Hersteller hatte nur gutes im Sinn, doch der Schuss ging nach hinten los

14.10.1999

ISMANING: Die Mailing-Aktion von NEC (siehe ComputerPartner 31/99, Seite 90) wird ein Nachspiel haben: Was als Gag gedacht war, versetzte einige Händler in Angst und Schrecken. Einer von ihnen ist so sauer, daß er NEC vor Gericht schleifen will: "Wenn nötig durch alle Instanzen."Dreieinhalb Wochen Horror liegen hinter Antonin Jelinek. Vier anonyme Briefe hat der Darmstädter IT-Händler in dieser Zeit bekommen. Lustig fand er die nicht, eher kriminell. Mit einer offenbar defekten Schreibmaschine wurde auf düstere Machenschaften hingewiesen. Auch wenn letztere in der Branche wahrlich nichts Neues sind, es zerrte an

Jelineks Nerven. Der namenlose "Freund" versicherte ausgerechnet ihm mehrmals, er sei den Übeltätern auf der Spur: "Wir wußten ja nicht, daß wir nicht die einzigen sind, die diese Schreiben bekommen." Daß ein irrer Psychopath ihm ans Leder will, davon war der Händler überzeugt. Denn auch ein seltsames Foto und ein undefinierbarer Schließfachschlüssel wurden ihm zugeschickt - unter dem Mantel der Verschwiegenheit, versteht sich. Selbst die örtliche Kripo kam allmählich ins Grübeln.

Ein Foto legte das Geschäft fast lahm

Der Fall wurde dank einer Anzeigenkampagne gelöst: Jelinek war einer von rund 2.000 Händlern, Partnern und Redakteuren, die das Unternehmen NEC mit einer Mailing-Aktion zu seinem Betriebsjubiläum beglückte. Die Briefe waren ein Rätsel, dessen Lösung heißt: "Drastische Preisreduzierung für CRTs bei NEC". Das Angebot konnte Antonin Jelinek nicht mehr aufheitern. Er sinnt auf Rache: "Das kriegen die nicht geschenkt." Er will NEC auf Schadensersatz verklagen, nötigenfalls bis in die letzte Instanz.

Er, seine Familie und die Mitarbeiter, alle hätten Todesängste ausgestanden, erklärt der Händler. Schon nach dem ersten Schreiben ging er zur Polizei. "Wir sind ein Familienunternehmen, machen guten Umsatz, da muß man auch mit Erpressungen rechnen." Die Polizei zeigte sich ratlos, ohne konkrete Morddrohung könne man eben nichts unternehmen. Blankes Entsetzen packte den Familienvater beim zweiten Brief, dem ein Foto beigelegt worden war: "Ich schwöre, die Möbel darauf sahen genauso aus wie im Polizeipräsidium. Ich dachte, oh Gott, die beobachten dich schon. Und beinahe hätten sie dich erwischt." Reinster Psychoterror sei das für ihn und sein Umfeld gewesen: "Sie fangen an, Kunden zu beobachten und über Freunde nachzudenken."

Familie Jelinek wappnete sich gegen eine mögliche Entführung: Der Firmeninhaber warnt die Verwandtschaft und den Kindergarten seiner Enkelin. Dort stellt man zeitweilig eine Kraft ab, die das Kind ständig im Auge behält. "In unserem Haus haben wir ebenfalls Vorkehrungen getroffen, damit die Kleine nicht zu nahe an den Gartenzaun kommt, man weiß ja nie."

Die angespannte Stimmung wirkt sich aufs Geschäft aus: Zum einen, weil der Firmeninhaber für einige Tage nach Prag reist, wegen der Nerven und um zu testen, ob der oder die Täter ihm dorthin folgen würden. Zum anderen waren die Mitarbeiter auch nicht mehr so gut drauf: "Intern haben wir öfter darüber geredet, wer wie oft abgebogen ist, nur weil ein Auto längere Zeit hinter ihm blieb und man sehen wollte, ob es einen verfolgt." Sie hätten sich nachts alle regelrecht verschanzt, seien bei jedem Geräusch aufgewacht. "Das waren dreieinhalb Wochen Horror", meint Jelinek.

Polizei grübelte über versteckte Botschaften

Als er den dritten Brief mit dem Schlüssel zur Polizei brachte, stieg deren Interesse. Beim vierten Brief, der Hinweise auf IT-Fachzeitschriften enthielt, witterten die Beamten eine heiße Spur: Offenbar würde es bald zum Äußersten kommen. Sie vermuteten, daß sich in einer der Publikationen der versteckte Hinweis auf das - zum Schlüssel passende - Schließfach befinden müßte, inklusive der bislang nicht erfolgten Geldforderung. "Ich sollte die Zeitungen mitbringen, sie wollten mir bei der Suche nach dem Hinweis helfen." Die Anzeige von NEC hat Antonin Jelinek dann selbst gefunden. Und hat seitdem eine Mordswut im Bauch: "Meine Mitarbeiter, alles junge Leute mit Kindern, meine Familie - alle hatten Angst. Ich hätte die Sache vielleicht sogar verziehen, aber um meiner Mitarbeiter willen tue ich das nicht". Seine erste Reaktion war ein Anruf bei der "Bild": Dort wollte man die Geschichte zunächst nicht glauben, brachte sie dann überregional. Besonders dankbar ist hierfür sicherlich ein IT-Mitarbeiter aus Kempten. Die dortige Kripo rief Jelinek an und ließ sich den Wahrheitsgehalt des Artikels bestätigen. Zögerlich rückten die Beamten mit dem Hintergrund ihrer Anfrage raus: Auch hier hatte ein größerer Computerhändler Anzeige erstattet. Er hatte - kurz bevor der erste Brief eintraf - drei Mitarbeiter entlassen. Einer davon wehrte sich lautstark, der Unternehmer hatte ihn deshalb als Urheber der Schreiben im Verdacht. Unglücklicherweise war der Mann dann auch noch verschwunden, irgendwie sprachen alle Indizien gegen ihn. Jelinek: "So wie ich das verstanden habe, wurde der erst mal verhaftet, nachdem sie ihn gefunden hatten."

Ungeahnte Komplikationen in Einzelfällen

Tatsächlich kam es in einigen Fällen zu ungeahnten Komplikationen, bestätigt Ernst Holzmann, Generalmanager bei NEC Deutschland. Ein Anrufer wunderte sich über die Allmacht des Herstellers: "Den Schlüssel habe ich vor zwei Jahren verloren. Wo haben sie den bloß her?" Ein anderer vermutete hellseherische Fähigkeiten: "Also beim zweiten Brief wurde ich echt nervös, der Typ auf dem Foto hatte die gleichen Schuhe wie ich." Dramatischer war da wohl die Ehekrise: "Meine Frau verdächtigt mich sowieso, daß ich was mit meiner Sekretärin habe. Sie sah das Bild und wollte wissen, auf wessen Schenkel meine Hand da ruht." Holzmann hatte damit nicht gerechnet, schwankt zwischen Belustigung und Bedauern: "Da haben sich Abgründe der menschlichen Seele aufgetan." Nur fünf oder sechs solcher Anrufe hätte er insgesamt bekommen. Die meisten hätten spätestens nach dem zweiten Brief erkannt, daß es sich um eine Marketingaktion handelte und positiv reagiert. Bei ein oder zwei Händlern sei die Aktion aber tatsächlich ins Auge gegangen, meint Holzmann reumütig: "Das waren Personen, die mit hochsensiblen Dingen wie Sicherheitstechnologie zu tun hatten. Die nahmen das deshalb bierernst. Wir haben uns natürlich entschuldigt." Schließlich lag der Aktion ein positiver Gedanke zugrunde, verschrecken wollte man niemanden, im Gegenteil.

Auch bei Antonin Jelinek hätte man sich entschuldigt, meint Holtmann. Der Händler wartet nach eigener Aussage aber noch heute auf den entsprechenden Brief. Hersteller und Händler kommunizieren nur noch über Anwälte. Der Darmstädter will Schadensersatz für seine Mitarbeiter erstreiten, der Hersteller will sich nicht "abzocken" lassen. Holzmann: "Wir hatten einen Vorschlag auf gütliche Einigung gemacht. Der wurde abgelehnt. Herr Jelinek fordert einen Betrag, der jenseits von Gut und Böse ist." Der Humor ist NEC bei der Geschichte inzwischen vergangen: "Das ist nicht mehr lustig. Jetzt geht es darum, die Company zu schützen." (mf)

Schluß mit lustig: Antonin Jelinek (Mitte, mit Familie und Mitarbeitern) hatte keinen Spaß am PR-Gag, sondern Angst vor einem Psychopathen.

Verfängliches Foto: "Auf wessen Schenkel ruht denn deine Hand da?"

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