Gnadenloser Verdrängungswettbewerb und Preisdumping an der Tagesordnung

03.11.1999

MÜNCHEN: Das leidige Thema NT versus Unix hat auch im vergangenen Jahr maßgeblich den Workstation-Markt beherrscht: Während der Siegeszug der Wintel-Maschinen weiterging, mußten die Anbieter von traditionellen Workstations erneut Stückzahl- und Umsatzrückgänge hinnehmen. Doch obwohl die Anbieter von Wintel-Maschinen eindeutig auf der Gewinnerseite stehen, ist die Unix-Fraktion noch lange nicht am Ende.Die Aussagen der Marktteilnehmer sind eindeutig: "Unix ist noch lange nicht tot", ist Jürgen Plenske, Business-Unit-Manager Sun bei Adiva, überzeugt. "Unix-basierte Workstations werden weiterhin ihre Berechtigung haben, wenn auch vor allem im High-End-Bereich", schließt sich Hans-Jürgen Götz, IBMs Direktor PC-Marketing, der Meinung an. Und auch die Marktauguren von IDC sind überzeugt, daß Unix- und NT-Workstations in den nächsten Jahren nebeneinander existieren können.

Dennoch: Zuwachsraten bei Stückzahlen und Umsatz sind heute nur noch mit NT-Workstations drin. Zwar hat sich das Wachstum in diesem Segment im vergangenen Jahr im Vergleich zu 1996 etwas abgeschwächt. Trotzdem kann sich der deutsche NT-Workstation-Markt mit einem Stückzahlplus von 62 Prozent sehen lassen: Nach den Zahlen von IDC wurden im vergangenen Jahr rund 115.000 Personal-Workstations (NT/Intel) abgesetzt - etwa 44.000 mehr als 1997. Dagegen gingen die Auslieferungen von traditionellen Workstations (Unix/Risc) um neun Prozent von 42.600 auf etwa 38.800 Stück zurück.

Eine ähnliche Entwicklung beobachtete das Marktforschungsinstitut beim Umsatz: Während sich die Anbieter von Wintel-Maschinen 1998 über ein Umsatzwachstum in Deutschland von 33 Prozent auf 442,6 Millionen Dollar freuen konnten, mußte die Risc-Fraktion einen Rückgang von gut zehn Prozent auf 551,3 Millionen Dollar hinnehmen. Daß sowohl Stückzahl- als auch Umsatzschwund in diesem Segment noch relativ moderat ausgefallen sind, führt IDC unter anderem auf die Verkaufserfolge von Sun mit den preisgünstigen Darwin-Rechnern zurück. Außerdem hätten viele Unix-Anbieter aufgrund des großen Drucks von NT-Seite die Preise für traditionelle Workstations drastisch gesenkt.

Trotz der schwierigen Voraussetzungen für die Unix-Anbieter konnte Sun Microsystems seine Marktposition behaupten: Sowohl im deutschen als auch im europäischen Terrain beansprucht Sun knapp die Hälfte des Unix-Marktes für sich - mit weitem Vorsprung gegenüber Wettbewerbern wie Hewlett-Packard und Silicon Graphics. So verkaufte Sun etwa in Westeuropa 1998 rund 68.500 Maschinen. Hewlett-Packard als zweitplaziertes Unternehmen kam gerade einmal auf knapp 29.000 Workstations.

Adiva-Manager Plenske führt den Erfolg von Sun in erster Linie auf die erhöhte Leistungsfähigkeit der Ultra-Maschinen im High-End-Segment zurück. Aber auch der Verkauf der im vergangenen Jahr eingeführten Ultra-10-Workstation, die gegen die Wintel-Geräte "anstinken" sollte, habe sich gut angelassen. "Vor allem als Midrange-System wird die Ultra 10 auch in Forschung und Lehre gern eingesetzt", hat Plenske beobachtet. Dagegen läuft die Ultra-5-Workstation nicht so gut. "Die Ultra 5 bewegt sich vom Leistungsspektrum her am unteren Ende und ist damit vor allem für den Einsatz von CAD-Applikationen keine echte Alternative zu einer NT-Workstation", so seine Einschätzung.

NT-Markt in Europa heissumkämpft

Im Gegensatz zum Unix-Markt wird der NT-Bereich nicht von einem Hersteller dominiert: Während in Deutschland Hewlett-Packard mit einem Marktanteil bei Stückzahlen von 28,4 Prozent noch relativ unangefochten auf Platz eins rangiert, kämpfen in Westeuropa gleich drei Anbieter um die Krone im Workstation-Markt: Zwar liegt HP auch hier mit einem Marktanteil laut IDC von 22,8 Prozent auf der Spitzenposition. Der Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern Compaq (21,6 Prozent) und Dell (19,3) ist aber bei weitem nicht so komfortabel wie hierzulande.

Etwas abgeschlagen auf Platz vier rangiert im NT-Umfeld nach IDC-Angaben IBM. Zwar konnte Big Blue seine Stückzahlen im vergangenen Jahr um 143 Prozent auf 52.7000 Geräte steigern - der Abstand zu den Top Drei hat sich aber nicht verringert. Dennoch sieht sich IBM auf dem richtigen Weg, vor allem auch, was die Zweigleisigkeit mit Unix- und NT-Maschinen betrifft. "Bei uns gibt es keine schwarzweiße Antwort", meint IBM-Marketier Götz. "Wir haben durchaus Kunden, die bisher mit Risc-Rechnern gearbeitet haben und denen wir mit Microsoft gar nicht kommen dürfen", erklärt Götz und fügt zur Kannibalisierung im eigenen Haus hinzu: "Lieber freß' ich meine eigenen Kinder, als daß es ein Compaq tut."

Einer der großen Gewinner im Workstation-Markt ist Dell. Belegte der Direktanbieter nach seinem Markteintritt vor gut zwei Jahren 1997 in Deutschland noch den sechsten Platz, ist er im vergangenen Jahr nach IDC-Angaben auf Nummer drei der hiesigen Hitliste vorgerückt. Auch in Westeuropa konnte der Computerhersteller mit einem Stückzahlplus von 142 Prozent glänzen. Dementsprechend zufrieden äußerte sich auch Heiner Bruns, Product-Manager Precision Workstation bei Dell in Langen: "Wir sind in dieses Geschäft mit großen Erwartungen gestartet, die sich erfüllt haben. Unser direktes Geschäftsmodell hat sich auch hier wieder bewährt." Ziel sei es, langfristig Platz eins unter den deutschen NT-Anbietern zu erobern.

Die Voraussetzungen hierfür sind aus der Sicht von Dell nicht schlecht, zumal nach Einschätzung von Bruns auch in diesem Jahr wieder mit steigenden Stückzahlen im NT-Bereich gerechnet werden kann. "Der Markt wird von drei Richtungen angeschoben. Zum einen sehen wir den Trend des Risc-/Unix-Downsizing und zum anderen des PC-Upsizing, also alles rund um die Aufrüstung eines normalen Desktop-PCs. Die dritte treibende Kraft sind aus unserer Sicht die immer kürzer werdenden Produktzyklen", erklärt der Dell-Manager. Einen großen Schub erwartet sich Bruns diesbezüglich von der Prozessortechnologie. "Als Intel im Sommer vergangenen Jahres den Xeon-Prozessor auf den Markt gebracht hat, haben viele Anwender zum ersten Mal überlegt, von Unix auf NT umzusteigen." Eine ähnliche Entwicklung erwarte er im Spätsommer dieses Jahres, wenn Intel mit einem 650-Megahertz-Prozessor den Markt beglückt. Das glaubt auch IBM-Manager Götz, der sich vom neuen Microsoft-Betriebssystem Windows 2000 einen zusätzlichen Schub für NT-Maschinen verspricht. Als weitere Antriebsfedern für den NT-Bereich hat Götz neue Marktsegmente wie Digital Content Creation (DCC) und CAD-Applikationen durch unabhängige Softwarehersteller (ISVs) ausgemacht, die auch die Zertifizierung für bestimmte Branchensoftware zur Folge haben.

Die Lüccke schliesst sich

Etwas anders beurteilt Silicon Graphics die Aussichten für den Workstation-Markt. Zwar hat der einstige Unix-Purist seit einigen Wochen auch NT-Maschinen im Angebot, hält aber dennoch strikt an der eingeschlagenen Marschrichtung fest. "Wir glauben, daß Unix immer noch eine Menge Vorteile gegenüber den Wintel-Maschinen hat. Dazu zählen Skalierbarkeit, Sicherheit und Multitaskingverhalten", macht SGI-Marketingleiter Jochen Krumpe die Position seines Unternehmens deutlich. Außerdem seien die Preise für Risc-Rechner in der letzten Zeit deutlich nach unten gegangen. Betont Krumpe: "Die Lücke zwischen NT und Unix schließt sich immer mehr." Zumal bei einer günstigen Personal-Workstation bestimmte Leistungsmerkmale fehlen. "Ein Intel-basiertes System kann im mittleren und oberen Segment ganz schnell den Preispunkt für beispielsweise eine Sun-Workstation erreichen", springt Adiva-Manager Plenske in die Bresche. "Gerade wenn es sich um ein professionelles System handelt und entsprechend aufgerüstet werden muß, ist der Rechner am Ende oft teurer als eine Unix-Workstation", meint Plenske.

Überhaupt ist der Preis neben der Frage nach Unix oder NT das ausschlaggebende Argument im Workstation-Markt. Wie hart der Preiskampf inzwischen geworden ist, belegen die Umsatzzahlen von IDC (siehe Tabellen zur Entwicklung des westeuropäischen Workstation-Markts). Auch in diesem Jahr, so erwarten die Experten, werden die Preise weiter nach unten gehen. Die Entwicklung ist damit auf einen einfachen Nenner zu bringen: Entweder man verkauft seine Rechner zu Schleuderpreisen, oder man bleibt auf ihnen sitzen.

Vor allem Anbieter von High-End-Workstations wird dieser Trend mehr und mehr in die Bredouille bringen. Einer davon ist Intergraph. Der Workstation-Hersteller, der noch 1997 mit beachtlichen Zuwachsraten bei Stückzahlen und Umsatz glänzen konnte, mußte sich nach IDC-Zahlen im vergangenen Jahr mit einem Marktanteil in Deutschland von nur 2,3 Prozent begnügen. Ähnlich sah die Entwicklung in Westeuropa aus: Während fast alle anderen Hersteller mit teilweise sehr beachtlichen Zuwächsen aufwarten konnten, mußte Intergraph einen Stückzahlrückgang von 0,6 Prozent hinnehmen. Und auch beim Umsatz konnte das Unternehmen nur leicht zulegen. Das Dilemma, in dem sich Intergraph befindet, ist Deutschland-Chef Walter Middeldorf wohl bekannt: "Nachdem sich viele Hersteller bei ihrem Ausflug in das Low-End-Segment eine blutige Nase geholt haben, dringen sie jetzt in unser angestammtes Marktsegment ein und dumpen die Preise." (siehe auch Interview) Dennoch sei Intergraph auch in Zukunft nicht bereit, dieses Preisdumping mitzumachen. Ob der Hersteller diese Strategie in Zukunft wirklich durchhalten kann, bleibt abzuwarten. Denn außer den "alten" NT-Marktteilnehmern kommt nun mit Silicon Graphics ein weiterer Player hinzu. Zwar bleibt SGI weiterhin auch der Unix-Schiene treu, mischt aber nach eigenem Bekunden ab sofort auch preisaggressiv im NT-Markt mit. "Wir kennen durchaus die Spielregeln im NT-Markt und wissen, worauf wir uns einlassen", erklärt SGI-Marketier Krumpe und fügt selbstbewußt hinzu: "Ab sofort treiben wir jetzt das Preis-Leistungs-Karussell an." So würden zum Beispiel die neuen 320er-Rechner zu einem Nettopreis von 6.600 Mark verkauft. Außerdem seien diese NT-Workstations ohnehin nicht mit denen anderer Hersteller vergleichbar. "Viele Wintel-Maschinen sind einfach nur aufgerüstete Desktop-PCs. Unsere Workstations aber setzen auf Architekturen auf, die aus unserer Irix-Welt bekannt sind", so Krumpe. Zudem habe SGI mit diesen Rechnern Standards in der Ergonomie gesetzt, wie zum Beispiel das hochauflösende TFT-Display, das optional mit der Workstation bestellt werden kann.

Mit den beiden neuen Rechnern 320 und 540 will SGI noch in diesem Kalenderjahr einen Marktanteil in Deutschland von rund zehn Prozent ergattern. Langfristig soll dieser Anteil nach den Worten Krumpes auf 25 Prozent anwachsen - und das vor allem mit Unterstützung von Value Added Resellern (VAR). "Natürlich sind heute die Margen bei den verschiedenen Herstellern fast identisch", gibt er zu. Aus diesem Grund müsse der VAR nicht nur die Hardware, sondern die Gesamtlösung verkaufen. Als Zielmarkt sieht Krumpe den High-Performance-Visual-Graphics-Markt, also CAD/CAM, Prepress-Design sowie die Bereiche Animation und Architektur an. "In diesen Märkten kennt man uns als zuverlässigen Hersteller, und das wird für uns von Vorteil sein", glaubt der Marketingchef. Und dann werde die Konkurrenz merken, daß SGI durchaus mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis auch in andere Märkte vordringen könne. Außerdem sei man mit dem NT-Angebot nun in der Lage, dem Endkunden beide Plattformen anbieten zu können. Betont Krumpe: "Wir sehen uns als Komplettanbieter für Visual-Graphics-Systeme."

PC-Fachhandel tut sich noch sehr schwer

Die Konkurrenz verfolgt die NT-Aktivitäten von SGI eher ohne große Panikmache. "Natürlich beobachten wir das Vorgehen von Silicon Graphics mit großem Interesse", urteilt etwa Dell-Manager Bruns. "Einerseits bestätigt das natürlich unsere Einschätzung zum Siegeszug von NT. Andererseits aber bewegt sich Silicon Graphics mit diesen neuen Maschinen in einem Nischenmarkt", so Bruns. Dem stimmt auch IBM-Mann Götz zu und ergänzt: "Um im NT-Markt wirklich Fuß fassen zu können, braucht SGI auch den PC-Fachhandel, und den haben sie nicht."

Wohl aber IBM, was Götz auch nicht immer glücklich stimmt. "Im Workstation-Geschäft kommt es darauf an, Lösungskompetenz aufzubauen. Viele Partner, die aus der PC-Ecke kommen, tun sich damit aber noch sehr schwer", lautet seine Einschätzung. Das sieht auch Adiva-Manager Plenske so: "Der Händler darf nicht nur die Applikationen verkaufen, sondern muß seine Dienstleistung in den Vordergrund stellen." Da sich seiner Meinung nach auch das Ablösegeschäft im Unix-Workstation-Markt fortsetzen wird, rät er zu langfristiger Kundenbindung: "Wer seine alte Kundenbasis pflegt, wird auch in Zukunft gute Geschäfte machen." (sn)

Hans-Jürgen Götz, Direktor PC-Marketing bei der deutschen IBM: "Lieber freß' ich meine eigenen Kinder, als daß es ein Compaq tut."

Erwartet für den Spätsommer durch neue Intel-Prozessoren einen weiteren Schub in Richtung Windows NT: Heiner Bruns, Product-Manager Precision Workstation bei Dell Computer.

IBM ist mit dem Verkauf ihrer Intellistation nach eigenem Bekunden zufrieden.

Mit der Ultra-Familie konnte Sun Microsystems im vergangenen Jahr verloren Boden wieder gutmachen.

Silicon-Graphics-Marketingchef Jochen Krumpe: "Ab sofort treiben wir das Preis-Leistungs-Karussell im NT-Markt an."

Mit den neuen NT-Rechnern 320 (Bild) und 540 will SGI binnen Jahresfrist in Deutschland einen Marktanteil von zehn Prozent ergattern.

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