Die Organisation der Zukunft

Kunde zuerst - Mitarbeiter auch

21.06.2022
Von  und Christian Hinrichsen
Marc Wagner ist Future-Work-Evangelist und ein ausgewiesener Experte rund um die Themen Future Work, New Work und Innovationskultur. Er ist Senior Partner und Global Head of Transformation, Peoplemanagement & Integral Business bei Detecon International, einer auf digitale Transformation spezialisierten Managementberatung. Seit mehr als 20 Jahren begleitet er Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation. Er ist Autor diverser Publikationen und Studien rund um New Work und Innovationskultur.
Wie gelingt es, den Fokus des Unternehmens auf Kunden- und Mitarbeiter gleichzeitig zu legen? Lesen Sie hier, was erforderlich ist, damit transformationale Produkte entstehen können.
Employees first, clients second oder anders rum? Im digitalen Zeitalterspielt dies keine Rolle mehr.
Employees first, clients second oder anders rum? Im digitalen Zeitalterspielt dies keine Rolle mehr.
Foto: Phovoir - shutterstock.com

Employees first, clients second ... oder doch vielleicht anders herum? Im digitalen Zeitalter und bei der erfolgreichen Implementierung spielt diese Unterscheidung keine Rolle mehr. Vielmehr geht es um die Frage, wie gelingt es alle Aktivitäten des Unternehmens konsequent auf Kunden - und Mitarbeiterwert auszurichten und alle übrigen Aktivitäten konsequent zu stoppen. Dies gilt insbesondere in flexiblen Ökosystemen und Plattformansätzen, die durch eine ganzheitliche Transformation entstehen.

Erfolgreich mit der Doppelhelix

Seit über sechs Jahren beschäftige ich mich intensiv mit den Themen New Work und Organisation der Zukunft, habe zahllose Projekte begleitet und das Thema 'Neue Arbeit' selbst durchlebt: von der Einführung demokratischer Strukturen überActivity Based Workingbis hin zu einem agilen, OKR-basierten Steuerungsmodell. In der Folge durfte ich viele meiner Kunden beim Ritt auf der New-Work-Welle begleiten. Da wurde alles immer agiler, eine Lawine neuer Methoden und bunter Post-its verwandelte unsere Arbeitsplätze in Latte Macchiato Büros. Und tatsächlich, bald wurden auch Verhaltensänderungen sichtbar: Jeans und Sneakers, Hipsterbart, Smoothies und Legosteine überall. Doch Moment mal!

Irgendetwas fehlt doch bei all dem bunten Treiben

Wo bleibt dabei der Kunde beziehungsweise das konkret zu lösende Kundenproblem? Wo die Antwort auf die Frage: "Wie können wir am Ende des Tages eine Lösung mit unseren Möglichkeiten umsetzen und die vielbeschworenen Netzwerkeffekte und Skalierung herbeiführen." Nein, ich habe die Design Thinking-Welle nicht vergessen. Doch diese endete allzu oft in wilden Ideation-Workshops und lustigen Mockups und Prototypen, deren Umsetzung allerdings weder realistisch noch ökonomisch sinnvoll war.

Für uns war diese Erkenntnis Auslöser dafür, den Blick von New Workzu erweitern und aufzuzeigen, wie insbesondere große Unternehmen und Konzerne ihre Vorteile gegenüber den "kleinen Angreifern" ausspielen können. Im Zentrum steht dabei die Schaffung kleiner, agiler Einheiten (Zellen) aus dem Konzern heraus. diesen Einheiten ist eines gemein: der maximale Fokus auf die Lösung eines spezifischen Kundenproblems sowie die Ende-zu-Ende-Verantwortung bei der Kreation und Umsetzung der jeweiligen Lösung. Und dabei stehen Kunde und Mitarbeiter gleichermaßen im Mittelpunkt und bilden in Form einer Doppelhelix die DNA der Zelle.

Die Kunde-Mitarbeiter-Doppelhelix

Doch wie prägt sich Kundenorientierung hier konkret aus? Nachfolgend eine Übersicht der wesentlichen Elemente der Kunde-Mitarbeiter Doppelhelix. Auch hier gilt: kein Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ein grober Überblick über Kernelemente.

  1. Kunde und Mitarbeiter sind die Könige
    Employees come number one. Customers come number two. If you have a happy workforce, they'll look after your customers anyway." Auch wenn dieses Zitat von Tony Fernandes (net worth $650 million) durchaus richtig ist, so sollte man sich vor Augen führen, dass grundsätzlich alle Aktivitäten, Prozesse und insbesondere auch Funktionen und Rollen innerhalb eines Unternehmens einzig dem Kunden dienen und einen spezifischen Kundenwert erbringen sollen. Gleichzeitig gilt natürlich auch: alles was den Mitarbeitern ihre Arbeit erleichtert und zur persönlichen "Workplace Happiness beiträgt, wird ebenfalls als Value-Beitrag betrachtet - denn er dient ebenfalls dem Kunden.

  2. Fokus auf Mitarbeiter statt Marketing oder Mitarbeiter zu Fans & Ambassadoren machen
    Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, wird allerdings vielfach gerade in großen Unternehmen kaum genutzt. Ein ganz wesentlicher Treiber für unseren Doppelhelix-Ansatz besteht darin, dass die Grenzen zwischen Kunde und Mitarbeiter bei erfolgreichen digitalen Unternehmen immer stärker verschwimmen. Letztlich ist der Kunde durch Co-Creation am Wertschöpfungsprozess aktiv beteiligt und entwickelt sein Produkt selbst mit. Gleichzeitig sind Mitarbeiter die besten Produktbotschafter eines Unternehmens. Ein Grund dafür, dass Mitarbeiter ebenfalls in hohem Maße nicht nur in den Entwicklungsprozess einer Lösung involviert sein sollten, sondern insbesondere auch in der spezifischen Experience. Employee Experience wird zur Customer Experience (auch ein Grund dafür, dass sich in erfolgreichen Technologie-Unternehmen immer stärker die Rolle des Chief Employee Experience Officers(CEEO) durchsetzt). Dies setzt voraus, dass die Verprobung und Produkterfahrung fester Bestandteil der Tätigkeit der Mitarbeiter wird und spezifische Formate angeboten werde, bei denen Produkterfahrungen und Verbesserungen mit den Mitarbeitern ausgetauscht und diskutiert werden.
    Zudem gilt es, das kommunikative Potenzial der Mitarbeiter als Markenbotschafter zu nutzen. Dies setzt zum Beispiel voraus, dass diese in der Nutzung der Sozialen Medien fit gemacht werden. Letztlich erhält das Unternehmen sie auf diese Art und Weise eine unglaublich effektive und kostengünstige Marketing-Power. Stellen Sie sich der Frage: "Wie mache ich meine Mitarbeiter zum größten Fan meines Produktes?" Die beste Retention-Maßnahme und Anziehungskraft für Top-Talente.

  3. Ende-zu-Ende-Verantwortung
    Grundsätzlich gilt in jeder Zelle/Einheit das Prinzip der Ende-zu-Ende Verantwortung in Richtung Kunde beziehungsweise Lösung eines Kundenproblems. Damit wird sichergestellt, dass jeder Mitarbeiter seinen spezifischen Wertbeitrag zur Lösung desselben nachvollziehen kann - ein ganz entscheidender Faktor in Richtung job engagement. Gleichzeitig wird die Schaffung von funktionalen Silos verhindert, die gerade in vielen etablierten Unternehmen keinen wirklichen Wertschöpfungsbeitrag leisten oder diesen sogar behindern.

  4. Fokus auf den Job-to-be-done
    Wir sind große Anhänger des von Clayton Christenson in seinem Bestseller "Competing against luck" eingeführten "Job-to-be-done" Ansatzes. Dies bedeutet, dass nicht in Prozessen oder allgemeinen Produkten gedacht wird, sondern in der Lösung spezifischer und situativer Kundenbedürfnisse bzw. der Frage: wie kann der Kunde einen spezifischen und relevanten Fortschritt erzielen oder anders "What job have you hired your product to be done?". Dies impliziert auch eine sehr umfassende Beobachtung der Wettbewerbslandschaft, da sich die Wettbewerbsverhältnisse je 'Job' signifikant verändern. Das ist entscheidend beim Design insbesondere auch digitaler Produktlösungen und bedeutet ein Umdenken für klassische Produktmanager.

  5. Kundenzentrierung? Ja, aber nicht um jeden Preis
    Der Fokus auf den Kunden und insbesondere auf die Schaffung eines möglichst hohen Kundenwertes steht klar im Fokus des Company-ReBuilding-Ansatzes. Allerdings ist ganz entscheidend, dass ein sinnvolles Maß an Kundeneinbindung gefunden wird. Letztlich sollte dies extrem fokussiert, mit der Hilfe z.B. vonLead Usern, gezielten Beobachtungen, einem professionellenForesight-Managementund repräsentativer Marktforschung erfolgen und nicht, weil Kundeninterviews cool sind, Spaß machen und wesentlicher Bestandteil von Hype-Methoden wie z.B. Design-Thinking sind.

  6. Lean-Startup-Elemente - Exekution nicht vergessen
    Auf das Thema möchte ich ehrlich gesagt nur kurz eingehen, da an vielen Stellen schon ausgiebig dazu geschrieben wurde. DerLean Startup-Ansatzstrukturiert sehr schön klassische organisatorische Elemente von Startups und ermöglichst in gewisser Weise die Übertragbarkeit in Richtung etablierter Unternehmen. Im Zentrum stehen dabei u.a. Prinzipien wiefail early, fail fast, ein stark interaktives Vorgehen, ein hohes Maß an Kundenzentrierung (bzw. Co-Creation mit dem Kunden) sowie dem Denken in MVP (Minimum Viable Products), also mit Produktfragmenten möglichst schnell auf den Markt zu gehen und das Produkt anschließend iterativ unter intensiver Berücksichtigung des Kundenfeedbacks anzupassen. Sehr gerne kommt Lean Startup dabei auch mit den Themen Design Thinking und Agilität einher. All dies sind wichtige Elemente für eine kundenorientierte Organisation der einzelnen Zellen. Entscheidend ist dabei allerdings, dass nicht ein zu starker Fokus auf die Ideation und Design-Phase gelegt wird, sondern die Exekution und Schaffung eines überragenden Nutzwertes für den Kunden im Zentrum steht. Denn letztlich führt eine miserable und qualitativ minderwertige Umsetzung einer tollen Produktidee dazu, dass Nutzer frustriert zu Alternativen wechseln und Vertrauen direkt verspielt wird. Am Ende zählt auch hier: "Ideas are cheap, implementation matters".
    Tony Ma (Gründer Tencent) fasst dies schön zusammen:"In America, when you bring an idea to market, you usually have several month before competition pops up (…) in China, you can have hundreds of competitors within the first hours of going live.Ideas are not important in China - execution is"

  7. Transformationale Produkte
    Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Produktdesigns im Kontext von Company ReBuilding ist die Orientierung an transformationalen Produkten (Buch: Transformationale Produkte, Matthias Schrader) bzw. der Formulierung eines entsprechenden Ambitionsniveaus (Hinweis: ein guter Weg, ein entsprechendes Ambitionsniveau zu unterstützen, besteht organisatorisch in der Einführung von OKRs. Ähnlich exponentieller Organisationen (Buch: Exponential Organization, Salim Ismail) gilt hier grundsätzlich die Frage: Hat die entwickelte Problemlösung und der damit verbundene Job-to-be-done das Potenzial, in kürzester Zeit durch die Nutzung von Netzwerk- und Skalierungseffekten eine kritische Nutzerbasis zu erreichen? Dabei formulieren transformationale Produkte wie auch der Ansatz der exponentiellen Organisationen gerne das 10x Prinzip:
    a) Transformation der Nutzererwartung = überragender Nutzenvorteil und Niveau der Erwartungen an die Produktkategorie ändern.
    b) Transformation des Nutzerverhaltens = nachhaltige Verhaltensveränderung.
    c) Transformation der Wertschöpfung = Potenzia, signifikanten Ergebnisbeitrag zu liefern

    Dabei zeichnet transformationale Produkte aus, dass Sie einen überragenden, bisher nicht entdeckten Nutzwert besitzen und eine hohe Relevanz für eine große Nutzerbasis besitzen. Gerade dieser Punkt wird aus unserer Beobachtung in vielen Innovation Labs nur sehr halbherzig bis gar nicht berücksichtigt.

  8. Maximale Problemlösungsautonomie der Mitarbeiter
    Jeder Mitarbeiter erhält ein hohes Maß an Freiheitsgraden, eine möglichst auf die individuelle Situation des Kunden passende Lösung zu finden. Am Ende zählt hier das Ergebnis: Kundenzufriedenheit. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der jeweilige Rahmen eine effektive und effiziente Lösung der Kundenprobleme ermöglicht und nicht zur Verschwendung von Ressourcen führt

  9. Querschnitt als Rolle
    Um ein hohes Maß an Kundenorientierung zu erzeugen, erfolgt nicht nur eine Ende-zu-Ende Ausrichtung von Prozessen in Richtung (End-)Kunde, sondern werden funktionale und administrative Aufgaben weitestgehend in Form von Rollen abgebildet. Dies bedeutet, dass keine funktionalen Einheiten für bestimmte Themen wie zum Beispiel HR oder Controlling gebildet werden, sondern Mitarbeiter diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten als zusätzliche Rolle übernehmen. Ermöglicht wird dies insbesondere durch ein sehr hohes Maß an Automatisierung von Querschnittsaufgaben sowie die technologische Unterstützung der Rollen. Bestimmte Querschnittthemen wie zum Beispiel Legal oder Compliance verbleiben selbstverständlich bei entsprechenden Experten - allerdings immer mit der Maßgabe: soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Dies gilt es regelmäßig zu überprüfen.

  10. Cleaning the garage
    Überprüfen Sie regelmäßig alle nicht-wertschöpfendne Themen. Gute Erfahrung haben wir damit gemacht, in jedem einzelnen Team in regelmäßigen Abständen (z.B. 2 x pro Jahr) einen Frühjahrsputz durchzuführen, bei dem im Team jede einzelne Aktivität, jedes Meeting etc. hinsichtlich ihres jeweiligen Wertbeitrages Richtung Kunde überprüft werden. Gerade das Thema Meetingkultur hat einen entscheidenden Beitrag auf den Grad der tatsächlichen Kundenorientierung eines Unternehmens. Haben Sie sich mal die Frage gestellt, bei wie vielen Meetings tatsächlich der Kunde im Mittelpunkt steht? Gleichzeitig gilt: wenn neue Aufgaben im Team wahrzunehmen sind, so sind Ressourcenfreiräume durch die De-Priorisierung anderer Aktivitäten herbeizuführen. Andernfalls droht der in vielen Organisationen bekannte kollektive Burnout.

Auch bei den oben aufgeführten Elementen gilt: nur die konsequente Umsetzung führt zu den gewünschten Erfolgen und dazu, dass sich die jeweilige Unternehmenszelle konsequent mit den Kundenbedarfen weiterentwickelt und nicht gegenüber Wettbewerbern zurückfällt. Dies bedeutet letztlich eine enorme Leadership-Aufgabe und Verankerung der Doppelhelix im gesamten Leadership Team. Nur wenn Kunden- und Mitarbeiterorientierung konsequent vorgelebt werden und 'Zero Toleranz' für nicht wertschöpfende Tätigkeiten geschaffen wird, wird eine langfristig nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens sichergestellt, in dem das Unternehmen, die Mitarbeiter und der Kunde gleichermaßen erfolgreich wachsen können.

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