Lieferanten vergraulen den Händlern immer öfter ihre Kunden

30.05.1997
LUDWIGSHAFEN: Selbst der gutwilligste Händler kann Kunden nicht halten, die ihnen durch unprofessionelles Gebaren und Unzuverlässigkeit seitens ihrer Distributoren und/oder der Hersteller verloren gehen. Jörg Scherr, Geschäftsführer der In4media in Braunschweig, weiß ein Lied davon zu singen.Unsere Kunden wollen gut betreut werden - das ist keine Frage. Da ist es wirklich nützlich, wenn der Lieferant uns dabei so gut es geht unter die Arme greift. Doch werfen Sie nur einmal einen Blick auf die hochglanzpolierten "Gewährleistungszusagen", die bei vielen Produkten weit über den gesetzlich verankerten Anspruch hinausgehen - oft genug sind das nur leere Phrasen. Innerhalb weniger Monate habe ich wichtige Kunden verloren, weil meine Lieferanten ihre Zusagen nicht halten konnten und mir dabei das Leben auch noch extrem schwer gemacht haben.

LUDWIGSHAFEN: Selbst der gutwilligste Händler kann Kunden nicht halten, die ihnen durch unprofessionelles Gebaren und Unzuverlässigkeit seitens ihrer Distributoren und/oder der Hersteller verloren gehen. Jörg Scherr, Geschäftsführer der In4media in Braunschweig, weiß ein Lied davon zu singen.Unsere Kunden wollen gut betreut werden - das ist keine Frage. Da ist es wirklich nützlich, wenn der Lieferant uns dabei so gut es geht unter die Arme greift. Doch werfen Sie nur einmal einen Blick auf die hochglanzpolierten "Gewährleistungszusagen", die bei vielen Produkten weit über den gesetzlich verankerten Anspruch hinausgehen - oft genug sind das nur leere Phrasen. Innerhalb weniger Monate habe ich wichtige Kunden verloren, weil meine Lieferanten ihre Zusagen nicht halten konnten und mir dabei das Leben auch noch extrem schwer gemacht haben.

Das fing an mit einer Kundin, die eine Creative-Karte wieder bei mir abgab, die ich dann auch an Computer 2000 schickte. Dort verschwand sie dann. Spurlos. Obwohl wir nach ewigen Nachfaßaktionen die Karte nach einem Jahr (!) wiederbekamen, verloren wir die Kundin ("... wozu soll ich denn mehr Geld beim Fachhandel lassen, wenn noch nicht mal der Service im Garantiefall klappt") und zahlten zudem kräftig zu. Der nächste Fall lief ähnlich: Wir mußten den nicht gerade billigen 21-Zöller der Serie Storm Colorvision zum 24-Stunden-Austausch-Service bei Storm im fränkischen Ottensoos geben. Wir übernahmen für unseren - guten - Kunden auch die Kosten für den Rücktransport. Der 24-Stunden-Service brauchte drei Monate... Das Resultat: Abbruch der Geschäftsbeziehung und - wieder ein Kunde weniger...

Die Ausrede "nur ein Einzelfall" gilt nicht

Die beiden Vorfälle sind exemplarisch und sicher haben viele von Ihnen ähnliche Erlebnisse parat. Aber der nun folgende Fall hat die Grenze der Zumutbarkeit so deutlich überschritten, daß auch die Ausrede vieler Hersteller und Distris "... bloß ein Einzelfall..." nicht mehr akzeptiert werden kann:

Dem EDV-Fachhandel ist die Firma Texas Instruments als Hersteller von Druckern und Notebooks bekannt. Beide Geschäftsbereiche wurden zwischenzeitlich verkauft, aber es ist noch nicht sonderlich lange her, da wollte uns TI glauben machen, daß es sich lohnt, die TI-Fahne ganz hoch zu hängen. Also haben wir TI-Notebooks der Serie Extensa in unser Vertriebsprogramm aufgenommen.

Anfangs lief alles einigermaßen erfolgreich, bis sich einer unserer ältesten und treuesten Kunden für ein Extensa 550CD entschied. Der Kunde wünschte aber statt Windows 95 lieber die althergebrachte Kombination aus DOS 6.22 und Windows 3.11, womit die TI-Leute ein Problem hatten. Die Hotline teilte uns zunächst auf Anfrage mit, daß es für eben diesen Kundenkreis ein optionales Treiberkit gäbe, damit die Extensa-Hardware auch ohne Plug&Play funktioniert. Das Treiberkit existiert auf der TI-eigenen Mailbox, also flugs ein Download durchgeführt und alles ist gut. Alles? Nein, nicht alles, denn wenige Tage nach Auslieferung schildert der Anwender seltsame Dinge wie plötzlich verstümmelte Excel-Dateien und eklatante Fehlinformationen des Datei-Managers (falsche Dateigrößen, imaginäre Verzeichnisbäume, die gar nicht existieren etc.).

Texas Instruments aus dem Gleis gebracht

Nach einigem Hin und bekommen wir den Extensa mit der Bitte um Garantie-Instandsetzung ausgehändigt. Wir entschuldigen uns (was soll man auch sonst tun) und senden das Gerät zu der von TI genannten Adresse, ein Repair Center in Freising, als Abteilung PPP benannt. Die Wochen vergehen, unser Kunde ist sehr geduldig und wir auch. Natürlich wissen wir, daß solche Fehler beim Hersteller nicht großartig analysiert, sondern die in Frage kommenden Baugruppen ausgetauscht werden. Aber diesmal dauert dieser Austausch geschlagene acht Wochen, bis dann pünktlich zu Weihnachten ein Paket von TI eintrifft. Der Extensa hat noch dieselbe Seriennummer, auch unser Aufkleber ist noch da, also fragen wir vorsichtshalber an, welche Teile ausgetauscht wurden. Über tagelange Umwege teilt man uns - widerwillig - mit, daß die Festplatte ausgetauscht worden sei. Nun gut, denken wir uns, das ist realistisch, schalten den Extensa probehalber ein und überzeugen uns von der Funktionsfähigkeit. Seltsam nur, daß die Daten des Kunden noch vorhanden sind. Aber im unerschütterlichen Glauben an die Weltfirma TI gehen wir davon aus, daß tatsächlich jemand eine Datensicherung durchgeführt und diese auch wieder zurückgespielt hatte.

Vielleicht unterstellen Sie uns jetzt eine gewisse Leichtgläubigkeit, aber als auf Dienstleistung spezialisierter Händler hatten wir tatsächlich ein recht weitgehendes Vertrauen in die Händler-Unterstützung und Service-Abteilung bei TI. Wir lieferten den Extensa wieder aus und feierten mit gutem Gewissen Weihnachten. Mitte Januar 97 dann - der Anwender war in Urlaub gewesen - der Schreck am Telefon: das Notebook spinnt schon wieder. Sie kennen doch solche Situationen, liebe Leser, oder? Einen Moment lang ist man geneigt, dem Anwender die Schuld zuzuweisen - bestimmt ein Anwendungsfehler oder so etwas. Probieren Sie doch mal dieses, klicken Sie doch mal dahin und dorthin, in diesem Sinne eben. Was einem geplagten Supporter nicht so alles einfällt.

Es half nichts, ich überzeugte mich selbst von dem auftretenden Fehler und tippte auf einen Virus. Aber kein Virenscanner wurde fündig, trotzdem spielten wir die gesamt Software neu auf. Das Resultat: Excel ließ sich nicht mehr installieren, die Hotline wußte auch nicht mehr weiter, also riet man uns, das Gerät zur nochmaligen Überprüfung zu TI zu senden.

Der Kunde blieb äußerlich cool, als wir ihm die Botschaft überbrachten. Nun vergingen aber sage und schreibe zwölf (!) Wochen, die CeBit öffnete ihre Pforten und unser Kunde hatte noch immer kein Notebook. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich traf mich persönlich mit einem Service-Manager von TI, vereinbarte mit ihm, daß uns der Hersteller einen "gleichwertigen Ersatz" für das ausgelaufene Notebook-Modell schickt. Tatsächlich: Montags darauf rief ein TI-Techniker an und erkundigte sich nach der von unserem Kunden gewünschten Software. Das kurze Telefonat endete mit dem Versprechen seitens TI, daß das Gerät "...heut' noch rausgeht". Dieser Satz blieb in unserem Gedächtnis haften, denn dieses "Heut'" sollte sage und schreibe vier Wochen dauern!

In der Zwischenzeit hagelte es böse Anrufe und Briefe des Kunden an uns, und wir versuchten - in nun nicht mehr gemäßigtem Ton - TI gegenüberzutreten. Erst nach der Ankündigung, mit diesem "Servicefall" an die Öffentlichkeit zu gehen, tat sich etwas bei TI. Und am 2. Mai endlich konnten wir gemeinsam mit unserem Kunden ein neues Extensa 900 bestaunen.

Ich denke, es gibt ein grundsätzliches Problem in der IT-Branche: Wir Fachhändler sind den Herstellern immer dann willkommen, wenn es etwas zu verkaufen gibt. "Stückzahlen" heißt das Zauberwort. Aber wehe, etwas funktioniert nicht, wie es auf dem Datenblatt angekündigt wurde. Seit ich selbst im Kontakt zu IT-Kunden stehe, kenne ich kein einziges, in sich schlüssiges Konzept, mit dessen Umsetzung ein Hersteller oder Distributor seine hochgesteckten Service-Ziele hätte erreichen können.

Nahezu in allen Fällen sind die Leidtragenden von schlechter Service-Organisation, überlasteten Hotlines oder miserablen Durchlaufzeiten in Repair-Centern (so nennt man eine Werkstatt heutzutage) nicht nur die Anwender, sondern auch stets die betreffenden Fachhändler. Denn zu diesen kommt der Endkunde nun einmal gelaufen, wenn ein Gerät defekt ist. Eigentlich ist das ja auch gut so, denn wir Fachhändler wollen ja den Kontakt zu unseren Kunden nicht verlieren. Eine gewisse Unterstützung oder Kostenentlastung aber seitens der Hersteller könnte so manchem Fachhändler wieder Mut machen, den Begriff "Service", der in Deutschland ohnehin keinen guten Ruf hat, wiederzubeleben und mit "Dienst am Kunden" das Vertrauen seiner Klientel in seine eigene Leistung und in die Qualität der IT-Produkte zu festigen.

Mein Eindruck: Die Lieferanten haben das Interesse an langfristiger Kundenbindung verloren

Wie man es auch dreht und wendet: wir Fachhändler kommen an erweiterten Serviceleistungen nicht vorbei, denn diese sind nun einmal erstklassige Instrumente, um Kundenbeziehungen längerfristig zu festigen. Die überaus gemischten Erfahrungen mit großen und kleinen Anbietern lassen meiner Meinung nach keinen eindeutigen Schluß auf die allgemeine Servicequalität in unserem Geschäft zu. Ich denke aber, daß etliche Hersteller und Distributoren ein wenig das Interesse an langfristigen Kundenbeziehungen verloren haben. Anders kann ich mir solche Situationen und Verhaltensweisen wie die eingangs geschilderten nicht erklären.

Wenn aber der Handelskanal gefestigt werden soll, muß dem Fachhandel über die Serviceleistung die Möglichkeit zur eindeutigen Abgrenzung gegeben werden - auch seitens der Hersteller. Wir haben diese Entwicklung in anderen Märkten doch schon längst durchlebt - man denke nur an den Markt für Hi-Fi-Produkte.

Vielen unserer Kunden ist mittlerweile eine Empfehlung zu Produkten, mit denen wir positive Erfahrungen haben, wichtiger als die neueste Technologie oder das letzte Prozent Rabatt. Diesen Trend beobachten wir in allen bei uns vertretenen Kundenschichten - von anspruchsvolleren Privat-Käufern (die ja größtenteils auch schon zum wiederholten Mal ein EDV-System kaufen) bis hin zu den gewerblichen Anwendern aus dem Mittelstand. Daß wir diese Entwicklung begrüßen und unterstützen, muß ich wohl nicht weiter erklären. Aber das notwendige Verhalten und die Einstellung, die diesen Trend möglich machen, müssen von uns Händlern teilweise erst wieder erlernt oder zumindest ins Gedächtnis gerufen werden.

Deshalb hier einige Tips an die Lieferanten:

An die Adresse der hierzulande vertretenen Hersteller kann ich nur appellieren: unterstützt Euren klassischen Handelskanal

l durch bedarfsorientierte Schulungen (kein Marketinggeschwafel und nicht zum 27. Mal die GFK-Zahlen), die der/die qualitäts- und servicebewußte Vertriebsbeauftragte braucht.

l Auch sollten technische Support-Informationen gut zugänglich sein und nicht auf der 17. Unterverzeichnisebene eines FTP-Servers verschimmeln. Ich denke da an regelmäßig erscheinende Nachschlagewerke im Acrobat-Format - wie beispielsweise bei OKI - oder ç la CBISS-CD (die Support-Mailbox von Computer2000) zum Selbstkostenpreis.

- Die Vorab-Investition in qualifizierten Kundendienst muß auch für den kleinen Fachhändler erschwinglich und frei von abgehobenen Voraussetzungen (siehe Apple!) sein.

- Auch ein regelmäßiger Gedanken- und Erfahrungsaustausch im persönlichen Gespräch - beispielsweise in "Stammtisch"-Runden - kann in vielen Situationen helfen. Warum, liebe Hersteller, stellt Ihr nicht einmal statt eines/einer Vertriebsbeauftragten eine(n) Servicebeauftragten ein, die/den vor allem die Belange des Kundendienstes an der Front interessieren und nicht die Stückzahlen und Forecasts?

Unsere Branche hat an etlichen Stellen ihre Probleme mit dem Image und dem Vertrauen. Letzteres könnte sich wesentlich bessern, wenn immer mehr Fachhändler bewußt aus der Preisspirale aussteigen und den Begriffen "Service" und "Kundendienst" wieder die ursprünglichen Bedeutungen zurückgeben. Zusammen mit qualifizierten Herstellern und Distributoren kann dieses Vorhaben gelingen!Jörg Scherr

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