Interview mit Stephen M. Griffiths, Chief Financial Officer Ingram Micro GmbH

23.07.1998

HAAR BEI MÜNCHEN: Die deutsche Ingram Micro will nach der Übernahme von Macrotron nun auch ernsthaft in den Kampf um die Marktführer-schaft unter den hiesigen Distributoren eingreifen. Wie das gelingen soll, erklärt Stephen M. Griffiths, Finanzchef der Ingram Micro GmbH, im Gespräch mit den ComputerPartner-Redakteuren Damian Sicking und Susann Naumann.

Vor gut einem Jahr galt Ingram Micro in der deutschen Distributoren-Szene als Verlierer, was in erster Linie an verpatzten Firmenzukäufen lag. Inzwischen haben Sie sich J&W und Macrotron einverleibt. Sind damit nun alle Blütenträume gereift?

GRIFFITHS: Noch nicht ganz. Wir gehen davon aus, daß es neben den Nischen- und Regionaldistributoren in einem Jahr weltweit nur noch drei Große geben wird. Alle anderen werden Probleme bekommen. Im Moment gibt es zwar von unserer Seite aus keine konkreten Pläne. Dennoch würde ich weitere Akquisitionen, die wir tätigen, nicht ausschließen.

Sie waren dem Vernehmen nach auch an Vobis interessiert. Ist das richtig?

GRIFFITHS: Da wir eine PC-Produktion in Europa aufbauen wollen, waren wir an der Produktionsstätte von Vobis interessiert. Inzwischen haben wir aber die Tulip-Fabrik gekauft.

Gekauft haben Sie danach auch Macrotron und sind nun kräftig am Sondieren. Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie in der Konsolidierungsphase?

GRIFFITHS: Wir waren bei der Zusammenlegung von Ingram und J&W zu sehr mit internen Dingen beschäftigt und haben daher unsere Kunden vernachlässigt. Das darf dieses Mal nicht wieder passieren. Der andere Knackpunkt sind die Mitarbeiter. Wenn zwei Firmen zusammengehen, müssen auch zwei verschiedene Unternehmenskulturen zusammenwachsen, was einer Menge an Aufklärungsarbeit bedarf.

Schwierig war bei Ingram/J&W aber auch die Zusammenführung der Lager.

Das Problem haben Sie jetzt wieder. Wie wollen Sie das angehen?

GRIFFITHS: Der Umzug mit dem Lager ist damals in der Tat unglücklich gelaufen. Wir wollten die beiden Firmen so schnell wie möglich zusammenführen, was sich später als zu schnell herausstellte. Auch hier haben wir gelernt und werden daher die Lagersituation Schritt für Schritt ändern. Zuerst werden die vielen Macrotron-Lager in Straubing zusammengefaßt und das Lager in Weiterstadt Ende 1999 geschlossen. Gleichzeitig errichten wir ein Distributionszentrum in Holland. Ziel ist es, zum Jahrtausendwechsel nur noch mit zwei Lagern zu arbeiten.

Was wird dann aus dem Standort Weiterstadt?

GRIFFITHS: Marketing, Finanzen und Einkauf wurden in Weiterstadt schon abgespeckt. Was bleibt, ist der Vertrieb. Den brauchen wir unbedingt, wenn wir unsere ehrgeizigen Ziele verwirklichen wollen.

Sie sprechen es gerade an: Im Gegensatz zu Ex-Ingram-Geschäftsführer Sven Janssen, der das Tempo eher drosselte, gibt Ingram nun die Marschrichtung Marktführerschaft vor. Woher kommt der Sinneswandel?

GRIFFITHS: Es gab gar keinen. Wir hatten schon immer das Ziel, Nummer eins zu sein. Vielleicht hat Sven Janssen zu diesem Zeitpunkt nur nicht mehr daran geglaubt. Zuerst war Peacock weg, und Computer 2000 konnten wir dann auch nicht mehr kaufen. Und Janssen konnte ja nicht wissen, daß da vielleicht noch Macrotron in der Pipeline ist.

Wie hoch muß denn der Umsatz sein, um die Krone unter den deutschen Distis zu erobern?

GRIFFITHS: Ich denke, daß wir mit einem Umsatz von vier Milliarden Mark im nächsten Jahr die Nummer eins sein werden.

Und wie wollen Sie das schaffen? Gerade im Kreditbereich geht die Rechnung eins und eins gleich zwei oft nicht auf.

GRIFFITHS: Unser Bestreben ist es, das Geschäft nicht durch Kreditlimits zu blockieren. Bei der Übernahme von J&W haben wir es geschafft, das Kreditlimit zu verdoppeln. Aber auch insgesamt glauben wir, daß wir durch den Merger mit Macrotron eine Menge Vorteile gegenüber unserer Konkurrenz haben.

Welche Vorteile sind das denn?

GRIFFITHS: Wir werden schon bald ein EDV-System haben, das einen Zugriff auf alle Lager in Europa ermöglicht. Damit können wir dann zum Beispiel die Preise günstiger gestalten. Unsere Konkurrenz ist in dieser Beziehung meines Wissens noch nicht so weit. Außerdem ist Ingram finanziell sehr stark und kann weiteres Wachstum finanzieren. Für die Kunden können wir dadurch unsere Dienstleistungen im Finanzbereich erweitern. Und schließlich werden wir ein Produktportfolio haben, das jeden Fachhändler zufrieden stellt.

Wie wollen Sie sich prinzipiell von Ihrer Konkurrenz abheben?

GRIFFITHS: Weniger im Produktbereich als vielmehr bei Serviceangeboten wie Finanzdienstleistungen, Preisgestaltung, Lieferfähigkeit und Produktverfügbarkeit. Außerdem muß die telefonische Erreichbarkeit klappen.

Wer ist für Ingram der schärfere Konkurrent: Tech Data oder CHS?

GRIFFITHS: Wir nehmen jeden Konkurrenten ernst. Es wäre sehr gefährlich, einen Wettbewerber aus irgendwelchen Gründen abzutun. Denn egal, ob groß oder klein: Jeder Distributor nimmt uns Geschäft weg.

Beim Zusammengehen mit J&W sind bis zuletzt jede Menge Köpfe gerollt. Gerade kürzlich, so wurde berichtet, hätten in Weiterstadt 25 und in München zehn Mitarbeiter gehen müssen. Ist das richtig?

GRIFFITHS: Wir haben kürzlich mit 18 Mitarbeitern in Weiterstadt und mit sechs Leuten in München gesprochen. Das hatte aber nichts mit dem Merger zu tun, sondern war eine ganz normale Marktanpassung. Dennoch brauchen wir auch weiterhin gute Vertriebsmitarbeiter. In anderen Bereichen wie beim Produktmarketing wird es natürlich Überlappungen geben. Hier ist Flexibilität gefragt. Es kann keiner erwarten, daß er weiterhin das machen wird, was er in den vergangenen Jahren getan hat.

Sie verfügen mittlerweile über umfangreiche Produktionsstätten für die PC-Assemblierung. Werden Sie die bisherigen Standorte alle beibehalten?

GRIFFITHS: So wie es im Moment aussieht, werden wir die Assemblierung in Holland konzentrieren. Schließlich haben wir dort eine Anlage, in der wir jährlich eine Million PCs herstellen können, und diese Kapazität sollten wir erst einmal auslasten.

Bisher arbeiten Sie in Sachen Final-Assembly ausschließlich mit IBM zusammen. Sind Sie auf der Suche nach weiteren Partner?

GRIFFITHS: Channel-Assembly ist eines unserer Hauptziele. Deshalb wollen wir in Europa, so wie in den USA auch, künftig mit weiteren Partnern zusammenarbeiten.

Ingram Micro hat in Deutschland nicht den besten Ruf. Glauben Sie, daß Sie dieses Bild mit Hilfe von Macrotron zurecht rücken können?

GRIFFITHS: Wir haben hierzulande durch die häufigen Managementwechsel und auch einige andere Umstände tatsächlich nicht den besten Ruf. Leider ist es so, daß ein schlechter Ruf eine Firma sehr lange begleitet, selbst dann, wenn sie es nicht mehr verdient. Wir gehen aber davon aus, daß wir mit unserem neuen Partner hier etwas bewegen können.

Einiges wird diesbezüglich sicher auch vom neuen Ingram-Macrotron-Chef Michael Kaack abhängen. Inwieweit kann Herr Kaack künftig Entscheidungen selbständig treffen?

GRIFFITHS: Es ist in jedem Konzern so, daß der Geschäftsführer nicht alles im Alleingang entscheiden kann. Wenn wir das Geschäft hier erfolgreich betreiben können, wird Herr Kaack dennoch viele Freiheiten haben. Ingram braucht das Erfolgsrezept von Herrn Kaack und Macrotron, um in Deutschland Marktführer zu werden. Es wäre völlig verkehrt, hierzulande amerikanische Methoden durchzudrücken.

Tech Data sieht das bei C 2000 anscheinend ganz anders. Erst kürzlich wurde der Vorstand mit zwei US-Managern besetzt.

GRIFFITHS: Ich glaube nicht, daß Tech Data die internationale Erfahrung hat, um hier mitmischen zu können. Das wurde ja auch bei Macrotron deutlich. In dieser Partnerschaft hatte sich Tech Data auch

viel vorgenommen. Am Ende aber wurde kaum etwas realisiert.

Nach den vielen Zukunftsplänen noch ein Blick zurück: Wie haben sich Umsatz und Gewinn im ersten Halbjahr 1998 entwickelt?

GRIFFITHS: Wir konnten unseren Umsatz in Deutschland um rund 20 Prozent steigern. Beim Gewinn sieht es in den Sommermonaten nie so rosig aus. Dennoch werden wir im dritten und vierten Quartal einen Gewinn erzielen und das Gesamtjahr mit schwarzen Zahlen abschließen. Insgesamt ist der Markt im Moment recht zäh, und dieser Zustand wird noch einige Zeit anhalten.

Stephen M. Griffiths: "Wir brauchen das Erfolgsrezept von Macrotron, um in Deutschland Nummer eins zu werden." Der gebürtige Engländer, der seit Januar 1997 die Position des Finanzchefs bei der deutschen Ingram Micro bekleidet, stand zuvor fünf Jahre im Dienst der Sharp Electronic GmbH in Hamburg. Dort war er für die Bereiche Finanz- und Rechnungswesen, Logistik und Vertriebsinnendienst zuständig.

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