Groupware-Markt

06.04.1998

MÜNCHEN: Mittlerweile benutzen weltweit 50 Millionen Kunden Groupware-Produkte. Doch damit sind die Großen der Branche keineswegs zufriedengestellt. Im Gegenteil: Sie haben eine neue Kampfrunde unter dem Motto "Migration" eingeläutet. Doch für viele Groupware-Partner ist die Schlacht das Geld nicht wert.Die neuesten Kundenzahlen zum Groupware-Markt müßten eigentlich bei den Marketiers von Lotus, Microsoft, Novell oder auch dem zwar hierzulande wenig bekannten, doch auf weltweit sieben Millionen Lizenzen verweisenden Anbieter Softarc die Sektkorken knallen lassen. Denn statt 25 Millionen Benutzern Ende 1996 versuchen seit Anfang dieses Jahres 50 Millionen, mit Funktionen wie Kalender- und Terminplanung, gemeinsamer Dateibearbeitung und Konferenzordnern die Nützlichkeit elektronischer unternehmensweiter Kommunikation, Planung und Zusammenarbeit in die Tat umzusetzen.

Und es soll bei der Benutzerverdoppelung innerhalb eines Jahres nicht bleiben. Den Prognosen der Marktforscher von IDC zufolge werden Groupware-Hersteller auch in Zukunft so manche Sektflasche kalt stellen können. 2,4 Milliarden Dollar Umsatz könnten laut IDC im Jahr 2002 mit Groupware-Anwendungen verdient werden. Bereits im letzten Jahr flossen insgesamt 1,3 Milliarden Dollar in die Kassen von Marktführer Lotus sowie von Microsoft, Novell und anderen (siehe Grafik).

Migrationsangebote zum Schleuderpreis

Wer nun meint, der Groupware-Kuchen müßte demnach für alle groß genug sein, kennt die Branche wenig. Ihr ehernes, durch nichts zu erschütterndes Gesetz "Wachstum" kennt keine Grenze nach oben: "Jedes Prozent Zuwachs bei Marktanteilen verschafft Herstellern Größenvorteile bei der Entwicklung von Software. Und es ermöglicht, den Vertrieb anzukurbeln, wie zum Beispiel durch Bundles oder Extraaktionen", begründet ein Brancheninsider die tägliche Jagd nach Kunden und Wachstum. Bei Groupware sei, so formuliert er mit betonter Untertreibung, das "Marktvolumen noch nicht ausgeschöpft".

Zum Beispiel auch deshalb, weil, wie Marktforscher bestätigen, in den nächsten zwei bis drei Jahren rund 20 Millionen E-Mail-Systeme ausgetauscht werden sollen. Dafür sorgen zum einen gestiegene Kundenansprüche an ihre Unternehmenskommunikation; zum zweiten "ist das Jahr 2000 der Anlaß, bestehende Systeme in Frage zu stellen", wie Ralf Blusch, bei Novell Deutschland in Düsseldorf Marketingmanager für Zentraleuropa, formuliert.

Und gerade hier sehen Groupware-Hersteller einen Hebel, statt simpler E-Mail-Systeme ihre Groupware-Produkte zum Zuge kommen zu lassen.

So erstaunt es den Branchenkenner wenig, daß derzeit alle Anbieter von Groupware mit Migrationsangeboten versuchen, einander Kunden abspenstig zu machen.

Beispielsweise Novell: Das Unternehmen lockt Lotus "cc:mail"- und Microsoft "MS Mail"-Benutzer mit Dumpingpreisen, auf das hauseigene Groupwise 5.2 zu wechseln. Und als Antwort auf die Strategie des Erzrivalen, der bei seiner Backoffice-Offerte vor dem Verschenken von Exchange nicht haltmacht, wird Novell auch die neue Version seines "Intranetware 4.2 für Small Business" mit "einem Messaging-System" (Blusch) versehen. Gratis, wie sich versteht.

So gesehen befindet sich Lotus in bester Gesellschaft: Der Marktführer, der seit 1994 mit dem Migrationsspezialisten Binary Tree zusammenarbeitet, bietet gerade Mail- und Exchange-Benutzern an, zu Notes überzuwechseln. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei: "Wir können nicht mehr mit Zuwachsraten von jährlich 100 Prozent rechnen. Also müssen wir gezielt den Gesamtmarkt adressieren", skizziert Hardy Koehler, Produkt Marketing Manager Communications bei Lotus Deutschland in München, die neue Groupware-Strategie von Lotus.

Die Cross-Plattform-Migration versüßen sollen die momentanen Groupware-Renner elektronische Konferenzsysteme und Terminplanungssysteme. Das entspricht den Marktanalysen von IDC: Den Branchenauguren zufolge kamen zwei Millionen neue Konferenzbenutzer im letzten Jahr (gegenüber zirka 300.000 im Jahr 1996) hinzu, was einem Wachstum von zirka 14 Prozent gegenüber 1996 entspricht.

"Niemand wechselt die Plattform, wenn die Anwendungen laufen"

Doch was aus den Marketingabteilungen schallt, bringt die Ohren der Groupware-Händler nicht gleich zum klingen. "Preisnachlässe sind zwar ein Instrument, um Kunden zu gewinnen, aber allein deshalb tauscht niemand sein System aus. Es müssen weitere Gründe hinzukommen", rückt ein süddeutscher Sytemhaus-Partner die Marketinganstrengungen der Groupware-Anbieter zurecht. Seine generelle Erfahrung ist: "Es kommt so gut wie nie vor, daß man von Notes auf Exchange wechselt. Die reine Software stellt die Plattform für spezielle Anwendungen dar. Wenn die laufen, gibt es keinen Anlaß für einen Austausch des Systems." Auch bezüglich des Jahr 2000-Motivs ist er sich sicher: "Wer befürchtet, sein E-Mail-System sei in zwei Jahren untauglich, hält sich erst mal an den Hersteller. Nur wenn der keine Lösung bieten kann, tauscht er aus. Der Hersteller aber hat den Kunden für immer verloren." Ähnlich sieht das Anneliese Wasserer-Förg, Geschäftsführerin der Edcom GmbH in München. Ihr erfahrungs-gesättigter Rat lautet: "Wer mit seiner E-Mail-Lösung nicht zufrieden ist. sollte sich bei seinem Hersteller erkundigen: Welche Lösung kann er mir bieten?" Ebenso nüchtern beurteilt sie die Cross-Plattform-Stategie: "Wenn jemand wechseln will, sucht er nach einer Lösung. Die Frage lautet: Was kostet mich die Lösung, und nicht, welche Plattform setze ich ein. Bietet der Händler eine kostengünstige, bedarfsgerechte Lösung, ist der Kunde auch bereit, dafür zu zahlen." Der Geschäftsführer eines Dresdener Systemhauses hält den Zeitpunkt für die Migrationsschlacht generell für verfehlt: "Was derzeit wirklich mittelständische Unternehmen beschäftigt, ist das Jahr 2000 und die Euro-Umstellung. Die bindet fast alle DV-Kräfte", berichtet er. "Außerdem ist der Groupware-Markt in Deutschland noch zu jung, um die Plattform zu wechseln."

Der Browser ist der eigentliche Gegner

Angesichts solcher Argumente fällt etwa für Novell-Manager Blusch mit seiner Direktiv "Viele Unternehmen werden sich des Problems der Schattenkosten bewußt. Sie fragen nach Kosten einer Groupware-Implementierung und wollen wissen: Was kostet mich ein so ausgerüsteter Arbeitsplatz? nur wenig mehr als der Hinweis ab. "Die Kostendebatte mag für Neukunden zutreffen.

Doch wer bereits ein System verwendet, wird sich hüten, es einfach auszutauschen", erklärt Geschäftsführerin Wasserer-Förg. Der Vorschlag der Marktexperten von IDC an die Hersteller lautet übrigens nicht Migrationsschlacht, sondern Partnerschaften bilden oder Firmen zukaufen. Denn nur solche Strategien seien geeignet, weitere Märkte zu erschließen.

Koalitionen wären beispielsweise mit Host- und Middleware-Spezialisten denkbar. Denn wie ein Branchenkenner vermutet, sind Browserbasierte Systeme, die unternehmensspezifische Lösungen von Hosts und Servern bei Bedarf abrufen, im Kommen. Lotus-Manager Koehler weiß von der Gefahr, die von solchen Lösungen für den Groupware-Markt ausgeht: "Der Browser ist der wirkliche Gegner", formuliert er eindeutig. "Denkbar ist statt einem Groupware-System ein Messaging-Systems mit HTML-Zugriff auf Host-Daten."

So ein System wäre zwar ungleich schwächer strukturiert als ein Groupware-Bolide, aber "in den meisten Fällen würde er seinen Zweck erfüllen", glaubt er. (wl)

"Wir können nicht mehr mit Zuwachsraten von jährlich 100 Prozent rechnen", bedauert Lotus-Manager Koehler.

"Das Jahr 2000 ist der Anlaß, bestehende Systeme in Frage zu stellen", hofft Novell-Marketier Blusch.

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