoren, wie P&T oder More, die im Moment kräftig am expandieren sind?

DRESSEN: Ich bin überzeugt, daß Nischendistributoren, egal wie klein sie sind, gute Aussichten haben. Solche Unternehmen sind oftmals viel profitabler als die Großen der Branche. Chancen haben die Broadliner, wenn sie nicht die Fehler machen wie CHS. Aber alles, was dazwischen ist, wird Probleme bekommen. Das liegt schon allein daran, daß sie einige der vorhin beschriebenen Dienstleistungen gar nicht anbieten können. P&T beispielsweise hat sich mit seinem Komponentengeschäft gut positioniert.

Ist es für P&T von Vorteil, eine starke Mutter im Rücken zu haben?

DRESSEN: Wie im richtigen Leben haben starke Mütter ihre Vor- und Nachteile. Am Anfang wird da noch ein Auge zugedrückt. Aber früher oder später kommt der Zeitpunkt, wo nur noch die Rendite zählt. Und die ist nun mal bei der Distribution eher schmal. Vor fünf Jahren sah das noch ganz anders aus. Da haben Firmen wie Veba oder Viag gut mit ihren Distributionstöchtern leben können. Mittlerweile ist die IT-Distribution für diese Unternehmen einfach uninteressant geworden.

Im Gegensatz zu Tech Data und Ingram Micro ist Actebis nur in Europa vertreten. Ist das ein Nachteil für die Westfalen?

DRESSEN: Das glaube ich nicht. Da die beiden Märkte Amerika und Europa getrennt voneinander agieren, besteht aus meiner Sicht keine Notwendigkeit für Actebis, in Amerika präsent zu sein. Die Frage ist vielmehr, welche Strategie Otto als Mutterfirma fährt.

Welche Rolle wird die PC-Assemblierung künftig bei den Distributoren spielen?

DRESSEN: In Amerika haben alle Distributoren 1997 geglaubt, daß sie unbedingt auf diesen Zug aufspringen und riesige Kapazitäten aufbauen müssen. Diese wurden aber nicht ausgelastet. In der Konsequenz hat zum Beispiel Ingram Micro ihre Fabrik in diesem Jahr wieder geschlossen. Das, was man sich also erhofft hat, ist so nicht eingetreten. Assemblierung in anderer Form, etwa dieses Packen der Länder-Kits, ist aber durchaus sinnvoll.

Und wie sieht es mit den Eigenmarken der Distributoren aus?

DRESSEN: Sicherlich war die Entscheidung von Actebis und Peacock, in das Eigenmarkengeschäft einzusteigen, damals richtig. Ob man aber heute noch damit anfangen sollte, ist fraglich. Denn die Eigenmarken haben nur Sinn gemacht, als die Hersteller von Marken-PCs noch hohe Margen eingefahren haben und damit ein entsprechender Spielraum für die Eigenmarken vorhanden war.

Wie beurteilen Sie den Vorstoß von Ingram Macrotron, mit V7 Video-seven das Monitorgeschäft aufrollen zu wollen?

DRESSEN: Wie man am Beispiel von Maxdata sieht, läßt sich der Erfolg nicht immer pachten. In dem Moment, wo andere Anbieter die Idee aufgreifen, ist der Vorsprung dahin. Von daher glaube ich nicht, daß sich Macrotron mit dieser Strategie langfristig von der Konkurrenz absetzen kann.

Im Moment gibt es das Gerücht, daß die Familie Ingram das Distributionsgeschäft verkaufen möchte. Als Käufer wird die Firma Federal Express gehandelt. Glauben Sie, daß tatsächlich Speditionen oder Paketdienste ins IT-Distributionsgeschäft eingreifen werden?

DRESSEN: Der Gewinn von Fedex oder UPS ist heute ungefähr doppelt so hoch wie der eines Distributors. Insofern würde sich Fedex mit dem Kauf eines solchen Unternehmens die Gewinnmarge verwässern. Dazu kommt, daß die Speditionen damit einen ihrer Kunden kaufen würden. Und das macht eigentlich keinen Sinn.

Wer würde dann noch als Käufer in Frage kommen?

DRESSEN: Schwer zu sagen. Vielleicht jemand, der die Distribution sehr gut aus eigner Erfahrung kennt. Geld für so einen Deal zu beschaffen sollte kein Problem sein, wie man bei verschiedenen Gelegenheiten ja auch hier in Deutschland sehen kann.

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