Linux-Euphorie macht Microsoft zu schaffen

22.06.2000

Nächste Woche öffnet der "Linux-Tag" in Stuttgart seine Pforten. Vom "Tag" im herkömmlich Sinn des Wortes kann man gar nicht mehr sprechen, dauert die Veranstaltung doch gleich vier Tage. Erwartet werden bis zu 20.000 Besucher - eine exorbitante Steigerung gegenüber den 70 Teilnehmern bei der Premiere vor vier Jahren und ein Zeichen für das unaufhaltsame Vordringen des Freeware-Betriebssystems auch in kommerzielle Bereiche.

Darauf deuten die fast täglich lancierten Initiativen großer Hard- und Software-Hersteller. Ob jetzt IBM seine gesamte Hardware-Plattform auf Linux trimmt, Intel und HP kostenlose Entwicklerwerkzeuge feilbieten oder SCO sich zum Linux-Distributor aufschwingen möchte - allen Anstrengungen liegt ein Motiv zugrunde: das Bestreben, die Entwicklung im Betriebssystemmarkt auf keinen Fall zu verschlafen.

Hier tut sich Microsoft systembedingt natürlich schwer. Hat Deutschland-Geschäftsführer Rudolf Gallist gegenüber ComputerPartner Ende letzten Jahres Linux noch Respekt gezollt ("Wir nehmen dieses Betriebssystem sehr ernst"), gibt sich sein Kompagnon Richard Roy nun gereizt: "Linux ist ein Hype" (das vollständige Interview finden Sie auf Seite 16). Und es zeugt von mangelnden technischen Kenntnissen, wenn Roy von verschiedenen Linux-Derivaten spricht. Das trifft für die verschiedenen Unixe von Sun, IBM, HP, SGI, HP oder SCO zu, aber doch nicht für Linux. Dessen "Distributionen", ob von Suse, Red Hat und Caldera, greifen allesamt auf den gleichen Kernel zurück und unterscheiden sich lediglich durch Zusatzprogramme wie Benutzeroberflächen oder Office-Pakete. Aber das ist den Windows-Tekkies sicherlich bekannt, die drohende Aufspaltung scheint lediglich den Konzernlenkern den Blick auf die Realitäten etwas zu vernebeln.

Zwar ist es lange nicht so weit, als dass Linux tatsächlich eine Bedrohung für Windows oder Sun Solaris darstellen würden. Es fehlt immer noch gravierend an Support seitens der Distributoren und Wiederverkäufer. Gleichzeitig liegt hier ein enormes Potential für neue Geschäftsmöglichkeiten brach. Denn eines darf man Unternehmen wie Suse oder Red Hat nicht unterstellen: dass sie diese Chancen nicht sehen würden. Allerdings können sie manchmal nicht alle Anfragen zufriedenstellend bewältigen.

Trotz aller Service-Angebote der Distributoren bleibt also den interessierten VARs noch genügend Spielraum, ihre Kunden zu beraten und Linux als strategische Plattform zu implementieren. Weitere Dienstleistungen, wie Erweiterungen oder Software-Anpassungen, ergeben sich dann zwangsläufig. Hier helfen dann auch Suse & Co. mit entsprechendem Support aus.

Denn dass man heutzutage nur mit Services richtig Geld verdienen kann, ist ohnehin eine Binsenweisheit - übrigens auch in der Open-Source-Szene. Dort werden zwar keine oder nur symbolische Lizenzerlöse erzielt, aber der Verkauf von Dienstleis-tungen steht auch hier hoch um Kurs und gilt selbst bei den Open-Source-Fanatikern als legitim.

Um an interessierte Kunden heranzutreten, stellt der kommende Linux-Tag in Stuttgart sicherlich die beste Möglichkeit dar. Außerdem können sich dort Neulinge über aktuelle Entwicklungen im Open-Source-Umfeld informieren und alte Hasen bestehende Geschäftskontakte vertiefen und neue knüpfen.

Ronald Wiltscheck

rwiltscheck@computerpartner.de

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