Kommentar

08.06.1998

Im weltweiten und damit auch im deutschen PC-Markt gibt es ein Phänomen mit vier Buchstaben: Dell. Noch vor wenigen Jahren als Nobody von den vormals Großen dieser Branche belächelt, zieht der PC-Highflyer aus Texas mittlerweile unbeirrt seine Kreise. Vor allem in den USA sorgt der Direktanbieter Quartal um Quartal für neue Aufregung. So dürfte der lange Zeit unangefochtene Spitzenreiter Compaq seit dem zweiten Quartal 1998 endgültig schlaflose Nächte haben: Mit einem Marktanteil von 14,4 Prozent hat der amerikanische PC-König nur noch den hauchdünnen Vorsprung von 0,1 Prozent vor seinem Konkurrenten. Marktkenner gehen sogar davon aus, daß Compaq das oberste Treppchen nur durch das Hinzuaddieren der Digital-Verkäufe verteidigen konnte.Ähnlich ist die Situation auch in Europa. Immerhin ließ Dell im zweiten Quartal mit IBM, Hewlett-Packard und Siemens Nixdorf drei Schwergewichte der PC-Industrie hinter sich und rückte auch hier Compaq auf den Pelz. Ebenfalls beeindruckend die Entwicklung in Deutschland: Während Dell noch im ersten Quartal 1997 nicht unter den hiesigen Top-ten-Anbietern zu finden war, beanspruchte der Direktanbieter ein Jahr später schon Platz sechs. Und im gerade abgelaufenen zweiten Quartal glänzte Dell mit Wachstumsraten von satten 44 Prozent. Spätestens jetzt ist damit die Schonzeit für alle, die dem Vertriebsmodell von Dell keine Chance eingeräumt haben, endgültig vorbei.

Derart getroffen, meldete sich prompt Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer zu Wort und wies die Zahlen des zweiten Quartals als "komplett irreführend" zurück. Sie würden lediglich die gedrosselten Lieferungen an die Distributoren und nicht die tatsächlichen Verkäufe an die Endkunden erfassen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hat Compaq, wie auch andere renommierte PC-Hersteller, unter einem enormen Lagerdruck zu leiden - ein Problem, das Dell dank Built to Order nicht kennt. Zwar versuchen Compaq und Co. mit Channel-assembly durch die großen Distributoren dagegenzuhalten. Doch bisher bleibt "die Antwort auf Dell", wie es einmal der deutsche IBM-PC-Chef Christian Hildebrandt ausdrückte, noch vieles schuldig.

Wie auch immer: Der Erfolg von Dell im PC-Geschäft ist mittlerweile nicht mehr von der Hand zu weisen. Ist damit das direkte Vertriebsmodell der Gewinner und der indirekte Vertrieb zum Scheitern verurteilt? Doch wenngleich einiges darauf hinweist: Die Würfel sind noch nicht gefallen. Vieles wird sich im Marktsegment Mittelstand entscheiden, auf den sich jetzt alle PC-Anbieter stürzen. Ob sich dann das Vertriebsmodell der Texaner noch bewährt und vor allem rechnet, bleibt abzuwarten.

Dennoch steht fest, daß es mittlerweile schon PC-Händler gibt, die gern mit Dell zusammenarbeiten würden. Fest steht auch, daß es seit geraumer Zeit mehr als einen Versuch der Großen der Branche gegeben hat, den indirekten Vertrieb aufzuweichen. Und selbst Kurt Sibold, Mitglied der Geschäftsleitung bei Hewlett-Packard in Böblingen, ließ sich zu der Bemerkung hinreißen: "Wir brauchen ein neues Vertriebsmo-Dell."

Susann Naumann

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