Linux-Aktien: die vergessenen Börsenstars

05.11.2000
Nach enormen Kursverlusten stehen die Linux-Aktien möglicherweise vor einem Comeback. Dass sie in den vergangenen Monaten so stark abgetaucht sind, hat verschiedene Gründe.

Vor einem halben Jahr, als die US-Justiz Microsoft den ersten ernsthaften Schuss vor den Bug setzte, begannen die Linux-nahen Papiere raketengleich zu steigen. Red Hat hob aus dem Stand von 32 auf 143 Dollar ab; in der Zwischenzeit ist der Titel bis 26 Dollar gefallen. Dies ist umso erstaunlicher, als die Behörden mit der "Aufspaltung" des Software-Konzerns jetzt offenbar Ernst machen wollen. Eigentlich hätten die Linux-Kurse somit erst recht Anlass zum Klettern. Auch ist der Hintergrund nicht mehr so spekulativ wie früher.

Inzwischen wird Linux selbst in unternehmenskritischen Bereichen eingesetzt. Auch auf Desktops sieht man es immer häufiger. Nicht nur für Microsoft, sondern auch für die verschiedenen Unix-Versionen (AIX, Solaris, HP-UX) hat sich das im Internet frei erhältliche Betriebsystem zur echten Konkurrenz entwickelt. Es gilt als "stilles, fleißiges Arbeitspferd", das stabil mit verschiedenen Prozessoren von Alpha über Intel bis zum Power-PC läuft. Und an Sympathie für die viel gelobte Alternative besteht auch kein Mangel.

Warum also die Zurückhaltung der Börsianer, die doch sonst jeden Trend begierig ausschöpfen? Ein Teil der Aktienanalysten rügt, dass die Firmen keinen Gewinn machen und viele keinen Plan haben, wie sie Geld verdienen wollen. Irgendwie entsteht der Eindruck, dass die Sache kein ernsthaftes Geschäft ist, sondern noch eine Spielerei für Studenten. Als größtes Manko galt bisher das schwere Handling. Installation und Wartung setzen Expertenwissen voraus. Außerdem hat Microsoft mit rund 90 Prozent der installierten Systeme den unbestreitbaren Spitzenplatz inne, den der Konzern auch im Falle seiner Teilung nicht so bald abgeben wird. So muss Linux die Märkte erst noch erobern. Hier setzen jene Aktienexperten an, die die Papiere jetzt zum Kauf empfehlen. Denn ihrer Meinung nach hat der Siegeszug der Open-Source-Software schon begonnen.

Die bislang mangelhafte Supportstruktur wird zwangsläufig einmal besser werden. Große Hersteller wie Compaq, Dell, Fujitsu Siemens, Hewlett-Packard und IBM gehen den Trend in der Absicht mit, den bisherigen Nischenmarkt frühzeitig zu besetzen. Datenbanken von Informix und Sybase laufen auch unter Linux. Das Software-Informations-Management von Oracle ist in einer Linux-Version vorhanden. Börsen-Highflyer Adobe und andere machen ihre Produkte auch für Linux verfügbar. Intel beteiligte sich an Red Hat und VA Linux und passt die Prozessoren an das System an.

Die Perspektiven von Red Hat, der bekanntesten Linux-Aktie, sind nicht schlechter als die vieler anderer Hightech-Papiere mit großen Vorschusslorbeeren. Dieses Jahr wird sich laut Prognosen der Umsatz gegenüber 1999 auf 75 Millionen Dollar verdreifachen - bei 24,5 Millionen Dollar gleich bleibendem Verlust. In drei bis vier Jahren sollen die Erlöse auf 365 Millionen bei 100 Millionen Dollar Jahresgewinn klettern. Die Zahlen sind zwar keineswegs endgültig, aber das hohe Wachstum scheint sicher. Red Hat ging im August 1999 zu sieben Dollar pro Aktie an die Börse. Wie sich der Aktienkurs des Unternehmens entwickelt hat, zeigt die Grafik.

Zum "Korb" der Linux-Papiere, die etwas abschätzig auch als Hoffnungswerte bezeichnet werden, gehören Firmen wie Applix (Office-Programme), VA Linux (Hardware/Software/Service), Caldera Systems (Entwicklung/Service), Andover.net (Internet-Provider), Linuxcare, Linux One (Dienstleister/Entwicklung) sowie Corel (Software, Beteiligungen an Newlix und Linuxforce). In den USA gibt es einen Linux-Aktienindex (www. lwn.net/stocks), der die Firmen mit Schwergewicht Red Hat an der Spitze aufführt. Das Segment könnte auch von Übernahmen profitieren. (kk)

www.redhat.com

www.lwn.net/stocks

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