Massensendungen sind passé - der Kunde hat einen Namen

24.04.1998

MÜNCHEN: Auch in Zeiten von Internet und Teleshopping sind Mailings ein unverzichtbares Marketinginstrument. Um den professionellen Versand der Werbebriefe kümmern sich sogenannte Lettershops. Diese Dienstleister suchen und finden ihre Kunden quer durch alle Branchen.

Der geschäftstüchtige Losvertreiber aus dem bayerischen Starnberg ließ nicht locker: Bereits zum dritten Mal erhielt Herr Ernst Thälmann, Danziger Straße 101, 10405 Berlin, Post mit der Aufforderung, Millionär zu werden und zu diesem Zweck ein Lotterielos zu erwerben. Wie der historische Kommunistenführer, der im übrigen nie in einer Danziger Straße gewohnt hat, samt Kundennummer in die Datenbank des süddeutschen Glücksbringers geraten war, wird wohl für immer ein ungelöstes Rätsel bleiben. Daß aber auch nach Monaten die Kartei-, besser Datenbankleiche nicht entdeckt wurde, ist eine arge Schlamperei.

Das darf natürlich eigentlich nicht passieren. Adreßpflege ist überhaupt "ein Thema für ganze Seminare", weiß Mario Iltisberger, Geschäftsführer der Dietmar Iltisberger GmbH Direktwerbung im hessischen Runkel. Der Lettershop-Dienstleister setzt auf schriftliche oder telefonische Abfragen, mit denen er nachfaßt: "Wir haben Ihre Adresse zur Verfügung gestellt bekommen: Stimmt sie? Sind Sie Architekt? Wieviel Beschäftigte haben Sie?" Während die schriftlichen Antworten rückläufig sind, kommt Iltisberger nach ergänzenden Telefonanrufen auf 80 Prozent, bei denen er dann weiß, wie er dran ist. Bei der modernen Hardware ist von der technischen Seite her "die Verwaltung von 50.000 bis 60.000 Adressen kein Problem mehr". Softwareprogramme fischen auch Doubletten heraus, bei denen der Adressat einmal "Mayer" und einmal "Meier" heißt, aber unter derselben Hausnummer firmiert, oder wenn der beworbene Herr Schöppe mal auf den Vornamen Andy und mal auf Andreas hört.

Im Briefkasten auffallen um fast jeden Preis

Wichtig ist die direkte Ansprache. Weniger Massenaussendungen, mehr Handarbeit, lautet der Trend. Während vor fünf bis zehn Jahren fast ausschließlich 08/15-Mailings herausgeschickt wurden, sind es heute - so das Ideal - "Mailings, die auffallen". Das können Formate sein, die aus dem Rahmen fallen (quadratisch, praktisch, Aufmerksamkeit erregend), beiliegende Musterbeutel, eingelegte Ware oder sogenannte "Give-aways" wie Glückspfennige, Gewinnspiele oder Bleistifte. Iltisberger ist nicht bange um die Zukunft des Marketings via Lettershops, auch wenn die Konkurrenz nicht schläft und TV-Werbung und DRTV (Teleshopping) wachsende Umsätze verzeichnet: "Es kommt auf den Mix an", weiß der Manager, dessen Kunden hauptsächlich in der Baubranche zu finden sind, "und auf gute Mailings wird so schnell kein Produzent verzichten wollen."

Davon ist auch Horst Baumgartner überzeugt. "Die Oma bestellt nun mal ihre Sommermode nicht online übers Internet, sie möchte in Katalogen nachschauen", bringt der Geschäftsführer der PVS Presseversand-Service GmbH in Neckarsulm die Konsumgewohnheiten einer bestimmten Klientel auf den Punkt. Um die Zukunft der Briefwerber, sprich Lettershops, ist ihm also nicht bange, auch wenn sie sich spezialisieren müssen. Rationalisierung, ständige Innovation in neueste Technologien sowie einen Blick für geänderte Wertvorstellungen (zum Beispiel Ökologie) sind Grundlagen für das erfolgreiche Direktmarketing kommender Jahre.

Alte Handarbeit trotz neuer Medien gefragt

Den Markt sorgfältig zu beobachten, rät auch Ralf Bartels, Geschäftsführer der Bartels Direktwerbung (Kreuztal). Gleichwohl: "Auch Kataloge auf CD-ROM müssen schließlich ausgesendet werden", weist er auf die Grenzen der neuen Medien hin. Doch davon einmal abgesehen, "wollen die Leute eher im Katalog blättern, als sich bunte Bilder am PC anzusehen". Bartels favorisiert Vorausverfügungen, um die Zahl falscher Adressen so klein wie möglich zu halten. Andernfalls steigt von Aussendung zu Aussendung die Fehlerquote, ohne daß der Aussender das mitbekommt. Bartels: "Das ist nur beim ersten Mal teuer, danach kommen nur noch Umzüge und Verstorbene zurück."

Handarbeit ist auch bei Bartels Direktwerbung wieder "in". "Wir schaffen 70.000 bis 100.000 Mappen in zwei bis drei Wochen." Die Kunden werden anspruchsvoller. Die Zeiten, in denen Firmen alle "ihre Kunden auf die gleiche Weise beackern", gehen zu Ende. Gezielte Ansprache ist mehr denn je gefragt. Und auf diesen Gebieten liegen auch die Stärken der Lettershops. Die Konkurrenz durch Druckereien, die ihren Service gezielt ausbauen und neben ihrem Stammgeschäft auch noch Mailing-Dienstleistungen offerieren, sieht Bartels gelassen: "Wer sich auskennt, geht zum Spezialisten."

Termintreue, Flexibilität und modernste Technik wird den "hochqualifizierten Lettershops in Deutschland zumindest mittelfristig die Zukunft sichern", meint Dieter Schefer, stellvertretender Geschäftsführer der AZ Direct Marketing Bertelsmann GmbH in Gütersloh (siehe auch Interview). Schefer setzt darauf, daß auch in Zukunft "der richtige Mix" für den Erfolg der Werbung entscheidend bleiben wird. Der kombinierte Einsatz verschiedener Medien ist angesagt. Gerade das Beispiel DRTV zeigt, "daß derartige elektronische Direktmarketing-Kommunikationskanäle eher als eine hervorragende Ergänzung des klassischen Direktmarketing (schriftliche Werbung, Telefon) angesehen werden können".

Druckereien und Adreßverlage drängen in den Markt

Ob große, mittlere oder kleinere Lettershops, ob mit oder ohne eigene Druckerei: Sie alle stellen fest, daß das "klassische Mailing heute schon tot ist" und daß diejenigen, die ein Mailing erhalten, immer persönlicher angesprochen werden, sagt Jürgen Scheer von der JS Versandservice und Direktmarketing GmbH in Rödermark. Ein hochwertiges Mailing hat eine kleinere Zielgruppe: Wurden früher 500.000 Ärzte auf einen Schlag angeschrieben, sind es heute 20.000 bis 25.000 "Zahnärzte mit einer bestimmten Praxisgröße - mit namentlicher Ansprache", so Rödermark. Die Entwicklung gehe dahin, daß "immer kleinere Mailing-Mengen anfallen". Da geschehe es oft, daß es sich erst gar nicht lohnt, eine Maschine einzurichten: "Da ist Handarbeit angesagt."

Scheer, der die Konkurrenz durch Druckereien und Adreßverlage schon "als bedrohlich" ansieht, setzt auf Spezialistentum: Direkt-Mailing ist danach eine Wissenschaft für sich. Wurden früher große Mengen Papier unter die Leute geschmissen, "fühlen die sich heute eher genervt. Wer im zwölften Stock wohnt und zum drittenmal einen Prospekt für Rasenmäher bekommt, der kauft auch später nicht bei der Firma, wenn er ein eigenes Haus hat", umschreibt Scheer die Chance für Lettershops, für die Adreßpflege kein Fremdwort ist. Adressen, die nicht vom Broker stammen, werden generell mit der Robinson-Liste abgeglichen und auf Doubletten untersucht. Scheer: "Das ist heutzutage Standard."

Eine weitere Stärke der Lettershops: Sie befinden sich oft auf dem Land, in der Nähe von Frachtzentren. Was beispielsweise bei Telefonmarketing an Adressen anfällt, "kommt in unsere Mailbox und kann am anderen Morgen bearbeitet werden", ob es sich nun um Servicebriefe oder um Rechnungen handelt, so Scheer. Lettershops brauchen also, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnen, konkurrierende Medien nicht zu fürchten. Das betont auch Jost Damgaard, Geschäftsführer der Büromatic Direktwerbung Jost Damgaard GmbH & Co. KG in Wuppertal. "Mit uns kommen Sie genau bei den Kunden an, die für Sie und Ihre Tätigkeit wichtig sind", wirbt Damgaard unter dem einprägsamen Motto "Weibliche Orgelbauer unter 32": "Wir beraten Sie, bestimmen nach Ihren Vorgaben die Zielgruppen und stellen Produktions-, Termin- und Kostenpläne auf."

Der Datenschutz in einer neugierigen Branche

Von einem neuen Trend zur Handarbeit will Damgaard indes nichts wissen: "Handarbeit machen alle. Sachen einkleben und zusammenstecken, das geht eben nicht per Maschine." Zu seinen Kunden gehören der mittelständische Pharmaproduzent Madaus, die Gewerkschaft der Polizei und Möbelhäuser, die eine Art Monatsbrief an 500 bis 600 Kunden verschicken. Abrufkräfte und Heimarbeiter eingeschlossen, arbeiten rund 30 Mitarbeiter für den Dienstleister, der sich als "reinen Papierverarbeiter" bezeichnet, der "mit Telemarketingfirmen und Adreßverlagen zusammenarbeitet". Die Zielgruppen werden immer kleiner, das Spektrum wird vielfältiger, "und die Mailings fallen intelligenter und häufiger an", so Damgaard. Kostspielige Streuverluste werden so vermieden, und ein professioneller Lettershop berät seine Kunden auch beim Porto. Das Herausfinden der bestmöglichen Entgeltkonditionen erfordert Fachkenntnisse. Damgaard verschickt Briefe bis 1.000 Gramm herkömmlich über die "gelbe Post", benutzt aber im Frachtbereich meist die privaten Anbieter.

Ein weiterer Schwerpunkt der Branche liegt beim Datenschutz, auf den zunehmend großer Wert gelegt wird. Schon mit Blick auf den kritischen "Endanwender" soll möglichst wenig Müll anfallen, weiß Damgaard. Der wahre Horror sind ihm und seinen Kollegen fehlgeleitete Mailings. Werbung muß ankommen: zielgenau und maximal auf die Bedürfnisse des Adressaten abgestimmt.

Mario Iltisberger, Geschäftsführer der Dietmar Iltisberger GmbH, hat keine Angst vor neuen Medien: "Auf den richtigen Mix kommt es an."

Groß und klein, dick und dünn, eckig und rund, mit und ohne Präsent: das Eintüten der Werbebotschaften ist da vielfach nur in Handarbeit möglich.

Jürgen Scheer von der JS Versandservice und Direktmarketing GmbH fordert: Kleinere Zielgruppen und namentliche Ansprache.

Matthias Dohmen

Zur Startseite