Kabelmodems: In den USA bereits weitgehend akzeptiert

03.04.1999

MÜNCHEN: Bei ihrer Suche nach günstigen Übertragungswegen zum Endkunden haben Netzbetreiber und TK-Ausrüster jetzt das Kabel-TV im Visier. Über Koaxialleiter wollen sie Multimediadienste blitzschnell ins Wohnzimmer transportieren. Die neuesten Entwicklungen in den USA schildert Rüdiger Mühlhausen*.Ed Rosenfeld darf jetzt selbst erproben, worüber er sonst nur schreibt. Alles begann damit, daß der Herausgeber des Newsletters "Intelligence - The Future of Computing" vom Netzbetreiber RCN Telecom Services Inc. aus Princeton im US-Staat New Jersey zu einer Informationsveranstaltung eingeladen wurde. In der Lobby seines Wohnhauses am New Yorker Central Park erklärten ihm RCN-Manager, daß er und seine Nachbarn für ein Pilotprojekt ausgewählt worden seien: Sie alle sollen Telefon, Fernsehen und Internet künftig über einen einzigen Anschluß beziehen - ein Kabelmodem macht's möglich.

RCN, so vermutet Branchenkenner Rosenfeld, reagiert mit diesem Versuch auf die jüngste Fusionswelle in der TK-Industrie. Wenige Wochen zuvor hatte AT&T für 48 Milliarden Dollar den TV-Kabelnetzbetreiber Telecommunications Inc. (TCI) aus Denver, Colorado, aufgekauft. Damit bahnt sich die weltgrößte Telefongesellschaft den Weg zu 33 Millionen TV-Kunden, denen sie integrierte Kommunikationsdienste anbieten will. "Diese Fusion gibt der gesamten Branche einen gewaltigen Push", glaubt Rosenfeld. "Nichts wird so bleiben, wie es ist."

Hintergrund der Umwälzungen in den USA: Seit Fernvermittler wie AT&T auch lokale Telefondienste anbieten dürfen, suchen sie fieberhaft nach Möglichkeiten, eigene Leitungszugänge zum Endkunden zu schaffen. Bislang mußten sie die letzte Meile für teures Geld mieten - ein Geschäft, das kaum rentiert. Eine strategische Allianz mit Kabelnetzbetreibern bietet jetzt die Chance, sich von dieser Bürde zu befreien. Über Koaxialleiter lassen sich nicht nur TV-

Programme, sondern auch Internet-Daten oder Videofilme via "Video on Demand" übertragen. Für Elliot Becker, einen TK-Analysten aus dem kalifornischen San Diego, eröffnet sich hier ein ganzes Feld innovativer Anwendungen: "Hohlkabel mit ihren hohen Frequenzen sind geradezu ideal für schnellste Datenübertragung."

Herzstück der neuen Technologie ist ein Kabelmodem, das die Daten mit Turbopower ins Endgerät jagt. Inzwischen bieten weltweit rund 35 Hersteller solche Signalwandler an, die 700mal schneller sind als heutige 28-Kbit/s-Modems. Einige Kabelnetzbetreiber setzen sie bereits ein, doch fehlt ihnen in der Regel die nötige Übermittlungstechnik, um integrierte Dienste anbieten zu können. Deshalb sind Telefongesellschaften für sie die richtige Partie. Doch bis auch der Kunde von einer solchen Ehe profitiert, wird noch einige Zeit vergehen, denn bislang kannten Koaxialkabel nur den Transportweg vom Sender zum TV-Gerät. Analyst Becker weiß: "AT&T muß nun Milliarden von Dollar investieren, um das Netz auf ein interaktives Zwei-Wege-System umzurüsten."

Der Megadeal zwischen AT&T und TCI ist nicht der einzige seiner Art. Vor knapp anderthalb Jahren wurde die TK-Welt aufgerüttelt, als Worldcom Inc. aus Jackson, Mississippi, für 30 Milliarden Dollar den Konkurrenten MCI Communications Inc. aufkaufte. Beinahe aus dem Nichts entstand damit neben AT&T ein zweiter Riese in der Fernvermittlung. Er dominiert vor allem die Knotenpunkte im Internet-Verkehr. Außerdem hat Worldcom jetzt Zugriff auf lokale Glasfaserkabel. Damit besitzt es neue Möglichkeiten, große Datenmengen in hohem Tempo zu den Konsumenten zu transportieren.

Voice over IP

Große Hoffnungen setzt Worldcom vor allem in die InternetTelefonie. Marktforscher zählen sie zu den am schnellsten wachsenden Anwendungen im World Wide Web. Laut SRI Consulting aus Kalifornien werden im Jahr 2002 in diesem Segment weltweit neun Milliarden Dollar umgesetzt. Worldcom-Vorstandschef Bernard Ebbers prophezeit: "Künftig werden Kunden nicht mehr einzelne Dienste wie Telefon oder Datentransfer kaufen, sondern nur noch Bandbreite und Übertragungstempo."

Schon heute ist klar: Der Zug in Richtung eines multimedialen Kabelanschlusses ist kaum noch aufzuhalten. Zählten 1998 die Marktforscher von Kinetic Strategies in Phoenix, Arizona, noch rund 250.000 Kabelmodemnutzer, so soll sich deren Zahl zum Ende diese Jahres verdoppeln. Und ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen, denn 65 Millionen US-Haushalte empfangen Kabel-TV. Rosenfeld geht davon aus, daß in zwei Jahren rund zehn Millionen von ihnen via Kabelmodem telefonieren, faxen, fernsehen und im Web surfen werden "Und das alles für nicht mehr als 40 bis 60 Dollar im Monat", schätzt der IT-Fachmann aus New York.

Weltweit wird das Geschehen auf dem US-Markt mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. In Deutschland beispielsweise kontrolliert Ex-Monopolist Deutsche Telekom zwar heute noch die Einspeisung von Signalen ins Breitbandkabel. Doch nicht mehr lange: Seit dem 1. Januar ist der Weg frei für die Gründung regionaler Kabelgesellschaften, an denen sich private Investoren beteiligen können. "Damit wird sich spätestens bis Ende dieses Jahres die Situation grundlegend verändern", glaubt Michael Scholz, Marktforscher für Breitband- und Internettechnologie bei Siemens. Tatsächlich stehen die Chancen für Kabelmodems in Deutschland denkbar gut: Mit über 21 Millionen Kabelanschlüssen ist das Land beinahe flächendeckend versorgt.

* Rüdiger Mühlhausen arbeitet im Bereich "Information and Communication Networks" bei der Siemens AG in München

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